24. Januar 2008

Zettels Meckerecke: Agitprop, Agitprop, Agitprop. Mal wieder etwas zu "Spiegel Online"

Unter der Überschrift "Ich, ich, ich" steht gegenwärtig in "Spiegel Online" ein - ja was? Soll man es einen Bericht nennen? Soll man es einen Kommentar nennen? Es ist keines von beiden.

Es ist kein Bericht, denn es wimmelt darin nur so von Wertungen, von herabsetzenden Formulierungen.

Es ist kein Kommentar, denn der Autor nennt an keiner Stelle explizit seine Meinung. Er äußert auch, wie es ein Kolumnist vielleicht täte, keine Vermutungen, stellt keine Analyse an, liefert keine Hintergrund- Informationen.

Es ist auch, obwohl es um eine TV-Sendung geht, keine TV-Kritik, denn auf die Qualität der Sendung, auf die Leistung des Moderators wird mit keinem Wort eingegangen.

Wie also sollte man ein derartiges journalistisches Produkt nennen? Mir fällt nur eine Bezeichnung ein; vielleicht weiß jemand ja eine bessere: Agitprop.



Wäre es ein Bericht, dann könnte man als Thema nennen: Carsten Volkery, Redakteur im Berliner Büro von "Spiegel Online", berichtet über ein Interview, das Frank Plasberg mit Wolfgang Clement geführt hat und das in der Sendung "Hart, aber fair" gestern Abend in der ARD ausgestrahlt wurde.

Es war ein kurzes Interview von ein paar Minuten; seinen Inhalt könnte man in ein wenigen Absätzen zusammenfassen. Aber darüber, was Clement nun eigentlich gesagt hat, erfährt man von Carsten Volkery nur ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Sätze. Man erfährt auch wenig über das Umfeld, die Hintergründe dieses Interviews; zum Beispiel die innerparteilichen Kämpfe in der SPD um die Linie der Partei und mögliche Koalitionen.

Ja, womit füllt denn Volkery eigentlich die mehr als hundert Zeilen, die der Artikel immerhin lang ist? Mit Sätzen wie:

"Allein gegen die SPD - in dieser Rolle fühlt sich Ex-Minister Wolfgang Clement am wohlsten."

"Rache kann so süß sein."

"Dass die SPD Amok lief, nachdem ihr früherer Parteivize am Sonntag zur Wahl des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) aufrief, kommt Clement wie gerufen. Endlich mal wieder 'News of the town'."

"Eine schlüssige Erklärung, warum er sich ausgerechnet eine Woche vor der Wahl mit einer Attacke auf Ypsilanti zu Wort meldet, liefert Clement nicht."

"Dass die Partei im Moment andere Sorgen hat, ist ihm schlicht - egal. Deshalb sind die Parteifreunde auch mit der Geduld am Ende."



Und so fort. Das sind Sätze, deren Informationswert nahe Null liegt. Es sind auch keine kommentierenden Sätze; Volkery äußert ja gar keine eigene Meinung. Es ist Agitprop. Es ist der Versuch, dem Leser einen negativen Eindruck von Wolfgang Clement und seinem Auftritt in diesem Interview zu vermitteln.

In den siebziger Jahren hat die SPD in NRW vor wichtigen Wahlen eine Zeitung namens "ZaS" (Zeitung am Sonntag) produziert, die am Sonntag Vormittag von Parteihelfern an die Haushalte verteilt wurde. Sie war natürlich - das war ihr Zweck, sie war ja ein Mittel des Wahlkampfs - vollkommen parteilich und sollte den Lesern die Ereignisse der vorangegangenen Tage, vor allem auch TV-Sendungen, so darstellen, wie die Partei sie gesehen haben wollte. Es war Agitprop. Völlig legitim und als solche sofort erkennbar.

Journalisten wie Volkery veranstalten dasselbe, aber sie geben nicht zu erkennen, daß es Agitprop ist. Und der Chefredakteur deckt das; unterbindet es jedenfalls nicht.

Dieser Chefredakteur, Matthias Müller von Blumencron, war - ich habe das damals kommentiert - schon im November als Nachfolger von Aust in der Chefredaktion des gedruckten "Spiegel" im Gespräch. Er schien danach aus dem Rennen zu sein. Die aktuellen Berichte sehen ihn wieder als einen von zwei Chefredakteuren in einer kollektiven Führung des "Spiegel".

Wie sich dann der "Spiegel" entwickeln dürfte - davon geben Texte wie der von Volkery einen Vorgeschmack.

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