6. Juni 2006

Rotgrün, die Große Koalition und der Problembär

Nicht nur die Sommerpause, sondern auch das Sommerloch scheint dieses Jahr früh begonnen zu haben. Vielleicht ist es die bevorstehende WM, die schon jetzt das politische Leben erschlaffen läßt. Vielleicht ist es aber auch die Monotonie einer Regierung der Großen Koalition, unter der kontroverse öffentliche Debatten kaum noch stattfinden. Der Kleinkrieg innerhalb der Regierung - oder vielmehr innerhalb der eigentlichen Machtzentrale, dem "Koalitionsausschuß" - , der jetzt, nach der Anfangsphase des "Das packen wir gemeinsam" begonnen hat, bietet da nur wenig Entschädigung. Der Unterhaltungswert dieser Regierung ist ungewöhnlich gering.

Wie anders war das unter der verflossenen rotgrünen Regierung mit ihrer knappen Mehrheit gewesen!

Das Land kam zwar nicht voran. Im Gegenteil - diese sieben Jahre waren eine Zeit der Restauration; eine Zeit allenfalls des Stillstands, oft des Rückschritts. Eine nachgerade gespenstische Zeit, in der die beiden regierenden Parteien vor den Problemen der Gegenwart (den erforderlichen neoliberalen Reformen, der Globalisierung und vor allem Europäisierung der Wirtschaftsräume, dem demographischen Problem, dem Einwanderungsproblem, der langfristigen Sicherung der Energieversorgung) die Augen verschlossen und sich stattdessen an den Themen der siebziger Jahren delektierten, in denen ihre Protagonisen jung gewesen waren - Minderheitenrechte, Umwelt, Frauenemanzipation, Verbraucherschutz, Förderung des biologisch-dynamischen Landbaus, dergleichen.

Nie hatten die Minister einer Regierung der Bundesrepublik ein so hohes Durchschnittsalter wie in den Kabinetten der rotgrünen Koalition. Nie betrieb eine Koalition eine so restaurative Politik; die Adenauer-Zeit war dagegen eine Zeit jugendhaften Aufbruchs gewesen.



Aber während sich so der Mehltau einer zweiten Metternich-Ära über das Land legte, bot die rotgrüne Regierungskoalition doch ein unterhaltsames Spektakel:

  • Die Minister wechselten schneller als die Rollenbesetzungen in einem Musical. Man pflegte eine Show der "Streitkultur", in der zB die pazifistische Fraktion der Grünen heftigstes Schattenfechten veranstaltete, bevor man sich deutschen Interventionen auf dem Balkan, später in Afghanistan fügte.

  • Der Kanzler war für mindestens einen Showeffekt pro Woche gut - eine Rettungstat für ein Industrieunternehmen, ein "basta!", einen internationalen Auftritt, in dem er sich so benahm, wie man sich im Ausland immer einen Boche vorgestellt hatte.

  • Viele MinisterInnen standen dem nicht nach - die schrille Herta Däubler-Gmelin, die sich mit einem starken Auftritt im heimischen Tübingen verabschiedete, die Bauminister, die so schnell wechselten, daß man sich kaum ihre Namen merken konnte, der Riesenstaatsmann Joschka Fischer, ein Finanzminister, der die Wandlung vom Geachteten zum Verlachten so glaubwürdig präsentierte, als wolle er den Professor Unrat übertreffen.

  • Dazu die verbalen Kämpfe zwischen dieser Regierung und einer fast gleichstarken Opposition - am Unterhaltungswert mangelte es der deutschen Politik in den Sieben Niedergangsjahren gewiß nicht.



    Und heute? Wir werden solide regiert, von ernsthaften, umsichtigen Leuten. Einer Kanzlerin, deren Markenzeichen die Kleinen Schritte so sind, wie das Markenzeichen ihres Vorgängers das hohle Gedröhne gewesen war. Ministern, die ruhig und sachlich ihre Arbeit tun. Aber halt ohne die Eigenschaft, die im Französischen "médiatique" genannt wird - mediatisch, also medientauglich, die Medien beherrschend, ein Liebling der Medien.

    Dieser Regierung, die das Land so effizient führt wie ein kompetenter Vorstand ein Unternehmen, hat die Opposition kaum etwas entgegenzusetzen. Es ist ein wenig wie in einer Familie - CDU und SPD sind Vater und Mutter, die umsichtig das Famlienleben gestalten. Und die FDP, die Grünen und die umbenannte PDS spielen die Rolle von drei aufmüpfigen Gören, denen die Eltern es zugestehen, schon mal über die Stränge zu schlagen - auf die Entscheidungen haben sie ja eh keinen Einfluß.




    Also, seit wir die Große Koalition haben, leben wir, was den Unterhaltungswert der Politik angeht, sozusagen in einem permanenten Sommerloch.

