28. Juni 2006

Randbemerkung: Wie man Vorurteile verbreitet

Im Augenblick hat Spiegel-Online eine Meldung, die folgendermaßen beginnt:
US-UMWELTSCHUTZ
Bush bezeichnet Klimawandel als "Problem"

Bisher hat die US-Regierung das Treibhausgas Kohlendioxid nicht einmal als Luftschadstoff anerkannt. Jetzt hat George W. Bush die globale Erwärmung als "ernsthaftes Problem" bezeichnet - ein bedeutender Schritt für den US-Präsidenten.

Möglicherweise hat er es bislang stets im Stillen gesprochen. "Ich habe immer wieder gesagt, dass die globale Erwärmung ein ernstes Problem ist", behauptete US-Präsident George W. Bush jetzt vor Journalisten in Washington.
Das verdient einen kleinen Kommentar, denn es ist ein klassisches Beispiel für die Art, wie Spiegel-Online (und andere deutsche Medien) mit ihrer Berichterstattung Vorurteile transportieren. Hier das Vorurteil, die USA und insbesondere die Regierung Bush vernachlässigten den Umweltschutz.

Schauen wir uns die Meldung genauer an.


Bisher hat die US-Regierung das Treibhausgas Kohlendioxid nicht einmal als Luftschadstoff anerkannt.
Aha, denkt der Leser, da sieht man's: So umweltfeindlich ist diese Regierung, daß sie noch nicht einmal das Offensichtliche anerkennt.

Wie es sich tatsächlich verhält, kann man im heutigen (sehr regierungskritischen) Bericht des Boston Globe zu diesem Thema lesen:
It is true that the 1970 Clean Air Act does not mention carbon dioxide as an air pollutant, but that's because few scientists at the time were focusing on the impact that heat-trapping emissions could have on the planet.
Nicht die US-Regierung ist es also, die Kohlendioxid nicht in der Liste der Luftschadstoffe führt, sondern das steht so in einem vom Kongreß verabschiedeten Gesetz, und zwar aus dem Jahr 1970. Präsident Bush war damals 24 Jahre und absolvierte seinen Militärdienst als Pilot der Nationalgarde.



Weiter geht es in der Meldung:
Jetzt hat George W. Bush die globale Erwärmung als "ernsthaftes Problem" bezeichnet - ein bedeutender Schritt für den US-Präsidenten.

Möglicherweise hat er es bislang stets im Stillen gesprochen. "Ich habe immer wieder gesagt, dass die globale Erwärmung ein ernstes Problem ist", behauptete US-Präsident George W. Bush jetzt vor Journalisten in Washington.
Bush "behauptete" etwas - das suggeriert dem Leser, daß es wohl nicht stimmt. Zur weiteren Verstärkung dieses Eindrucks setzt der Autor der Meldung den ironischen Satz "Möglicherweise hat er es bislang stets im Stillen gesprochen" davor.

Aha, soll der Leser denken: Der Mann lügt mal wieder. Er tut jetzt so, als habe er sich immer schon um die globale Erwärmung gesorgt. Aber hat er doch gar nicht!

Es wird nicht direkt gesagt, daß Bush die Unwahrheit gesagt habe. Es wird aber insinuiert. Das Vorurteil des Lesers gegen den Präsidenten soll bestätigt werden.



Auch hier kann man den tatsächlichen Sachverhalt dem verlinkten Artikel des "Boston Globe" entnehmen. Daraus geht hervor, daß Bush schon in seiner ersten Präsidentschaftswahl-Kampagne im Jahr 2000 angekündigt hatte, er werde den Ausstoß von CO2 einer Regulation unterwerfen. Das hat er - und der "Globe" wirft ihm das vor -, dann nicht getan, sondern sich für freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie eingesetzt.

Aber daß er "im Stillen gesprochen" habe, ist schlicht die Unwahrheit. Übrigens nicht nur im Wahlkampf, sondern auch als Präsident hat Bush - genau, wie er jetzt gesagt hat - immer wieder das Problem der globalen Erwärmung angesprochen.



Nur paßt das halt nicht in das Vorurteil gegen den Präsidenten, das ja nur die Konkretisierung eines allgemeineren Vorurteils gegen die USA ist. Wo der Kapitalismus herrscht, da zählen allein die Profitinteressen. Wo allein die Profitinteressen zählen, da wird das Gemeinwohl vernachlässigt. Wo das Gemeinwohl vernachlässigt wird, da interessiert man sich auch nicht für Klimaschutz.

Und da George W. Bush sozusagen der personifizierte Kapitalismus ist, muß er logischerweise den Umweltschutz vernachlässigen. Das wußten sie, die Vorurteilsbeladenen, auch schon, bevor sie die Meldung in Spiegel-Online gelesen hatten.

Aber diejenigen, die sie gelesen haben, fühlen sich in ihren Vorurteilen wieder ein wenig mehr bestärkt.



Tatsächlich waren es diese kapitalistischen USA, die in den siebziger Jahren mit dem Umweltschutz begannen - mit Gesetzen wie dem Clean Water Act, dem Clean Air Act, dem Endangered Species Act und dem National Environmental Policy Act. Wer sich dafür interessiert, kann Näheres unter diesen Namen in der Wikipedia finden.

Alle diese Gesetze wurden zwischen dem Ende der sechziger und dem Ende der siebziger Jahre verabschiedet - zu einer Zeit, als in Deutschland noch kaum jemand von Umweltschutz sprach. Der ersten Bundesumweltminister wurde, unter Kanzler Kohl, am 7. Mai 1987 ernannt.