26. November 2006

Randbemerkung: Mischas Begräbnis

Kleine symbolische Gesten verraten oft mehr über politische Verhältnisse als laute Reden.

Gestern wurde Markus Wolf zu Grabe getragen. Unter den 1500 Trauergästen waren, selbstverständlich, die alten Tschekisten der Stasi; selbstverständlich auch die heutige Führung der deutschen Kommunisten, allen voran der PDS-Vorsitzende Bisky und deren Ehrenvorsitzender Modrow. Kurz, es trafen sich an Wolfs Grab die Überlebenden der DDR-Nomenklatura.

Aber nicht nur deren Vertreter waren unter den prominenten Trauernden, sondern auch ein Ausländer: Kein Geringerer als der Botschafter der Russischen Föderation in Berlin, Wladimir V. Kotenew.



Er war nicht nur einer der Trauergäste, sondern er spielte eine hervorgehobene Rolle auf diesem Begräbnis. Die Junge Welt kündigte es vorgestern so an:
Die Trauerfeier findet um 11 Uhr auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde statt. Redner sind der Botschafter Rußlands, Wladimir Kotenew, der Regisseur Manfred Wekwerth und die Schauspielerin Renate Richter.
Und Fokus Online berichtete am gleichen Tag:
Vladimir Kotenev, der Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland, wird am Samstag bei der Beisetzung von Markus Wolf die Trauerrede halten. Das bestätigte sein Sprecher gegenüber FOCUS Online. (...) Botschafter Vladimir Kotenev werde Markus Wolf in seiner Trauerrede als einen Freund und Kenner Russlands charakterisieren, so sein Sprecher. Außerdem wolle er ihn als einen Mann würdigen, der an seine Ideale glaubte und für den Freundschaft kein leerer Begriff gewesen sei.
In der gestrigen Berichterstattung von dem Begräbnis wurde Kotenews Rolle allerdings überwiegend weniger in den Vordergrund gestellt. In der dpa-Meldung von Jutta Schütz, wie man sie zum Beispiel bei N.24 lesen kann, steht dazu ein einziger Satz im letzten Teil der Meldung:
Botschafter Kotenev sagte, an "Mischa" Wolf erinnerten sich in seinem Land viele Menschen. Wort und Tat seien bei Wolf nicht auseinander gegangen.



Mir scheint, damit wird der Brisanz des Vorgangs nicht Rechnung getragen.

Markus Wolf war jemand, der jahrzehntelang als überzeugter Kommunist aktiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gekämpft hat. Seine Tätigkeit als Chef der Auslandsaufklärung der DDR war zwar, wie höchstrichterlich klargestellt wurde, als solche nicht justiziabel. Aber wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Nötigung wurde er 1997 rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren sowie einer Geldstrafe verurteilt.

Daß der Botschafter einer auswärtigen Macht auf einem Begräbnis die Trauerrede hält, ist für sich genommen schon ein seltenes Ereignis. Es ist, selbstverständlich, nicht dessen persönliche Geste, sondern ein diplomatischer Akt von hoher Aussagekraft. Wenn ein Land seinem Botschafter einen solchen Auftrag erteilt, dann will es damit ein politisches Signal setzen. Wenn das aber noch dazu beim Begräbnis eines Mannes geschieht, der jahrzehntelang an vorderster Front gegen das Gastland dieses Botschafters gearbeitet hat, dann hat es diplomatische Brisanz. Es ist ein Affront.



Darüber, was Putins Rußland mit dieser ostentativen Würdigung eines hochrangigen deutschen Kommunisten - noch dazu eines wegen Straftaten verurteilten - signalisieren wollte, kann man nur Vermutungen anstellen. Hier ist eine:

Wolf war seit 1936 sowjetischer Staatsbürger gewesen. Er hatte exzellente Beziehungen zur sowjetischen Nomenklatura, wie sich auch bei seiner Flucht 1989 in die UdSSR zeigte. Nein, das ist eigentlich zu wenig gesagt. Er gehörte zu dieser sowjetischen Funktionärselite.

Diese Nomenklatura ist - hier im Westen viel zu wenig beachtet - dabei, auch im postkommunistischen Rußland wieder die Fäden der Macht in die Hand zu bekommen. Wie der "Spiegel" in seiner Putin-Titelgeschichte vom 10. Juli dieses Jahres berichtet, stammen die russischen Regierungsbürokraten inzwischen zu 77 Prozent aus Geheimdienst und Militär. Die beiden Autoren des Artikels, Walter Mayr und Christian Neef, sprechen von einer "marxistisch-leninistisch vorgebildeten Putin-Kamarilla".

Die Sowjethymne wurde unter Putin wieder die russische Nationalhymne. In den Streitkräften wurde wieder die Rote Fahne eingeführt. Kleine symbolische Gesten. Wie die Trauerrede des russischen Botschafters am Grab des Kommunisten Wolf.

Der Sowjetbürger Mischa war einer der Ihren gewesen, einer von denjenigen, aus denen sich die Kamarilla Putins rekrutiert. Und so ehren sie ihn als einen der Ihren. Sie signalisieren damit, daß sie sich dazu wieder stark genug fühlen. Auch und gerade gegenüber dem demokratischen Deutschland.

Seltsam, daß dieses Signal in Deutschland so unbeachtet bleibt. Die Regierung tut vielleicht aus diplomatischen Erwägungen gut daran, die Sache nicht hochzuspielen. Aber wo ist die Oppositionspartei, wo sind die Publizisten, die sich zu Wort melden und auf diese, milde gesagt, unfreundliche Geste Rußlands gegenüber Deutschland aufmerksam machen?