    Sommerlöcher müssen gefüllt werden. Beliebt sind schon immer Tiere - das Ungeheuer von Loch Ness, der Wal im Rhein vor ein paar Jahrzehnten, Wölfe in Ostdeutschland, notfalls Kampfhunde.

    Und nun also der Problembär! Ich habe das Wort zum ersten Mal bei Dittsche gehört, in dessen letzter Sendung vor der Sommerpause. Dittsches ganze Phantasie war von diesem Problembären ergriffen, so daß er diesen gar bei Hamburg gesichtet und sich ihm entgegengestellt hatte. Wie immer hatte er seine Anregungen der Bild-Zeitung entnommen.

    Da begriff ich, wie wichtig der Problembär ist.



    Warum? Nun, einmal, weil er eben das ideale Sommerlochtier ist. Auftretend und wieder verschwindend, nicht greifbar und doch irgendwie omnipräsent wie das Ungeheuer von Loch Ness; dabei gefährlich wie die Wölfe aus den Steppen Polens und Rußlands.

    Aber es steckt mehr Problematik hinter dem Problembären und seiner Rezeption durch uns Deutsche. Und diese Problematik führt uns zurück in die Zeit der rotgrünen Koalition.

    Oswald Spengler war der Meinung, eine Kultur lasse sich durch ihr jeweiliges "Ursymbol" kennzeichnen. Als das der Antike sah er den kompakten Körper, als das der chinesischen Kultur den kunstvollen Garten, und das Ursymbol der abendländischen ("faustischen") Kultur war für Spengler der unendlichen Raum.

    Auch historischen Epochen lassen sich solche Ursymbole zuordnen. Das der Adenauer-Zeit war das Goggomobil, das der ersten Großen Koalition unter Kiesinger der Kabinettstisch unter Bäumen, das der Sozialliberalen Koalition Iwan Rebroff und das der Kohl-Ära das Gelsenkirchener Barock.

    Und das Ursymbol der rotgrünen Koalition war der Schäfer, seine Schäflein hütend. Ihr Grundthema war, daß wir Bürger unfähig sind, unser Leben selbst zu regeln, und daß das folglich der Staat für uns tun muß.

    Daß der Staat uns vor allem vor Allem schützen muß, das uns bedroht. Nein, umfassender: das die Natur und überhaupt alles bedroht - also vor den Gefahren einer verschmutzten Umwelt und weggeworfener Dosen, vor der Schweinepest und dem Rinderwahn, vor geldgierigen Bossen und machtgierigen Machos, vor inkorrekten Gedanken und vor Autobahnen, die die Krötenwanderung zu behindern drohen, oder das Biotop seltener Kraniche.

    Damit traf die rotgrüne Koalition den Nerv der Zeit. Eben einer Restaurationsperiode, in der wir Deutschen uns einerseits von den Anstrengungen des Wiederaufbaus und den Turbulenzen der siebziger und achtziger Jahre erholen wollten und in der wir uns andererseits von der bösen Welt um uns herum mit ihren Verwerfungen und Konflikten abschotteten. ("Ohne uns!" war das Schlagwort gewesen, das Schröder seine zweite Kanzlerschaft ermöglicht hatte). Ruhe war die erste Bürgerpflicht, und Schutz des Bürgers vor allen Gefahren war die Pflicht des Staats, des Guten Hirten.

    Die Regierung, die den Guten Hirten als ihr Ursymbol gehabt hatte, ist Vergangenheit. Aber die deutsche Grundstimmung, die sie verkörperte, ist geblieben.




    Und damit sind wir wieder beim Problembären. Das Problem beim Problembären ist, daß er zugleich schutzwürdig ist und bedrohlich.

    Er "bereichert" die Fauna, ist "zurückgekehrt", dieser vom Moloch Zivilisation Vertriebene, man möchte ihn wieder "ansiedeln". So wie die Wölfe in Ostdeutschland, für die es eine ganze Betreuergruppe gibt.

    Einerseits. Andererseits sind ja auch die Schafe irgendwie schutzwürdig, die er reißt. Und letztlich sogar die Menschen, deren Leben und Gesundheit er gefährdet. Dieselbe Grundhaltung des Schützens wendet sich dem Bären zugleich zu und wendet sich gegen ihn.

    Es ist wie in der griechischen Tragödie. Was immer wir tun - wir machen uns schuldig. Am Bären, an seinen Opfern.

    Das sind die Themen, die uns bewegen, diese Grundkonflikte des Menschseins.

    Und Meister Petz verkörpert den Schutz-Konflikt in idealer Weise. Der niedliche Teddy, das schreckliche Raubtier. Er ist beides.

    Was ist dagegen Goleo!