23. Juli 2006

Die Deutschen und das Atom (3): Die APO entläßt ihre Kinder

Im ersten und im zweiten Teil dieser kleinen Serie ging es um den "Ausstieg" aus der Atomenergie als einem seltsamen deutschen Sonderweg; und es ging um die erste Phase seiner Vorgeschichte: Eine heftige, historisch wohlbegründete und sehr emotionale Ablehnung der Atombombe bei einer gleichzeitig ausgesprochen positiven Bewertung der Atomenergie, der man gerade in Deutschland besonders freundlich gegenüberstand, weil sie versprach, uns wieder an die Spitze des technologischen Fortschritts zu führen.



Das war die allgemeine Stimmung bis Anfang der siebziger Jahre gewesen. Wie konnte sich innerhalb von gut zwei Jahrzehnten die Meinung der Deutschen so radikal ändern, daß der von der rotgrünen Koalition 1998, sofort nach dem Machtwechsel, verkündete und Mitte 2000 durch eine Vereinbarung mit der Industrie besiegelte "Ausstieg aus der Atomenergie" auf breite Zustimmung in der Bevölkerung bauen konnte?

Es gab dafür zwei Ursachen. Die eine geht zurück auf das Ende der APO (der "Außerparlamentarischen Opposition") der späten sechziger Jahre, die gewissermaßen - sit venia verbo - freie Radikale hinterließ, die nach einer Bindung suchten. Die andere war der Atomunfall in Tschernobyl im April 1986.

Das eine hatte zur Folge, daß eine politisch sehr aktive Minderheit gegen die Atomenergie agitierte und allmählich Anhänger bis hinein in die gemäßigte Linke gewann, auch bis hinein ins, sagen wir, romantische Bürgertum. Das zweite, der Unfall von Tschernobyl, führte sehr plötzlich und sehr nachhaltig dazu, daß die Position dieser linksextremen und grün-alternativen Minderheit zur Mehrheitsmeinung wurde.



Anfang der siebziger Jahre sollte in Südbaden ein neues AKW gebaut werden; ursprünglich in Breisach und dann in Wyhl. Es gab die lokalen Proteste, die solche großindustriellen Bauvorhaben in ländlichen Gebieten oft begleiten. Die Winzer fürchteten um den Ruf ihres Weins. Diejenigen Südbadener, die vom Tourismus lebten, fürchteten um den Ruf der Region als einer beschaulichen ländlichen Gegend.

Und sodann war dieses Murren, das sehr bald Formen von "Widerstand" annahm, auch ein Protest der eigensinnigen Alemannen gegen etwas, das ihnen von "denen da oben" aufoktroyiert werden sollte. Sie waren schon immer Dickköpfe gewesen, diese Südbadener, die nur nach großem Widerstand in den Südweststaat zu holen gewesen waren. Sie hatten schon immer etwas ungewöhnlich Bodenständiges, diese Leute im Dreyländereck, die seit Jahrhunderten auf drei Staaten verteilt lebten und die ihre landsmännische Identität umso mehr zu erhalten gewußt hatten.

Also, sie protestierten. Sie wollten ihre schöne ländliche "von der Natur begünstigte" (nämlich ungewöhnlich warme) Gegend mit ihrem guten Essen, ihren freundlichen Bewohnern und ihrer alten Kultur nicht durch ein Atomkraftwerk verschandeln lassen. Verständlicherweise, berechtigterweise.



Nun gab es in der gleichen Zeit eine tiefe Krise in der extremen Linken. Die Träume der APO waren damals zerstoben. Man hatte zu seiner großen Überraschung und Enttäuschung feststellen müssen, daß das "Establishment" nicht der "Papiertiger" war, als den man es durchschaut zu haben glaubte.

"Die Arbeiter", dieses auserwählte Volk der APO-Intellektuellen, dachten nicht daran, sich der selbsternannten "Avantgarde" anzuschließen. Sie machten sich im Gegenteil lustig über die Revoluzzer. Sie glaubten der Bild-Zeitung mehr als den Aufklärern, die ihnen immer mehr auf den Pelz rückten, bis zu heroischen Taten wie dem Studienabbruch und Übertritt in eine Hilfsarbeiter- Tätigkeit, um näher an den Werktätigen zu sein.

Aber das alles half nichts. Man kam nicht voran. Die "Bewegung" zerfiel. Es entstanden zahllose "Parteien", die meisten mit einem "K" im Parteinamen, wie KB, KBW, KPD/AO, KPD/ML. Daher wurden sie "K-Gruppen" genannt.



Diese K-Gruppen nun waren damals, als die Südbadener sich zum Protestieren aufmachten, geradezu verzweifelt auf der Suche nach Themen, die es ihnen ermöglichen würden, doch noch erfolgreich "das Proletariat zu agitieren".

