23. Februar 2008

Zettels Meckerecke: Vorsicht! Sie lesen "Spiegel Online"

Jeder, der "Spiegel Online" nutzt, weiß: Was dort steht, prüft man besser nach, bevor man es verwendet. Gerade habe ich wieder erlebt, wie dringend erforderlich das ist.

Da stand etwas in einem gestrigen Artikel, das einem die Haare zu Berge stehen läßt. Mindestens ein "Zitat des Tages" sollte das hergeben, dachte ich, als ich es gelesen habe:

Da hatte der SPD- Spitzenkandidat in Hamburg, Michael Naumann, einen Mann in sein "Kompetenz - Team" für die morgigen Wahlen berufen, einen Schweden namens Carl Tham. Zu ihm schreiben Per Hinrichs und Gunther Latsch, beide übrigens vom gedruckten "Spiegel", aus dessen Ressort Deutschland II:
Der 68-jährige Diplomat rief im Januar 2003 als schwedischer Botschafter in Berlin in einer Zeitungsanzeige zu einem Boykott israelischer Waren aus besetzten Gebieten auf. Begründung: Ein Kauf oder Verkauf israelischer Waren sei aktive Unterstützung für die illegale israelische Besatzung. (...) Die SPD verkauft den Israel- Boykotteur so: Er sei "dafür bekannt, dass er gern an den aktuellen politischen und kulturellen Debatten teilnimmt", so Naumann in einer Presseerklärung.
Das nun allerdings schien mir ein dicker Hund zu sein. Nicht nur, so dachte ich nach der Lektüre, nimmt Naumann so jemanden offenbar ungeprüft in sein Wahlkampf- Team auf - sondern dann kommentiert er dessen offensichtlich anti- israelische Haltung auch noch in dieser Weise oder läßt sie so kommentieren. Mit einer Formulierung, die man als nachgerade zynisch empfinden muß. Mindestens als den Versuch einer grotesken Verharmlosung.

Diesen Satz von Naumann also wollte ich als "Zitat des Tages" bringen, mit Hinweis darauf, daß er im Zusammenhang mit einem anti- israelischen Aufruf gefallen sei.



Nun zitierte ich aber grundsätzlich nichts aus "Spiegel Online", was ich nicht nachgeprüft habe. Zum Glück pflegen Presse- Erklärungen ins Web gestellt zu werden. Zum Glück gibt es bei Google die Phrasen- Suche. Also haben ich die Phrase "dafür bekannt, dass er gern an den aktuellen politischen und kulturellen Debatten teilnimmt" bei Google eingegeben.

Ergebnis: Zwei Fundstellen. Einmal trivialerweise der Artikel in "Spiegel Online" selbst. Und zum zweiten diese hier, die WebSite des Fraktions- Vorsitzenden der SPD in der Hamburger Bürgerschaft, Michael Neumann. Dort findet man die Presse- Erklärung, aus der Hinrichs und Latsch zitiert haben.

Lesen Sie sie bitte. Sie werden feststellen, daß es überhaupt nicht um den gegen Tham erhobenen Vorwurf geht. Sondern es werden drei Mitglieder des "Kompetenz- Teams" vorgestellt, unter ihnen Carl Tham. Die Presseerklärung ist undatiert, aber sie muß mindestens fünf Wochen alt sein, denn schon am 14. Januar 2008 wird in einer anderen Meldung Carl Tham als bereits in dieses Team berufenes Mitglied erwähnt.

Eine Passage also aus einer alten Pressemitteilung, in der logischerweise mit keinem Wort von den jetzt erhobenen Vorwürfen gegen Tham die Rede ist, montiert "Spiegel Online" so, daß der Eindruck entsteht, es handle sich um eine Reaktion auf diese Vorwürfe.

Freilich - wenn man genau liest, dann hat "Spiegel Online" nichts Falsches geschrieben. Lesen wir den entscheidenden Satz aus dem Artikel noch einmal und lassen wir ihn uns auf der Zunge zergehen: "Die SPD verkauft den Israel- Boykotteur so: Er sei 'dafür bekannt, dass er gern an den aktuellen politischen und kulturellen Debatten teilnimmt', so Naumann in einer Presseerklärung."

"Verkauft den Israel- Boykotteur" so, steht da. Es steht nicht da, daß das Zitat die Reaktion auf den Vorwurf des Israel- Boykotts ist; daß es überhaupt damit etwas zu tun hat. Es steht nicht da, wann denn Naumann das so formuliert hat oder hat formulieren lassen.

Man sollte schon genau lesen, was in "Spiegel Online" steht. Und dann noch zur Sicherheit googeln.

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