30. Juni 2007

Helmut Schmidt, Henry Kissinger, und überhaupt Elder Statesmen

Wer sind die größten Elder Statesmen unserer Zeit? Nach meinem Urteil Helmut Schmidt und Henry Kissinger. Gorbatschow wohl nicht; ihn zeichnete moralischer Mut aus, aber nicht politisches Geschick. Margaret Thatcher könnte man einbeziehen, aber sie ist längst verstummt.

Schmidt und Kissinger, beide hoch in den Achtzigern, sind hingegen nicht nur munter und präsent in der Öffentlichkeit.

Sondern sie sind beide auch Musterbeispiele für das, was frühere Kulturen schätzten, wenn sie einem "Rat der Alten", einem Senat also, eine wichtige Rolle einräumten.



Warum ist es gut, auf den Rat der Alten - solcher Alten wie Kissinger und Schmidt - zu hören? Aus drei Gründen, scheint mir:

Erstens wegen der Selektivität. Die Mittelmäßigen erreichen schlicht nicht den Status des Elder Statesman. Niemand käme auf den Gedanken, heute noch auf den Rat eines Gerhard Schröder, eines Lionel Jospin, eines Giulio Andreotti zu hören.

They have had their time, sagt man im Englischen; sie hatten ihre Zeit. Ihre Halbwertzeit war gering. Auf Alte hört man nur dann, wenn sie große Alte sind.

Es bleiben nur wenige übrig, die auch Jahrzehnte nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik noch so Kluges sagen, daß man sie hört; vielleicht sogar auf sie hört. Ich kennen niemanden unter den Elder Statesmen, der Klügeres sagt als Henry Kissinger und Helmut Schmidt.

Zweitens haben die Alten, trivialerweise, den Jungen die Erfahrung voraus. Erfahrung bedeutet, daß man die meisten Situationen so ähnlich schon einmal erlebt hat und daß man folglich extrapolieren kann - also vorhersagen, wie sich die betreffende Situation vermutlich entwickeln wird. Nothing new under the sun.

Erfahrung bedeutet auch Vorsicht. Junge Menschen tendieren zum Wunschdenken. Sie überschätzen, anders gesagt, die Wahrscheinlichkeit, daß die Dinge sich so entwickeln werden, wie sie es wünschen. Napoléon, Kennedy, George W. Bush sind drei klassische Beispiele dafür, wie das zu Entscheidungen führen kann, die sich als verhängnisvoll erweisen.

Drittens und hauptsächlich haben die Alten nichts mehr zu verlieren und nichts mehr zu gewinnen. Sie können also ehrlich sein, sich sine ira et studio äußern, wie Cicero das formuliert hat - ohne Eifer, ohne Zorn.



Wie es der Zufall will, kann man diese Woche in ein- und demselben schmalen Heftlein, der aktuellen Ausgabe des Zeit-Magazins Leben, Interviews sowohl mit Henry Kissinger als auch mit Helmut Schmidt lesen. Das kleine Gespräch mit Schmidt ist Teil einer regelmäßigen Kolumne, "Auf eine Zigarette". Das Interview mit Henry Kissinger haben Christoph Amend und Matthias Nass geführt.

Henry Kissinger über George W. Bush:
Er ist sehr patriotisch und nimmt sich selbst sehr in die Pflicht; er ist intelligent, auch wenn seine Kritiker das Gegenteil behaupten; ein Mann, der gute Fragen stellt. Er hat begriffen, dass die sogenannte terroristische Herausforderung ein weltweites Phänomen ist. Er übernimmt für seine Entscheidungen die Verantwortung. Er ist mit sich im Reinen.
Henry Kissinger über die Situation im Irak:
Bleibt Amerika im Irak, werden selbst militärische Erfolge von vielen nicht gewürdigt werden. Zieht Amerika sich zurück, wird es zu Unruhen im Libanon, in Jordanien, in Saudi-Arabien kommen. Es ist dann sehr wahrscheinlich, dass Terroristen ihre Camps in den Irak verlegen werden. Und Nachbarländer wie die Türkei oder Iran werden dann ihre Interessen im Irak, wenn nötig, militärisch verfolgen.
Henry Kissinger über den Vietnam-Krieg:
Amerika hat interveniert, nachdem Hanoi reguläre Divisionen nach Südvietnam eingeschleust hatte. Amerika tat dies, weil die Regierungen Kennedy und Johnson in Vietnam die gleichen Prinzipien der Eindämmungspolitik anzuwenden versuchten, die in Europa funktioniert hatten. Ihre Methoden mögen erfolglos gewesen sein; aber es ist nicht fair, jene anzuklagen, die sich einem Angriff entgegenstemmten, statt diejenigen, die in Südvietnam einmarschiert sind.
Helmut Schmidt über die Folgen des Wahlrechts:
Wo es Verhältniswahlrecht gibt, da entstehen zwangsläufig linksextreme und rechtsextreme Parteien. Das sehen Sie in Italien, in Frankreich, in den Niederlanden und jetzt auch in Deutschland.
Über SPD-Wähler:
Einige SPD-Wähler möchten an Regeln festhalten, die nicht mehr realistisch sind. Sie möchten an dem Wohlstand festhalten, den ihnen der Sozialstaat verschafft hat. Daß die Welt sich ändert ... schafft Unsicherheit und Besorgnisse. Dann gibt es Leute wie diesen Lafontaine, die auf diesem Klavier spielen und Ängste schüren.
Sie sagen, wie es ist, die beiden Alten. Sie sagen es ehrlich und mit analytischem Verstand.



Nur gibt es wohl auch einen Gesichtspunkt, unter dem man die Meinung der weisen Alten mit Vorsicht zur Kenntnis nehmen sollte: Sie tendieren zur Treue.

Wer sein Leben lang einer Sache treu geblieben ist, der gibt sie nicht auf; auch bei besserer Einsicht nicht.

Kissinger hat Nixon die Treue gehalten, als es dafür schon keine Basis mehr gab. Er glaubt immer noch, daß der Frieden, den er mit Le Duc Tho 1972 schloß, hätte tragfähig sein können.

Und Helmut Schmidt äußert sich zwar über Oskar Lafontaine mit der Geringschätzung, die dieser verdient.

Aber er vergißt oder verdrängt, daß es die gesamte SPD in Gestalt ihrer gewählten Delegierten gewesen ist, die auf dem Mannheimer Parteitag 1995 den - von den Mitgliedern in Urabstimmung! - gewählten Vorsitzenden abserviert hat, nachdem Lafontaine eine demagogische Rede gehalten hatte.

Und es waren die gewählten Delegierten dieser Partei Helmut Schmidts, die diesen Demagogen - er war damals keinen Deut anders als heute -, die diesen intriganten Putschisten, ohne daß das in den Parteigliederungen auch nur diskutiert worden wäre, zu ihrem Vorsitzenden gewählt haben.

Das war nicht mehr die SPD Helmut Schmidts. Schade, daß er dieser Partei trotzdem eine Treue hält, die sie nicht mehr verdient.

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