1. März 2007

Randbemerkung: Was ist Walter Steinmeier eigentlich vorzuwerfen?

"Neue Vorwürfe gegen Außenminister Steinmeier" titelt im Augenblick Spiegel- Online.

Ein amerikanischer Regierungsbeamter, Pierre Prosper, der für die Rückführung von Guantánamo- Häftlingen zuständig gewesen war, hat in "Monitor" gesagt, daß während seiner Amtszeit Deutschland "niemals Interesse bekundet" habe; Interesse an eine Rückführung von Kurnaz nach Deutschland.

Wieso ist das eigentlich ein Vorwurf? Nicht nur Spiegel- Online, sondern ein großer Teil der an der Diskussion des Falls beteiligten Medien setzt offenbar stillschweigend voraus, daß es richtig gewesen wäre, Kurnaz nach Deutschland zu holen. Und daß es folglich ein "Vorwurf" sei, Steinmeier habe das nicht getan.



Vor fünf Wochen habe ich hier darauf hingewiesen, daß eine Fürsorgepflicht des deutschen Staats für einen türkischen Islamisten, der in Pakistan den Kontakt zu der extremistischen Organisation Tablighi Jamaat gesucht hat, nicht zu begründen ist. Auch dann nicht, wenn der Mann in Bremen aufgewachsen ist.

Nun könnte man immer noch argumentieren, einen Menschen aus Guantánamo zu holen sei sozusagen eine humanitäre Pflicht. Aus einem solchen Lager, das doch - so könnte man ja meinen - fast schon Züge eines KZ trägt.

Hier ist ein gut ein Jahr alter Bericht über die Haftbedingungen in Guantánamo Bay; erschienen in der "Süddeutschen Zeitung", verfaßt von Ronald D. Rotunda, Rechtsprofessor an der George Mason School of Law in Arlington, Virginia; zur Zeit der Publikation Gastprofessor in Hamburg. Auszüge aus seinem Bericht:
Ich habe Guantanamo mehrmals besucht und hatte unbeschränkten Zugang zu allen Teilen des Lagers. (...)

Die Häftlinge wollen Wasser aus Flaschen. Sie erhalten dies, während ihre Wächter Leitungswasser trinken.

Das Militär hat frische Datteln und andere Früchte aus dem Mittleren Osten eingeflogen, sodass die Gefangenen muslimische Feiertage, wie Ramadan und Eid al Fitr, entsprechend ihren religiösen Gebräuchen begehen können. Das Rote Kreuz inspiziert die Basis regelmäßig.

Die Gefangenen erhalten die gleiche medizinische Versorgung wie die Soldaten. Einige erhalten zum ersten Mal Brillen und notwendige Medizin. (...)

In jeder Zelle in Guantanamo informiert ein Pfeil die Gefangenen darüber, wo Osten ist - die Himmelsrichtung, in die Muslime ihre Gebete sprechen. Islamische Mullahs halten den Gottesdienst in der Sprache der Gefangenen ab, und fünfmal am Tag wird zum Gebet gerufen. (...)



Man braucht sich nicht unbedingt den Kontrast zu den Haftbedingungen im benachbarten cubanischen Gefängnis Combinado de Guantánamo vor Augen zu führen, um zu erkennen, daß die Haftbedingungen in Guantánamo Bay keineswegs inhuman sind.

Aber was ist mit den Folterungen? Auch dazu schreibt Rotunda etwas:
Nach ihrer Entlassung haben einige gegenüber den Medien angegeben, sie seien gut behandelt worden. Andere haben Foltervorwürfe erhoben. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Folter tatsächlich stattgefunden hat, da das Al- Qaida- Trainingshandbuch seine Mitglieder anweist, stets zu behaupten, sie seien gefoltert worden.
Ob das auch diejenigen wissen, die Murat Kurnaz offenbar abnehmen, daß er die lautere Wahrheit spricht; ohne die Skepsis, die man einem Zeugen in eigener Sache entgegenbringen sollte, zumal einem in eigener politischer Sache?