22. Juni 2007

Zettels Meckerecke: Über das schöne Leben unter der Hamas. Nebst einer Anmerkung zum Revolutionstourismus

Auf der Meinungs- Seite der "New York Times" schrieb vorgestern ein gewisser Ahmed Yousef einen Kommentar, in dem zu lesen war:
The events in Gaza over the last few days have been described in the West as a coup. In essence, they have been the opposite. (...)

The streets of Gaza are now calm for the first time in a very long time. We have begun disarming some of the drug dealers and the armed gangs and we hope to restore a sense of security and safety to the citizens of Gaza. We want to get children back to school, get basic services functioning again, and provide long-term economic gains for our people.

Our stated aim when we won the election was to effect reform, end corruption and bring economic prosperity to our people. Our sole focus is Palestinian rights and good governance. We now hope to create a climate of peace and tranquillity within our community (...)

We continue to believe that there is still a chance to establish a long-term truce.

Die Ereignisse in Gaza während der vergangenen Tage sind im Westen als Putsch bezeichnet worden. Im wesentlichen waren sie das Gegenteil (...).

Zum ersten Mal seit langer Zeit sind die Straßen von Gaza jetzt ruhig. Wir haben mit der Entwaffnung einiger der Drogen- Dealer und der bewaffneten Banden begonnen und hoffen, den Bürgern Gazas ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit zurückzugeben. Wir wollen, daß die Kinder wieder in die Schule gehen, daß die Grundversorgung wieder funktioniert, und wir wollen für unser Volk langfristig wirtschaftliche Verbesserungen.

Unser ausdrückliches Ziel, als wir die Wahlen gewannen, war die Durchführung von Reformen, ein Ende der Korruption und wirtschaftlicher Wohlstand für unser Volk. Unser einziger Schwerpunkt sind die Rechte der Palästinenser und gute Regierung. Jetzt hoffen wir ein Klima des Friedens und der Ruhe in unserer Gemeinschaft herzustellen.

Wir glauben weiterhin, daß es immer noch eine Chance für einen lang anhaltenden Waffenstillstand gibt.

Das nennen ich eine faire Presse, in der der Autor dieser Agitprop, ein Ratgeber des Hamas- Führers Ismail Haniya, sich derart äußern darf. Nicht als Leserbrief, nicht als Zitat, von dem die Redaktion sich distanziert. Sondern als ein Op-Ed- Kommentator wie jeder andere.



Da will "Spiegel-Online", freilich weniger zur Weltpresse zählend, nicht nachstehen. Gestern gleich mit zwei langen Pro- Hamas- Beiträgen.

Erstens mit einem Interview mit einem Hamas- Führer, über das in Spirit of Entebbe Informatives zu lesen ist.

Und zum anderen mit einem zweiteiligen Artikel von Ulrike Putz, die auch das Interview geführt hatte, und in dem Sätze stehen wie:
Als Israel am Mittwoch zum ersten Mal seit einer Woche wieder ausländische Journalisten nach Gaza ließ, wusste niemand so recht, was ihn erwartet. Nicht das: Gaza, wie es die allermeisten von uns noch nie erlebt haben. Lebhaft, fast schon lebenslustig. Wo früher an den Straßenkreuzungen Uniformierte mit Kalaschnikows standen, regeln jetzt Männer in neongelben Schutzwesten den Verkehr. Dass sie dazu von der Hamas abgestellt sind, zeigen die grünen Schirmmützen mit dem Logo der islamistischen Partei. (...)

"Endlich leben wir in friedvollen Zeiten", ruft uns ein Mann, dessen Familie sich am Strand zum Picknick versammelt hat, zu sich. Er ist Englischlehrer bei einer von der Uno betriebenen Grundschule in einem Vorort von Gaza- Stadt. Noch vor zwei Wochen sei das Leben in Gaza furchtbar gewesen, sagt er. "Wer immer wollte, konnte dir ein Bestechungsgeld abpressen, konnte dich einfach anhalten und dein Auto stehlen", sagt Abu Bashar. Das sei nun vorbei.
Und so weiter. Ein paar salvatorische Klauseln - die Ruhe sei trügerisch usw. -, aber insgesamt ein Bild der Idylle, das Ulrize Putz für uns entwirft.



Mich erinnert das an den "Revolutionstourismus" nach Lenins Sieg in Rußland. Da sahen viele Journalisten auch nur die Wiedereinkehr von Ruhe und Ordnung, die fröhlichen Menschen, die Aufbruchstimmtung.

Ebenso positiv berichteten viele westliche Journalisten über Deutschland, als sie es anläßlich der Olympischen Spiele 1936 besuchten.

Ruhe und Ordnung sind halt leicht zu erkennen. Die Verhaftungen und Folterungen, die Verfolgung Andersdenkender, das Klima der Angst, das eine Diktatur mit sich bringt, erschließt sich nicht jedem Naiven, der zwecks Berichterstattung irgendwo hinfährt.

Naja, er muß ja nicht naiv sein. Vielleicht weiß er auch, wessen Sichtweise er darstellt, und warum.

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