19. Juli 2006

Die Deutschen und das Atom (2): Kampf dem Atomtod

Die seltsame Ablehnung der Atomenergie in Deutschland, die ich im ersten Teil skizziert habe, läßt sich in einem gewissen Umfang aus spezifisch deutschen Erfahrungen, Entwicklungen, Ängsten erklären:
  • Der Niederlage 1945 und der daraus resultierenden antimilitaristischen Bewegung;
  • dem Scheitern der Achtundsechziger Revolution, deren Protagonisten danach teils Umweltschützer und teils militante Kommunisten wurden; im "Anti-AKW-Kampf" sollten diese Bewegungen zusammengeführt werden;
  • und drittens der Erfahrung des Tschernobyl-Unfalls.
  • Schauen wir uns das etwas genauer an; in diesem zweiten Teil die Niederlage 1945 und die antimilitaristische Bewegung.



    Nur ein gnädiges Geschick - nämlich die Niederlage der Wehrmacht vor dem dem Zeitpunkt im Sommer 1945, als die beiden US-Atombomben einsatzbereit waren - hat uns Deutsche davor bewahrt, statt der Japaner die ersten Opfer des Abwurfs der Atombomben zu werden. Wir waren ja vorgesehen gewesen als die Ziele derjeniger Bomben, deren Bau durch die Furcht vor einer Atomrüstung der Nazis motiviert gewesen war.

    Neben den Japanern sind wir das einzige Volk, das der Entsetzlichkeit eines Atomkriegs sozusagen ins Auge gesehen hat. Auch wenn uns das erst, wie dem Reiter über den Bodensee, bewußt wurde, als die Gefahr vorübergegangen war.

    Das begründete eine nationale Grundstimmung, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde; einer der wenigen Punkte, in denen sich Generationen von Deutschen einig waren und sind.



    Kaum irgendwo ist die Atombombe so sehr der Gegenstand nicht nur politischer, sondern auch intellektueller, ja philosophischer Erwägungen und Auseinandersetzungen gewesen wie in Deutschland. Eminente Denker wie Karls Jaspers ("Die Atombombe und die Zukunft der Menschheit"; 1957) und Günther Anders haben sich mit ihr befaßt. Für Anders war sie geradezu ein Lebensthema, auf das er immer wieder zurückkam. Er behandelte es schon 1956 in "Die Antiquiertheit des Menschen", seinem philosophischen Hauptwerk. Einige Jahre später erschien sein Briefwechsel mit dem Hiroshima-Piloten Claude Eatherly, "Off Limits für das Gewissen". Und Anfang der Achtziger Jahre hat er das Thema wieder aufgenommen; in "Die atomare Bedrohung" und dann noch einmal in "Hiroshima ist überall".

    Diese intensive Beschäftigung der Deutschen mit der Gefahr eines Atomkriegs war der Hintergrund dafür, daß Ende der fünfziger Jahre eine Bewegung "Kampf dem Atomtod" entstand (ein Komitee mit diesem Namen wurde 1958 von der SPD mit Unterstützung der Gewerkschaften gegründet), die lange Zeit in Deutschland so stark war wie sonst nur in wenigen anderen Ländern; eigentlich fast nur in England.

    Ihre Stärke erhielt diese Bewegung auch durch die massive Unterstützung der Gewerkschaften, von Teilen der Kirchen und auch linksextremen Kräften, die sie in einen allgemein "antimilitaristischen" und oft auch antiwestlichen und antikapitalistischen Kontext stellten. Man war gegen die Atombombe als Extremform des Militärischen, und man war gegen das Militärische als Ergebnis und Symbol dessen, was man als die grundlegende Fehlentwicklung Deutschlands seit Bismarck, wenn nicht seit Friedrich II ansah.

    Die ablehnende Haltung gegenüber der Atombombe reichte aber weit über das linke Milieu hinaus. Großen Einfluß hatte beispielsweise der Appell der "Göttinger Achtzehn" von 1957 - die Erklärung einer Gruppe von teilweise weltberühmten Atomwissenschaftlern wie Max Born, Werner Heisenberg, Otto Hahn und Max von Laue, die sich gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr richtete.

    Kurz, Atomwaffen waren - und sind - in Deutschland eine Frage der Weltanschauung, ja der Anthropologie, nicht der militärischen Zweckmäßigkeit. Der Versuch von Adenauer und Strauß, der Bundeswehr Zugang zu Atomwaffen zu verschaffen, scheiterte folgerichtig.



    Die friedliche Nutzung der Atomenergie war zunächst von dieser spezifisch deutschen Entwicklung überhaupt nicht tangiert. Im Gegenteil - sie wurde gerade in Deutschland ausgesprochen positiv, geradezu euphorisch gesehen. Die Entwicklung von AKWs erschien als einer der Wege, auf denen Deutschland technologisch wieder seinen früheren Rang würde erreichen können.

    Ab 1955 war den Deutschen die friedliche Nutzung der Atomenergie erlaubt. AKWs wurden geplant und gebaut, und schon 1964 lief die "Otto Hahn" vom Stapel - ein nukleargetriebenes Frachtschiff, das Deutschland an die Spitze des technologischen Fortschritts bringen sollte. Ich habe ein paar Jahre später einen "Kulturfilm" gesehen, in dem die Planung, der Bau und der Einsatz dieses Schiffs in leuchtenden Farben gemalt wurden.

    Man zog also eine scharfe Grenze zwischen der Atombombe, die man verabscheute, und der friedlichen Nutzung der Nuklearenergie, die als ein Segen für die Menschheit galt.


    Die Wende kam erst viel später, in den achtziger Jahren. Ihre Vorgeschichte begann in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, als die anfänglich so fröhlich-antiautoritäre Achtundsechziger Bewegung mit ihren revolutionären Träumen gescheitert war und sich zerlegte: In diejenigen, die den "langen Marsch durch die Institutionen" antraten und diejenigen, die danach suchten, irgendwie doch noch soziale Konflikte zu schüren, aus denen sie den revolutionären Funken zu schlagen hofften. Bei dieser Suche stießen sie auf das Thema "AKWs".

    Ein Thema, das zunächst von lokaler Bedeutung gewesen war, wie im badischen Breisach. Aber sehr schnell wurde es zu einem nationalen Thema. Dazu mehr im dritten Teil.



    Links zu allen Folgen dieser Serie:
  • 1. Der Sonderweg
  • 2. Kampf dem Atomtod
  • 3. Die APO entläßt ihre Kinder
  • 4. Tschernobyl und die Folgen
  • 5. Verursachen AKWs Leukämie bei Kindern?
  • 6. Seriöse Wissenschaft und ihr Mißbrauch durch Politiker