12. März 2007

Erpressung, Öffentlichkeit und die Strategie der Dschihadisten

Es gibt, was die Rolle und Funktion von Öffentlichkeit angeht, zwei Arten der Erpressung.

Die eine scheut die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser. Wer jemanden, sagen wir, mit der Kenntnis über einen dunklen Punkt in dessen Leben zu erpressen versucht, der kann das nur solange, wie der betreffende Sachverhalt nicht öffentlich geworden ist. Es liegt im Wesen dieser Art von Erpressung, verdeckt zu sein.

Die zweite Art der Erpressung ist hingegegen öffentlich, ja sie lebt geradezu von Öffentlichkeit. Sie kann überhaupt nur gelingen, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangt. Wer zum Beispiel einen Discounter mit der Drohung erpreßt, Waren seines Sortiments zu vergiften, der droht ihm damit, Kunden abzuschrecken. Abgeschreckt werden Kunden aber nur, wenn die Erpressung öffentlich wird.

Folglich sind die Opfer solcher Erpressungen, ist die Polizei daran interessiert, die Sache geheimzuhalten, soweit das geht. Nur dann, wenn anders ein Schaden nicht abzuwenden ist oder wenn es fahndungstaktisch erforderlich scheint, wird eine solche Erpressung publik gemacht.

Auch die Medien spielen hier im allgemeinen mit. Sie wägen ihre Informationspflicht gegen den Schaden ab, den eine Berichterstattung erzeugen würde, und folgen im allgemeinen dem Rat der Betroffenen und der Polizei.



Diese Abwägung war den Medien auch aufgegeben, als vor fast dreißig Jahren, im Herbst 1977, Hanns- Martin Schleyer von Terroristen entführt worden war. Der Sachverhalt selbst war natürlich sofort gemeldet worden - ich erinnere mich noch sehr gut an die ersten Meldungen am Nachmittag des 5. September - , aber was dann kam, unterlag einer sogenannten Nachrichtensperre.

Die Regierung bat die Medien - mehr konnte sie ja nicht - nichts über den Fall zu publizieren, das nicht mit dem Krisenstab abgestimmt worden war. Die Medien hielten sich daran, nahezu ausnahmslos.

Das führte dazu, daß die Terroristen nicht entfernt den Propaganda- Erfolg erzielten, den sie sie sich von ihrer Aktion versprochen hatten. Von den Videos, die sie mit ihrem Opfer produziert hatten, wurden nur wenige Ausschnitte gezeigt. Die zahlreichen - wohl über 50 - "Erklärungen" mit ihren Propaganda- Phrasen erreichten ihren Adressaten, die deutsche Öffentlichkeit, nicht.



Die Schleyer-Entführung illustriert einen allgemeinen Sachverhalt: Keine Variante der Erpressung ist so auf Öffentlichkeit angewiesen, lebt nachgerade von Öffentlichkeit, wie die politische Erpressung durch Geiselnahme.

Das war vor dreißig Jahren so, als der demokratische Rechtsstaat es mit ein paar Dutzend Kommunisten zu tun hatte, die beschlossen hatten, eine "Rote Armee" aufzubauen, um einen Bürgerkrieg in Deutschland zu entfachen. Es ist heute nicht anders, wo der Freie Westen sich zehntausenden von fanatischen Dschihadisten gegenübersieht.

Die Erpressungen mittels Entführungen, wie sie zum Beispiel im Irak seit Jahren stattfinden, sind im Grunde nichts als ein Stück Agitprop. Propaganda der Tat. Was ja überhaupt das Wesen des Terrorismus ist: Nicht der materielle Schaden zählt, den man durch Anschläge, Entführungen und dergleichen anrichtet, sondern die Angst - eben terror, zu deutsch Angst -, die man damit verbreitet.



Im Einzelnen wechseln die Ziele der Entführungen im Irak: Manchmal geht es den Terroristen darum, ausländische Firmen davon abzuhalten, Kontrakte im Irak einzugehen. Manchmal ist das Ziel, die Verwaltung des Irak zu destabilisieren. Oft geht es aber auch darum, Regierungen zu erpressen. Von der spanischen, der italienischen Regierung zum Beispiel den Abzug ihrer Truppen aus dem Irak zu erpressen.

