16. März 2008

Zettels OsterfragerEi (1): Warum ist die Wiedervereinigung (zumindest vorläufig) gescheitert?

Vor einem Jahr gab es hier zur Osterzeit eine Serie "Zettels Oster- LobhudelEi". Sie entstand, weil mir aufgefallen war, daß in "Zettels Raum" - wie vermutlich in den meisten politischen Blogs - die Kritik überwiegt. Also habe ich versucht, zur Osterzeit einmal das eine oder andere von dem aufzuschreiben, was ich zu loben habe.

Auch in der diesjährigen Osterzeit gibt es wieder eine Sonderserie mit Beiträgen, die etwas thematisieren, das ich sonst vernachlässige: Offene Fragen.

Fragen, auf die ich selbst keine befriedigende Antwort weiß. Fragen, die ich deshalb gern an Sie, die Leser, stellen möchte. Angeregt wurde das durch das starke Echo auf einen solchen fragenden Artikel in ZR vor vier Wochen.

Wieviele Themen es werden und wie lange die Serie läuft, weiß ich nicht. Es hängt von der Resonanz ab. Vielleicht beende ich das Experiment gleich wieder; vielleicht erweist es sich als interessant. Ich bin mir auch über Themen noch unschlüssig. Vorschläge und Anregungen würden mich freuen.



Sehen Sie sich bitte diese Deutschland- Karten an, beide aktuell in "Spiegel Online" zu finden:
  • Die Arbeitslosigkeit in Deutschland

  • Die Patentanmeldungen in Deutschland
  • Sie sehen zwei Karten, wie sie Ihnen aus fast beliebigen Bereichen geläufig sind: Wo immer es um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit geht, um den Entwicklungsstand, um den Lebensstandard, um die Lebensqualität, ergibt sich dasselbe Bild:

    So, als habe es keine Wiedervereinigung gegeben, ist dort, wo bis vor achtzehn Jahren der Sozialismus herrschte, immer noch so gut wie alles schlechter als in der alten Bundesrepublik. Und fast immer ist es in den beiden CDU-regierten Ländern Thüringen und Sachsen ein bißchen besser als im Rest der ehemaligen DDR.

    Das geht bis hin zu solchen Mikro- Indikatoren wie dem Besuch von "Zettels Raum", dem Thema des erwähnten fragenden Beitrags. Auch hier - ich sehe das immer wieder; die verlinkte Graphik ist nur eine Momentaufnahme - geringes Interesse aus den Neuen Ländern; am ehesten noch aus Thüringen und Sachsen.

    Wir haben uns an solche Bilder gewöhnt; sie schockieren kaum noch jemanden. Aber gemessen an dem, was wir - wir im Westen, wohl auch die meisten Menschen im Osten - im Jahr der Wiedervereinigung erwartet haben, ist es doch ein erschreckendes, ein beschämendes Ergebnis.



    Ich habe 1990 das Gegenteil erwartet.

    Ich habe mich damals am Wirtschaftswunder nach 1948 orientiert. Es zeigte zum einen, wie schnell eine Wirtschaft aufblüht, wenn man sie erst einmal liberalisiert (der Aufstieg Chinas seit den Reformen Deng Xiaopings illustrierte es im Riesenmaßstab). Zweitens basierte dieses Wirtschaftswunder - auf den ersten Blick vielleicht paradox erscheinend - auf den Zerstörungen, die der Zweite Weltkrieg angerichtet hatte.

    Denn die Infrastruktur, die Fabriken, der Maschinenpark - alles mußte damals weitgehend neu aufgebaut werden. Das Deutschland der späten fünfziger Jahre war, als der Aufbau weitgehend abgeschlossen war, dadurch ungleich moderner als seine Nachbarn und Wettbewerber. Es hatte von allem das Neueste. Das, so schien es mir, war (zusammen mit dem Liberalismus Ludwig Erhards und der politischen Stabilität, die wesentlich der CDU zu verdanken war) das Geheimnis des Wirtschaftswunders.

