20. Juni 2008

Präsident Bush, die Nazizeit und die Deutschen: Eine These

Keinem der Präsidenten seit Eisenhower ist George W. Bush so ähnlich wie John F. Kennedy.

Beide aus wohlhabenden, politisch engagierten Familien stammend. Beide zu ihren Zeiten auf dem College nicht gerade glänzend, sich aber als Präsident mit Intellektuellen umgebend. Der eine wie der andere überzeugt davon, daß sich die USA nach innen auf ihre traditionellen Werte besinnen und in der Welt die Demokratie verbreiten sollten.

Beide mutig bis zur Waghalsigkeit. Kennedy hat in seiner kurzen Amtszeit zweimal - als es um die Freiheit Berlins ging und um die Raketen auf Cuba - Standfestigkeit gezeigt und damit die Welt an den Rand einer militärischen Katastrophe gebracht. Bush hat den Krieg gegen Saddam Hussein riskiert und das Engagement der USA im Irak durchgehalten, als die Niederlage schon greifbar nah schien.



In den Augen der meisten Deutschen aber gibt es bei den US-Präsidenten keinen größeren Gegensatz als den zwischen Kennedy und Bush.

Die meisten Präsidenten seit Eisenhower hat man mit einer gewissen wohlwollenden Gelassenheit gesehen: Eisenhower selbst, der als eine Art Mischung aus Adenauer und Heuß wahrgenommen wurde; den breitbeinigen Texaner Johnson, den blassen Nixon, den ewig lächelnden Idealisten Carter, den Altcowboy Reagan, den sachlichen Gentleman George Bush; schließlich Bill Clinton, dessen Privatleben freilich mehr Interesse weckte als seine Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik zusammen.

Aber es gibt zwei Ausnahmen; zwei Präsidenten, an die man in Deutschland starke Affekte geheftet hat: John F. Kennedy und George W. Bush.

Kennedy wurde verehrt. Natürlich vor allem, weil er sich mit dem Satz "Ich bin ein Berliner" mit uns identifiziert hatte. Daß das solch einen ungeheuren Eindruck machte, lag an der Person dessen, der sich als einer der Unseren bekannte: Man liebte seine Jugendlichkeit, seinen Stil, der irgendwie europäisch erschien. Er verkörperte die Figur des jungen Helden Siegfried.

So, wie Präsident Bush die des finsteren Hagen. Ihm traut man fast alles Böse zu; so sehr, daß sogar die abenteuerlichsten Geschichten über ihn bereitwillig geglaubt werden, auch wenn sie auf mehr als wackligen Füßen stehen.



Mir ist das aufgefallen, als in "Zettels kleinem Zimmer", wie der Zufall es wollte, parallel zwei Diskussions- Stränge liefen: Einer über die Vorgeschichte des Irak- Kriegs, der andere über den deutschen Nationalfeiertag.

Auf den ersten Blick zwei Themen, zwischen denen es keinen Zusammenhang gibt. Sie treffen sich aber - jedenfalls ist das die These, die ich jetzt nennen und begründen möchte - bei der Frage, wie wir Deutsche unsere nationale Identität definieren und welche Funktion dabei den USA zukommen kann.

In dem Thread über den Nationalfeiertag ist zur Sprache gekommen, wie sehr unser Nationalbewußtsein noch immer unter der Hitler- Diktatur und ihren Folgen leidet. Wir haben, so scheint mir, keinen normalen Nationalfeiertag, weil wir kein normales Nationalbewußtsein haben. Und wir haben kein normales Nationalbewußtsein, weil wir noch immer niedergedrückt sind von der Last dessen, was die Nazis angerichtet haben.

Was hat das mit amerikanischen Präsidenten zu tun? Meine These ist, daß sowohl die übersteigerte Verehrung Kennedys als auch die nachgerade absurde Ablehnung von George W. Bush im Zusammenhang mit diesem gedrückten Selbstbewußtsein stehen. Allerdings auf sehr verschiedene Art.

Was kann man tun, wenn es an Selbstwertgefühl mangelt? Man kann sich entweder daran festhalten, von einem anerkannt werden, der Macht und Ansehen hat. Oder man kann sich selbst daran aufrichten, daß man sich einem anderen überlegen fühlt.

Das eine ermöglichte Kennedy; das andere bot Bush mit seinem Irak- Krieg an.



Daß Kennedy mit seinem "Ich bin ein Berliner" sich stracks einen ewigen Platz im Herzen von uns Deutschen sicherte, lag - nach meiner These - weniger daran, daß er damit garantierte, Berlin vor dem Zugriff der Sowjets zu bewahren. Das war natürlich wichtig, vordergründig betrachtet. Aber mit diesem Satz identifizierte sich Kennedy darüber hinaus mit uns. Das war Labsal für unser niedergedrücktes Nationalbewußtsein.

Wenn so jemand wie der strahlende junge Held Kennedy sich zu uns bekennt, ja sich mit uns identifiziert - dann können wir so schlecht doch gar nicht sein. Kennedy richtete uns auf, indem er erklärte, einer von uns zu sein.

Auch Bush richtete uns auf, aber auf eine ganz andere Weise. Als Gerhard Schröder vor den Bundestags- Wahlen 2002 in einer für die SPD fast hoffnungslosen Situation die Friedens- Karte zog, appellierte er nicht nur an die Angst vor einem Krieg. Diese gab es natürlich weltweit; aber es war doch keine sehr große Angst, denn niemand konnte ja außerhalb des Irak ernsthaft damit rechnen, selbst in Kriegshandlungen hineingezogen zu werden.

Sondern indem er kategorisch erklärte: "Nicht mit uns!", erhöhte Schröder uns Deutsche moralisch. Bush und seine USA, das waren diejenigen, die einen "völkerrechstwidrigen Angriffskrieg" führten. Und wir, die Deutschen, konnten uns als die Guten sehen, als die Friedfertigen. Als diejenigen, die sich penibel an das Völkerrecht hielten.

"Völkerrechtswidriger Angriffskrieg" - fällt Ihnen da etwas auf? Genau das war und ist Teil des Vorwufs an uns Deutsche - daß wir uns von Hitler in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg haben führen lassen.

Indem wir Bush das zuschrieben, was wir als unsere eigene historische Verantwortung mit uns herumtragen, konnten wir diese Last erleichtern. Je mehr Bush geschmäht wurde, umso besser konnten sich die ihn Schmähenden fühlen.

Bush, der häßliche Amerikaner, sollte den häßlichen Deutschen vergessen lassen.



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