5. April 2007

"Buback hin, das macht Sinn": Erinnerung an einen Mord. Bemerkungen zur Sprache des Unmenschen

Vor dreißig Jahren, am Grün- Donnerstag 1977, wurde der General- Bundesanwalt Siegfried Buback ermordet; zusammen mit ihm sein Fahrer Wolfgang Göbel und der Beamte Georg Wurster.

Buback war das erste Opfer in einer Serie von Morden, denen danach der Bankier Ponto, Hanns Martin Schleyer und andere zum Opfer fielen.

Die Serienmörder sind bis heute nicht eindeutig identifiziert. Fest steht, daß Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Günter Sonnenberg und Knut Folkerts beteiligt waren. Wer die drei Menschen erschoß, die am 7. April 1977 starben, ist unbekannt. Die Täter verweigern bis heute ein Geständnis.



Auf den Gedenktag aufmerksam geworden bin ich durch einen ausgezeichneten Artikel von Heribert Prantl in der heutigen Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung". Prantl ist selbst Jurist und war, bevor er Journalist wurde, als Staatsanwalt tätig. Sein Artikel ist ungewöhnlich sachkundig und enthält viele Einzelheiten, die mir unbekannt gewesen waren.

Beispielsweise, daß das Bekennerschreiben die zynische Feststellung enthielt: ""für 'akteure des systems selbst' findet die Geschichte immer einen Weg. (...) Am 7.4.77 hat das Kommando Ulrike Meinhof Generalbundesanwalt Buback hingerichtet".

Auch den Spruch im Titel dieses Beitrags habe ich dem Aufsatz von Prantl entnommen. Dergleichen war damals überall zu lesen - an den Wänden der Uni- Gebäude, in Flugbättern abgedruckt.



Ich erinnere mich noch gut an die damaligen Meldungen und die Reaktionen darauf. Der Mord war Tagesgespräch in der Uni.

Freilich sprach kaum jemand von einem Mord. Die vorherrschende Reaktion war ungläubiges Staunen - darüber, daß die RAF sich tatsächlich getraut hatte, einen, wie man dachte, scharf bewachten hohen Beamten auf offener Straße "anzugreifen", und daß der Anschlag gelungen war - nicht nur Buback und seine Begleiter tot, sondern die Attentäter entkommen und wie vom Boden verschwunden.

Das imponierte. Es wurde mit Bewunderung diskutiert; Bewunderung zum Beispiel für die Idee, daß man sich einfach durch Motorradhelme mit heruntergeklapptem Visier tarnte statt mit einer Strumpfmaske, wie das gewöhnliche Kriminelle gemacht hätten. Und daß man mit dem Motorrad auch besser hatte entkommen können als mit einem Pkw.

Was mich im Rückblick am meisten erschreckt, das ist die unglaubliche Verrohung des Denkens vieler damaliger Studenten; der hämische Zynismus, der damals an der Tagesordnung war. Es war, ich habe das hier schon mehrfach geschrieben, das Denken der Nazis; nur daß der Feind der Menschheit jetzt nicht mehr die Juden waren, sondern die Kapitalisten. (Was für viele keinen großen Unterschied machte; so wenig, wie für die Nazis selbst).

Buback - so sahen es viele, sehr viele - war ein "Schwein", eine "Charaktermaske des Repressionsapparats". Daß so jemand "hingerichtet" wurde, damit hatte man kein Problem. Allenfalls wurde diskutiert, ob das denn die richtige Strategie ist, um die Macht zu erobern.



Einige Tage nach dem Mord wurde ein Text publik, der an der Universität Göttingen zunächst als Flugblatt einer linksextremen Studentengruppe namens BUF ("Bewegung undogmatischer Frühling") erschienen und dann vom dortigen, kommunistisch beherrschten ASTA nachgedruckt worden war. Eine Formulierung aus diesem Text eines gewissen "Mescalero" ist zum geflügelten Wort geworden: Die von der "klammheimlichen Freude", die der Autor als seine Reaktion auf den Mord - nein, er schreibt "Abschuß" - nennt.

Es lohnt sich aber, auch andere Passagen aus diesem Text nachzulesen:
Meine unmittelbare Reaktion, meine "Betroffenheit" nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen. Ich habe diesen Typ oft hetzen hören, ich weiß, das er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte.

Wer sich in den letzten Tagen nur einmal genau sein Konterfei angesehen hat, der kann erkennen, welche Züge dieser Rechtsstaat trägt, den er in so hervorragender Weise verkörperte. (...) Ehrlich, ich bedaure es ein wenig, daß wir dieses Gesicht nun nicht mehr in das kleine rot- schwarze Verbrecheralbum aufnehmen können, das wir nach der Revolution herausgeben werden, um der meistgesuchten und meistgehaßten Vertreter der alten Welt habhaft zu werden und sie zur öffentlichen Vernehmung vorzuführen. Ihn nun nicht mehr - enfant perdu.