    So, dachte ich, würde es auch mit der Ex-DDR werden. Daß der Kommunismus keine funktionierende Infrastruktur hinterlassen hatte, daß die Industrie hoffnungslos veraltet war - "marode", das Wort kam Anfang der neunziger Jahre dafür in Gebrauch -, das war doch, so schien es mir damals, eine ähnlich gute Voraussetzung für einen Neuanfang, wie es die Zerstörungen des Kriegs im Jahr der Währungsreform gewesen waren.

    Zumal - so dachte ich damals - die Voraussetzungen für ein Wirtschaftswunder auf dem Gebiet der vom Kommunismus zerstörten DDR ja noch viel besser waren als damals, ab 1948, in der vom Krieg zerstörten Bundesrepublik.

    Denn damals gab es an Hilfe von außen nur den Marshall- Plan, aus dem ganze 1,5 Milliarden Dollar an die Bundesrepublik gingen, verteilt über drei Jahre. Also - auch inflationsbereinigt - nur ein Bruchteil dessen, was sofort nach der Wiedervereinigung an Transferleistungen in die Neuen Länder zu fließen begann; ganz abgesehen von den sonstigen Aufbauhilfen wie der Entsendung von Beamten und ehrenamtlichen Beratern.

    Daß diese Transferleistungen bis Anfang der 2000er Jahre nach einer seriösen Schätzung den unglaublichen Betrag von rund 1.500 Milliarden Euro erreichen würden, war 1990 nicht abzusehen. Daß aber den Neuen Ländern jede erdenkliche Hilfe zuteil werden würde, die sie benötigten, um ein zweites deutsches Wirtschaftswunder hervorzubringen - das war damals offensichtlich.

    Alle Parteien wollten es; und vor allem gab es in der westdeutschen Bevölkerung eine riesige Bereitschaft, Opfer für den Osten zu bringen.

    Wir wußten ja, daß nur Geographie und Weltpolitik uns davor bewahrt hatten, selbst unter die Herrschaft des Kommunismus zu geraten. Viele im Westen - auch meine Familie - waren rechtzeitig geflohen.

    Wir hatten - die meisten von uns Westdeutschen hatten - ein schlechtes Gewissen gegenüber denen im Osten, die sozusagen stellvertretend für uns den Kommunismus hatten ertragen müssen. (Ja, gewiß, es gab andere, die in der DDR unverdrossen das "bessere Deutschland" sahen; aber das war eine bedeutungslose Minderheit).

    Wir wollten nach Kräften helfen, diese Ungerechtigkeit auszugleichen, so gut es denn ging. Und wir erwarteten, daß die Deutschen im Osten es mit dieser Hilfe auch schaffen würden, so wie wir es knapp zwei Generationen zuvor geschafft hatten.



    Ich glaube nicht, daß ich mich jemals in meinem Leben bei der Prognose einer Entwicklung so radikal geirrt habe wie mit der Erwartung, die Ex-DDR werde einen ähnlichen Aufstieg erleben wie die Bundesrepublik nach 1948.

    Daß damals die meisten so dachten ("Blühende Landschaften" binnen fünf Jahren versprach damals bekanntlich der Kanzler Kohl), macht die Sache ja nicht besser.

    Warum haben wir uns (fast) alle so eklatant geirrt? Warum hat es in den Ländern der Ex-DDR nicht den Aufschwung gegeben, den wir erhofft und erwartet hatten?

    Was sind die Ursachen dafür, daß die SED, die bei den ersten Bundestagswahlen nach der Wiedervereinigung als PDS zwischen 8,3 Prozent (Thüringen) und 14,2 Prozent (Mecklenburg- Vorpommern) bekommen hatte, inzwischen in den Neuen Ländern als "Die Linke" bei dreißig Prozent liegt? Das sind die Themen meiner ersten OsterfragerEi.



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