Sie hatten große Hoffnungen auf Streiks gesetzt, mußten aber zu ihrer Enttäuschung immer wieder erleben, daß die Arbeiter zwar mehr Lohn und kürzere Arbeitszeiten wollten, aber nicht den Sozialismus. Und da war dann auf einmal diese Protestbewegung in Südbaden. "Spontaner Widerstand", der Traum jedes Revoluzzers.

Kurzum, die lokale, alles anders als sozialistische Protestbewegung wurde von der militanten, immer noch von der Revolution träumenden Linken als der Hebel entdeckt, mit dem man die "Massen politisieren" würde können.



Und sie waren über alle Maßen erfolgreich, die linken Agitatoren. Dazu trug nicht unerheblich der Umstand bei, daß etwa um die gleiche Zeit ein Buch publiziert wurde, das sich verkaufte wie warme Semmeln - Holger Strohms 1973 erschienener Bestseller "Friedlich in die Katastrophe", der schnell die sagenhafte Auflage von 400 000 verkauften Exemplaren erreichte. Was in der zerfallenden APO an Technikfeindlichkeit, an Kapitalismusfeindlichkeit, an Fortschrittsfeindlichkeit entstanden war, fand in diesem Buch gewissermaßen seinen Kristallisationspunkt.

Es entstand die "Anti-AKW-Bewegung", die sich bald über Südbaden hinaus ausdehnte - Grohnde, Brokdorf, Wackersdorf waren die weiteren Wirkungsstätten. Ob neuer Atommeiler, ob Wiederaufbereitungsanlage, ob Endlager - wo immer etwas geplant oder im Bau war, das die friedliche Nutzung der Nuklearenergie voranbringen sollte, waren nun die Gegner zur Stelle. Manchmal friedlich, meist aber mit mehr oder weniger großer Bereitschaft zum Gesetzesbruch, den man als "Gewalt gegen Sachen" als "passiven Widerstand", als "zivilen Ungehorsam" und dergleichen kaschierte.

Das Ergebnis war, daß - zunächst in derjenigen Minderheit der Bevölkerung, die für diese Propaganda der Tat empfänglich war - die Angst, die bis dahin der Atombombe gegolten hatte, auf die Nukleartechnologie als solche übergriff.



Ein Beispiel für die diese Agitation der Linksextremisten findet man in dieser Verlautbarung von 1977. "Das volksfeindliche Atomprogramm der Schmidt-Regierung muß fallen!" war eine der Parolen. Die mittlerweile genügend angeheizte Angst vor der Atomtechnologie sollte auf die Mühlen der Agitation gegen die "Volksfeinde" der sozialliberalen Koalition geleitet werden.

Und natürlich blieb die Entdeckung, daß man mit dem Thema Nuklearenergie "die Massen erreichen" konnte, nicht nur den gelegentlich kriminellen Linksextremisten nicht verborgen, sondern sie erreichte bald auch die von ihrem ganzen Politikverständnis her verbrecherischen Linksextremisten wie die "Revolutionären Zellen" und die "Rote Zora".

"Einige von uns haben sich an den drei Brokdorf-Demos und der Grohnde-Demo beteiligt. Um ehrlich zu sein, lag zu diesem Zeitpunkt unser Interesse an der Anti-AKW-Bewegung hauptsächlich darin, daß sich dort eine breite Militanz entwickelte, daß es dort Putz gab" kann man zB in bemerkenswerter Offenheit hier lesen. Das Zitat stammt aus diesem Werk über die kriminelle Linke; eine "bearbeitete und kommentierte Dokumentation der theoretischen Positionen und praktischen Aktivitäten der Revolutionären Zellen und der Roten Zora." (Einer WebSite, die offen und ohne erkennbare Kritik einer Apologie des politischen Verbrechens Raum gibt; das nur nebenbei).



Fassen wir zusammen: Sieht man von der "Friedensbewegung" ab, so waren die linksextremen Agitatoren nirgends so erfolgreich wie beim Thema Nuklearenergie. Aber es war doch auch wieder nur ein Erfolg, der auf das linksalternative und bürgerlich-romantische Spektrum beschränkt blieb.

Daß aus dieser Minderheitenposition eine breite Überzeugung der Deutschen wurde, hat seine Ursache in dem Unfall von Tschernobyl. Damit befaßt sich der vierte und letzte Teil dieser kleinen Serie.



Links zu allen Folgen dieser Serie:
  • 1. Der Sonderweg
  • 2. Kampf dem Atomtod
  • 3. Die APO entläßt ihre Kinder
  • 4. Tschernobyl und die Folgen
  • 5. Verursachen AKWs Leukämie bei Kindern?
  • 6. Seriöse Wissenschaft und ihr Mißbrauch durch Politiker