25. März 2007

Ketzereien zum Irak (8): Die aktuelle Lage in Bagdad und in Anbar

In dem Blog "Iraq the Model", geschrieben von zwei Irakern, zeichnet der Autor Omar ein recht überraschendes Bild von der aktuellen Entwicklung; der militärischen wie auch der politischen.

Vielleicht irrt Omar. Aber wie auch immer - audiatur et altera pars. Zumindest anhören sollte man jemanden, der die Lage anders sieht als die meisten Journalisten. Zumal er ja mitten in ihr drinsteckt, in der Lage im Irak.



Die beiden Kräfte, die vor allem die irakische Demokratie bedrohen, sind, schreibt Omar, die extremistischen Schiiten der Mehdi- Armee auf der einen Seite und die sunnitische El Kaida auf der anderen. Sie bekämpfen einander, sind aber zugleich gemeinsam daran interessiert, die irakische Demokratie scheitern zu lassen. Aus dem Hintergrund unterstützen sie Syrien und der Iran.

Beide haben nun, sagt Omar, in den letzten Wochen ganz erhebliche Rückschläge erlitten.



Was die Mehdi- Armee angeht, so war und ist sie der Hauptgegner bei der seit fünf Wochen anhaltenden Offensive der irakischen Armee und der Koalitionsstreitkräfte in Bagdad; deren Kodename ist Operation "Imposing Law", also Operation "Durchsetzung des Gesetzes". Omar schreibt dazu:
Nearly five weeks into operation Imposing Law in Baghdad the movement of the Mehdi Army has been largely restrained and its coercion and arm-twisting capacity is at least temporarily contained and with a policy of sustained pressure this threat can be drastically reduce[d].

Nach fünf Wochen der Operation "Imposing Law" in Bagdad ist die Bewegungsfreiheit der Mehdi- Armee weitgehend eingeschränkt, und ihre Fähigkeit zum Zwang und zur Einflußnahme ist zumindest vorübergehend unter Kontrolle. Mit einer Politik anhaltenden Drucks auf sie kann diese Bedrohung drastisch verringert werden.
Und wie steht es mit der El Kaida? Ihre Strategie war und ist es, in mindestens einer Provinz so stark zu werden, daß sie dort die Keimzelle eines neuen Islamischen Staats errichten kann. Dazu hatte sie die Provinz Anbar ausgesucht, im Sunnitischen Dreieck. Dazu schreibt Omar:
The "Islamic State in Iraq" a branch of al-Qaeda has been dealt several good blows recently in the same city they were planning to announce as the first capital of their state.

For four years since the liberation of Iraq Anbar remained distant from the rest of the country, defiant to the central government and a dangerous place for everyone including its own sons…this is slowly, yet clearly, changing now.

For a few months after more than two dozens of tribes formed the "Anbar Awakening Council" not much success was reported but recently there's been a constant stream of reports on battles between the tribes and al-Qaeda in several towns and villages across the vast western province; in most cases the tribes came out triumphant but sacrifices were also made. The restive province is finally coming back into the arms of the state.

Der "Islamische Staat im Irak", ein Zweig der El Kaida, hat in letzter Zeit mehrere kräftige Schläge erlitten; und zwar in genau derjenigen Stadt, die sie als erste Hauptstadt ihres Staats ausrufen wollten.

In den vier Jahren seit der Befreiung des Irak ist Anbar weit weg vom übrigen Irak geblieben, hat sie sich von der Zentralregierung abgewandt und war sie eine gefährliche Gegend für jedermann, einschließlich ihrer Söhne. Das ändert sich jetzt langsam, aber sicher. Nachdem mehr als zwei Dutzend Stämme vor einigen Monaten den "Rat zur Erweckung von Anbar" gegründet hatten, wurden zunächst nicht viele Erfolge gemeldet. Aber neuerdings gibt es einen anhaltenden Strom von Berichten über Kämpfe zwischen den Stämmen und der El Kaida, und zwar in etlichen Städten und Dörfern quer durch diese riesige Provinz. Meist waren die Stämme siegreich, aber es gab auch Opfer. Die widerspenstige Provinz kehrt endlich in die Arme des Staats zurück.
Omar, selbst Stammesangehöriger, erklärt diese Entwicklung aus der Mentalität der Stämme heraus:
Iraq and the western part in particular is a very tribal community and so the increased influence and interference of clerics became a serious threat to the position of sheiks. Sheiks are more businessmen than ideological leaders, like my tribe's sheik put it once "the hell with them [clerics] we want to live like normal people and all they care about is death".

Irak, und besonders sein Westen, ist eine Stammesgesellschaft. Folglich wurde der wachsende Einfluß der Religiösen und ihr Eingreifen zu einer ernsten Bedrohung für die Position der Scheichs. Scheichs sind eher Geschäftsleute als ideologische Anführer. Wie es der Scheich meines Stammes einmal formulierte: "Zur Hölle mit ihnen [den Religiösen]. Wir wollen als normale Menschen leben, und sie kümmern sich nur um den Tod."
Anbar, so urteilt Omar, sei für die El Kaida so gut wie verloren. Sie versuchten jetzt eine Machtbasis in der benachbarten Provinz Diyala aufzubauen; aber dort stünden ihre Chancen noch schlechter als in Anbar.



Wunschdenken? Vielleicht.

Aber mir scheint auch der Pessimismus vieler Gegner des Irak- Kriegs bei uns im Westen nur allzu sehr von Wunschdenken geprägt zu sein. "Es geschieht den Irakern ganz recht, daß sie sich von Bush haben befreien lassen; jetzt sehen sie, wohin das führt". So scheinen mir viele zu denken.

Omar und Mohammed, die beiden Blogger in Bagdad, sind alles andere als optimistisch, und sie betonen das immer wieder. Nur teilen sie nicht diesen ideologischen Pessimismus, diesen Defätismus, der bei uns im Westen so wohlfeil ist.

Denn uns träfe es ja nicht, wenn der Irak tatsächlich im Bürgerkrieg versinken würde, oder wenn ein Gottesstaat dort alle die einkerkern, vertreiben oder ermorden würde, die jetzt für Freiheit und Demokratie im Irak eintreten.