27. Oktober 2007

Zettels Meckerecke: Die Partei des Demokratischen Sozialismus findet wieder zu sich selbst

Die SPD, die laut Entwurf des "Hamburger Programms" in der "stolze[n] Tradition des demokratischen Sozialismus" steht, hat heute zu sich selbst zurückgefunden.

Sie hatte sich unter der Knute des "Basta"- Kanzlers geduckt und zähneknirschend Reformen "mitgetragen", die sie innerlich zutiefst ablehnte. Anschließend mußte sie sich der Koalitionsdisziplin beugen und erneut ihr Wesen verleugnen. Sie lag am Boden wie ein gut erzogener Hund, der "abgelegt" ist und der auf das kleinste Zeichen seines Herrchens oder Frauchens wartet, daß er aufspringen und losjagen darf.

Dieses Zeichen hat Kurt Beck mit seinem Vorstoß gegen eine Bestimmung der Agenda 2010 gegeben. Die SPD sprang nicht nur auf und jagte los, sondern sie tanzt seither wie toll herum, endlich aus der unnatürlichen Position befreit, in die sie erst Schröder und dann der Koalitionsvertrag gezwungen hatte.

Das ist jetzt vorbei. Becks Vorstoß war - um die Metapher zu wechseln - wie ein Leck in einem Staudamm, das sich schnell weitet und diesen schließlich zum Einsturz bringt. Wie Christoph Keese in Welt-Online schreibt:
Die Verlängerung des Arbeitslosengelds I ist keine "Weiterentwicklung" der Agenda 2010, sondern ein Schlag mit dem Vorhammer dagegen. Die Agenda wird zertrümmert. Ist der erste Schlag einmal getan, werden weitere folgen. Rente mit 67, Verlängerung der Probezeiten, Umlegen von Lohnnebenkosten auf die Arbeitnehmer – lang ist die Liste der "Zumutungen", die Beck den Leuten ersparen will. (...) Der Parteitag debattierte über die Agenda- Zertrümmerung nicht einmal mehr, er stimmte ihr ohne Aussprache mit tosendem Beifall zu.



Wer Parteitage der SPD in den siebziger bis neunziger Jahren erlebt hat, der hatte heute ein Déja-Vu- Erlebnis. Damals gab es ein sicheres Mittel für jeden Redner, den Beifall der Delegierten einzuheimsen: Er brauchte nur an die traditionellen Werte der Sozialdemokratie zu appellieren; er brauchte nur von sozialer Ungerechtigkeit, von Solidarität, von der Notwendigkeit staatlicher Fürsorge zu sprechen, er mußte nur vor den Gefahren eines "ungezügelten Kapitalismus" warnen, um den Beifall auf seiner Seite zu haben. Oskar Lafontaine hat das auf dem Mannheimer Parteitag 1995 so meisterhaft zelebriert, daß anschließend der unglückliche Rudolf Scharping stracks gestürzt und Oskar auf den Schild gehoben wurde.

So war es auch heute in Hamburg. Jede etatistische Äußerung wurde bejubelt; ob jemand sich gegen jede Privatisierung der Bahn aussprach, ob es um die kommununalen Versorgungsbetriebe ging oder um den gesetzlichen Mindestlohn. Man beschloß nicht nur - selbstverständlich - die von Beck gewünschte Änderung beim Arbeitslosengelt I; das verstand sich. Sondern es wurde auch gleich die Einführung von Tempo 130 beschlossen, das Kindergeld bis zum 27. Lebensjahr. Es wurde - Friede den Hütten, Krieg den Palästen! - beschlossen, Steuervergünstigungen für Dienstwagen abzuschaffen. Der Einrichtung eines US- Raketenschilds in Europa wurde eine "Absage erteilt".

Mit diesem Parteitag hat die SPD sich innerlich von der Großen Koalition verabschiedet und Kurs auf die Volksfront genommen. Die Mehrheit dieser von der SPD-Basis gewählten Delegierten wird kein Problem damit haben, zusammen mit den Kommunisten zu regieren. Daß diese SPD, wie sie sich heute im Hamburger CCH darstellte, sich andererseits zu einer Koalition mit der FDP durchringen könnte, ist schwer vorstellbar.



Ein Linksruck der SPD? Nein. Frank Steinmeier und selbst Peer Steinbrück, die beiden "Stones", bekamen jeder mehr Delegierten- Stimmen als die Linke Andrea Nahles. Die Weiterbeteiligung der Bundeswehr an der "Operation Enduring Freedom" in Afghanistan wurde mit großer Mehrheit beschlossen, wenn auch mit der Ermahnung, doch bitte keine Zivilisten zu behelligen. Franz Müntefering, nicht gerade ein Linker, wurde geradezu frenetisch gefeiert.

Sie ist nicht nach links gerückt. Sie hat sich nur wieder zur Kenntlichkeit verändert, die Partei des Demokratischen Sozialismus.

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