(...) Ich habe auch über eine Zeit hinweg (wie so viele von uns) die Aktionen der bewaffneten Kämpfer goutiert; ich, der ich als Zivilist noch nie eine Knarre in der Hand hatte, eine Bombe habe hochgehen lassen. Ich habe mich schon ein bißchen dran aufgegeilt, wenn mal wieder was hochging und die ganze kapitalistische Schickeria samt ihren Schergen in Aufruhr versetzt war. Sachen, die ich im Tagtraum auch mal gern tun tät, aber wo ich mich nicht getraut habe sie zu tun.

Ich habe mir auch jetzt wieder vorgestellt, ich wäre bei den bewaffneten Kämpfern. (...) Wie ich mich monatelang darauf vorbereiten müßte, daß Buback weg muß, wie mein ganzes Denken von Logistik und Ballistik bestimmt wird. Wie ich mir sicher sein kann, das [sic] dieser und kein anderer sterben muß, wie ich in Kauf nehme, das [sic] auch ein anderer dabei draufgeht, ein dritter vielleicht querschnittsgelähmt sein wird etc.

(...) Aber wer und wieviele Leute haben Buback (tödlich) gehaßt. Woher könnte ich, gehörte ich den bewaffneten Kämpfern an, meine Kompetenz beziehen, über Leben und Tod zu entscheiden?

Wir alle müssen davon runterkommen, die Unterdrücker des Volkes stellvertretend für das Volk zu hassen, so wie wir allmählich schon davon runter sind, stellvertretend für andere zu handeln oder eine Partei aufzubauen. Wenn Buback kein Opfer des Volkszornes wird (oder wegen mir auch des Klassenhasses, damit kein falscher Verdacht aufkornmt), dann geht die Gewalt, die so ausgeübt wird, ebensowenig vom Volk aus, wie Bubacks Gewalt vom Volke ausging.

Wir brauchen nur die Zeitungen aufzuschlagen und die Tagesmeldungen zu verfolgen: die Strategie der Liquidierung, das ist eine der Strategien der Herrschenden. Warum müssen wir sie kopieren? Die Leute (das Volk:) haben Angst davor, sie haben ihre Erfahrungen damit gemacht, genauso wie mit Einkerkerung und Arbeits1ager. Was wir auch tun: es wirft immer ein Licht auf das, was wir anstreben. Wir werden unsere Feinde nicht liquidieren. Nicht in Gefängnisse und nicht in Arbeitslager sperren und deswegen gehen wir doch nicht sanft mit ihnen um.

(...) Um der Machtfrage willen (o Gott!), dürfen Linke keine Killer sein, keine Brutalos, keine Vergewaltiqer, aber sicher auch keine Heiligen, keine Unschuldslämmer. Einen Begriff und eine Praxis zu entfalten von Gewalt/ Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten Massen haben, das ist (zum praktischen Ende gewendet) unsere Tagesaufgabe. Damit die Linken, die so handeln, nicht die gleichen Killervisagen wie die Bubacks kriegen.


Ich habe längere Passagen zitiert, um deutlich zu machen, wie diese "Mescalero" argumentiert; wie viele damals gedacht haben:

Nicht der Mord wird verurteilt, weil er ein Verbrechen ist. Von Mitleid mit den Opfern keine Spur; stattdessen Hohn und Haß. "Mescalero" kritisiert lediglich, daß die RAF nicht die Zustimmung der Bevölkerung habe; daß man deshalb "Gewalt/Militanz" brauche, die "den Segen der beteiligten Massen haben". "Opfer des Volkszorns" hätte Buback schon werden sollen; aber den "bewaffeneten Kämpfern" mangelt es, so befindet Mescalero, an "Kompetenz".

So dachten sie damals, die "Spontis", die "Straßenkämpfer", die Maoisten und "undogmatischen Linken".



Im Januar 2001 traf Jürgen Trittin, der in jenen Jahren in Göttingen Mitglied des "Kommunistischen Hochschulbunds" (KHB) gewesen war und auf einer Kundgebung den Abdruck des "Mescalero"-Textes verteidigt hatte, im ICE zufällig mit dem Sohn des ermordeten Siegfried Buback, dem Chemieprofessor Michael Buback zusammen. Was dann geschah, beschrieb damals der "Tagesspiegel":
"Ich bin hingegangen, habe mich vorgestellt und ihn gefragt", sagt Buback. Die Frage lautete: "Haben Sie sich inzwischen von diesem unsäglichen Buback Nachruf distanziert?" Der Professor berichtet, Trittin habe geantwortet: "Warum sollte ich?" Eine barsche Reaktion. (...) Dann schob der Minister eine zweite Gegenfrage nach: "Haben Sie ihn überhaupt zu Ende gelesen?"
Trittin hat sich später, als die Sache bekannt geworden war, erklärt und zu rechtfertigen versucht; man kann das in dem "Tagessspiegel"- Artikel nachlesen. Daß es eine Schande war, überhaupt einen Artikel zu veröffentlichen, der so die Sprache des Unmenschen spricht wie dieser "Mescalero"- Artikel, hat Trittin nicht gesagt.