30. Juni 2008

Zettels Meckerecke: Knipphalsens Klage über Klagenfurt. Über das Biedermeierliche in der heutigen Linken

Daß ich die taz in ersten den Jahren nach ihrer Gründung 1978 gern und häufig gelesen hätte, kann ich nicht sagen. Dazu enthielt sie mir zu wenig Informationen, dazu verwischte sie zu sehr - schon damals - Meinung und Nachricht. Aber gelegentlich gekauft habe ich sie schon, wenn ich dazu in Stimmung war.

Denn lustig war sie, die taz. Sie hatte etwas von einer Schülerzeitung, oder vielmehr von einer jener Bierzeitungen, wie sie erfolgreiche Abiturienten, befreit von der Last der Prüfung und beschwingt von der Laune des Feierns, damals verfaßten. Vielleicht auch noch heute; ich weiß das nicht.

Lang ist's her. Als die taz gegründet wurde, war er ein fünfzehnjähriger Schüler, deren heutiger Kulturchef Dirk Knipphals. Vielleicht war er damals ein munterer Junge; vielleicht hat auch er damals die taz gelesen und hatte Spaß an dem frechen Stil, an den infantilen Witzen der "Säzzerin".

Dann muß er sich freilich arg geändert haben, der Dirk Knipphals. Jetzt schreibt er so, wie in protestantischen Kirchen gepredigt wird.

Heute über die diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Er schreibt darüber - Überschrift: "Öl im Getriebe" - mit ungefähr der Botschaft, die im Feuilleton der FAZ und der "Welt" zu lesen war, als Adenauer unsere Sicherheit und Ludwig Erhard unseren Wohlstand garantierte: Mit wehmütigem Rückblick auf das Gute Alte, das nun all diesen Neuerungen der Moderne weichen muß. Dieser Oberflächlichkeit. Dieser Amerikanisierung. Diesem Tand.

Es ist die Haltung derer, die einst im Biedermeier mit traurigem Entsetzen das Zeitalter der Technik und der Industrie heraufziehen sahen. Derer, die dann die Idylle der Restauration nach 1950 durch die "Amerikanisierung" bedroht sahen. Und es ist die Haltung ihrer heutiger Nachfahren, die überwiegend nicht mehr auf der konservativen Rechten, sondern auf der Linken zu finden sind, wie sie durch die taz repräsentiert wird.



Was ist es, das den Dirk Knipphals an den diesjähigen "Tagen der deutschsprachigen Literatur" so stört? Es ist der Umstand, daß es - der Titel sagte es - weniger knirschte als früher.

Daß alles gestraffter, zügiger, mediengerechter ablief. Daß weniger geredet wurde. Und warum? Wegen des Fernsehens: "Während bislang die Live-Situation das Klagenfurt-Ereignis war, findet nun das eigentliche Klagenfurt im Fernsehen statt. Darauf ist alles ausgerichtet, Preisentscheidungen zur Prime Time am Samstagabend um 20.15 Uhr eingeschlossen".

Schlimm, nicht wahr? Und Grund genug, daß Knipphals das stärkste Geschütz aus seinem Arsenal holt, nämlich den Vergleich mit Elke Heidenreich:
Nun schickt sich die Veranstaltung also an, sich in Richtung eines weiteren Instruments zur Erzeugung medialer Aufmerksamkeit für die deutschsprachige Literatur zu wandeln, neben Buchpreis, Elke Heidenreich und Preis der Leipziger Buchmesse. Beim Buchpreis kann der Leser das gute Buch für den nächsten Urlaub abgreifen, bei Heidenreich die leicht peinlichen Schmöker fürs verregnete Wochenende, und bei Klagenfurt kann er sich in Sachen Up-to-date-Sein einen Überblick verschaffen, was alles noch zu lesen möglich wäre.
"Up-to-date-Sein"; vernichtender kann man in den Augen von Knipphals offenbar nicht urteilen.

Was ihn zu der besorgten Frage über diese "Neuerungen" führt: "Bedeuten sie, dass der Literaturbetrieb die Diskurshoheit von der Literatur an das Fernsehen abgibt?"

Tja, da kratzen wir uns jetzt alle den Kopf. "Ein Jahr ist zu wenig, um sich da eine fundierte Meinung zu bilden", beantwortet Knipphals seine Frage.

Was mich angeht, brauche ich allerdings kein Jahr des Grübelns, um eine Meinung zu haben. Vielleicht keine fundierte, aber nun gut.



Ich fand, daß die Änderungen dem Ereignis außerordentlich gut getan haben.

Die Juroren waren offenbar streng vergattert worden, sich kurz zu fassen. Das funktionierte bestens. Die üblichen weitschweifigen Kommentare fehlten. Jeder hatte Zeit, sich die paar Sätze, die ihm jeweils gestattet waren, zuvor genau zu überlegen; also waren es überwiegend überlegte, kluge Sätze.

Der Moderator Dieter Moor, ein TV-Profi, steuerte das ebenso leise wie effizient

Nicht den Sand im Getriebe habe ich vermißt, den Knipphals durch Öl ersetzt sieht. Sondern ich habe mich gefreut, daß es weniger Gerede und mehr Substanz gab, statt rhetorischer Ornamentik die klare Aussage. Bis hin zu den Laudationes, die von angenehmster Kürze waren.

Gewiß "verpasste die stets sehr textimmanent argumentierende Jury ... die Chance, einmal etwas grundsätzlicher über den gegenwärtigen Stand von Literatur zu debattieren", wie Knipphals tadelnd notiert.

Ja und? Wenn man grundsätzlich über den gegenwärtigen Stand von Literatur ("gegenwärtigen Stand von Literatur"? naja) debattieren will, dann soll man eben eine Konferenz über die Literatur der Gegenwart organisieren. Klagenfurt ist das bekanntlich nicht, sondern eine Gelegenheit für junge Autoren, in einem Wettbewerb Proben ihrer Arbeit vorzustellen.

Sogar das elektronische Abstimmungsverfahren, das mir zunächst ein wenig albern vorgekommen war, erwies sich als höchst sinnvoll; denn es führte die Juroren schnell und fehlerfrei durch das Dickicht der einzelnen Abstimmungen über alle die Preise mit ihren jeweiligen diversen Wahlgängen. Was per Hand ein quälender Abstimmungs- Marathon geworden wäre, ging auf diese Weise zügig und nicht ohne Spannung vonstatten.

Das lief alles sehr gut, und es endete sehr schön, nämlich damit, daß Tilman Rammstedt den Ingeborg- Bachmann- Preis und gleich auch noch den Preis des Publikums erhielt.

Ablauf gut, Ende gut, alles gut.



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