Und jetzt also will man erpressen, daß Deutschland sein militärisches Engagement in Afghanistan aufgibt.

Dazu brauchen die Terroristen - wie ein Lidl-Erpresser für seine Ziele - die Medien. Und ganz anders als 1977, bei der Schleyer- Entführung, spielen sie diesmal mit, die deutschen Medien. Nein, das ist zu pauschal formuliert: Viele deutsche Medien. Manche tun mehr, als vermutlich der optimistischste Terrorist erwarten konnte.

Die "heute"- Sendung des ZDF hatte gestern um 19 Uhr als Aufmacher die Meldung, daß es ein Video von Extremisten gibt, in dem der Abzug des deutschen und des österreichischen Militärs aus Afghanistan verlangt wird. Es wurden längere Auszüge aus diesem Video gezeigt, komplett mit den deutschen Untertiteln, die die Terroristen eingebaut hatten. Eine bessere Propaganda hätten sich diese Terroristen überhaupt nicht wünschen können.

Wer diejenigen sind, die dieses Video produziert haben, welche Bedeutung sie überhaupt innerhalb der El Kaida oder in ihrem Umfeld haben, ist völlig unklar. Das ZDF aber tut ihnen den Gefallen, ihnen just die Publicity zu verschaffen, die sie für ihre Drohungen brauchen. Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich das schreibe, hat sogar die WebSite von ZDF- "Heute" dieses Thema als Aufmacher.

Bei der El Kaida dürfte heute, da man ja Sektkorken nicht knallen lassen darf, die Pfeife kreisen. Auch wenn - was man natürlich wußte - die Bundesregierung nicht auf die Erpressung eingehen wird, ist der Propaganda- Erfolg erreicht: Viele Deutsche werden darüber nachdenken, ob man nicht besser aus Afghanistan abzieht, um sich nicht weiter solchen Gefahren auszusetzen.



"Spiegel-Online" steht dem nicht nach. Zeitweise als Aufmacher brachte SPON eine längere Analyse des kundigen Yassin Musharbash über die Hintergründe der aktuellen Entführung. Was ja lobenswert ist. Aber warum mußte SPON darin Informationen verpacken, die es erlauben, mit ein wenig Googeln auf eine deutschsprachige WebSite zu gelangen, auf der in geradezu unglaublicher Weise Mord verherrlicht wird? Auf der sich seitenlang Eintragungen finden wie dieser:
Freitag, 22.09. 2006: - Das zum detonieren bringen eines Sprengsatzes, bei einem Auto der abtrünnigen Polizei im Khaless Gebiet, was zur Tötung von 2 von ihnen (einer von ihnen war ein Offizier) und zur Verletzung von anderen führte, aller Lob und Dank gebührt Allah. - Das zum detonieren bringen eines Sprengsatzes, bei einem Humvee-Fahrzeug der abtrünnigen Polizei im Khaless Gebiet, was zur Tötung von 2 von ihnen und zur Verletzung von weiteren führte, aller Lob und Dank gebührt Allah. - Tötung von 2 Spionen, die zu Gunsten der Kreuzdiener arbeiteten, im Katoun Gebiet, aller Lob und Dank gebührt Allah. Samstag. 23. 09. 2006: - Tötung eines Spions, der zu Gunsten der Kreuzdienertruppen arbeitete, in Schahraban, aller Lob und Dank gebührt Allah.
Am 1. Oktober 2006 zog diese WebSite von Blogspot zu Wordpress um, und wenn man mit umzieht, dann findet man eine riesige Sammlung von Videos, auf denen jede Art von Mord, Folter, von Abscheulichkeiten aller Art zu sehen sind und verherrlicht werden.

Und man findet dort das Video, das den Deutschen gestern Abend in längeren Auszügen vorzuführen sich die "heute"- Sendung veranlaßt sah.