14. Juli 2008

Zettels Meckerecke: Warum das Land Berlin ein Seilbahngesetz hat. Ja, wo treiben sie denn ihr Wesen, die Schildbürger?

Wie mit deutschen Umweltschützern hat es mit Brüsseler Bürokraten die Satire schwer. Wer sich eine satirische Überspitzung ausdenkt, der muß immer damit rechnen, daß sie alsbald von der Realität eingeholt wird; wenn sie es denn nicht längst ist.

Die Sache mit der EU-einheitlichen Krümmung der Gurke oder die mit der EU-Vorschrift, Leitern so aufzustellen, daß sie bei der Benutzung nicht umfallen - das ist allgemein bekannt. Das mit dem Berliner Seilbahngesetz habe ich aber erst heute gelesen, in einem Artikel von Hannelore Crolly, Brüsseler Korrespondentin der "Welt".

Ein Schildbürgerstreich auch dies. Aber nicht deshalb meckere ich, sondern weil Frau Crolly die Schildbürger dort lokalisiert, wo sie nicht sind. Jedenfalls nach meinem Dafürhalten.



Zunächst der Sachverhalt, wie die Autorin ihn uns beschreibt:
Das Bundesland Berlin hat ein Seilbahn-Gesetz. Eine Seilbahn selbst zwar nicht, und wegen hoher Schulden und topfdeckelflacher Topographie wird das wohl auch so bleiben. Aber ein Gesetz für den Betrieb ist schon mal da – Brüssel sei Dank. Denn eine EU-Richtlinie vereinheitlichte vor acht Jahren die Standards für alle Personen- Seilbahnen Europas.

Berlin hatte sich zwar mit Verweis auf fehlende Gipfel lange gegen die Umsetzung gesträubt. Brüssel aber drohte eine Strafe von 791.000 Euro an. In seiner Not klaute der Senat das Seilbahn- Gesetz aus Bayern. Seither ist Europas Paragraphen- Welt wieder in Ordnung.
Dreimal kurz gelacht. Aber wo sitzen sie denn nun, die Schildbürger?

Frau Crolly, deren Artikel, was die EU-Bürokratie angeht, eine unverhohlen apologetische Tendenz erkennen läßt (von jener Krümmung der Gurke bis hin zum EU-einheitlich genormten Traktorsitz habe Vieles seine guten Gründe, lernen wir) - die Autorin Crolly also lokalisiert sie nicht etwa in Brüssel, die Schildbürger. Sondern schuld seien die deutschen Verhältnisse:
Nach einigen schweren Seilbahn- Unglücken erschienen den Ministern EU-Sicherheitsstandards als sinnvoll. Dass die Umsetzung in deutsches Recht zum Schildbürgerstreich geriet, lag nicht an Brüssel, sondern der Überregulierung im föderalen Deutschland. Während in den meisten EU-Ländern ein einziges Seilbahn- Gesetz ausreichte, hat der Bund in Deutschland keine Kompetenz in dieser Frage. Deshalb musste jedes Bundesland ein Gesetz erlassen, selbst wenn es überflüssig war.
Hm, hm. Also der deutsche Föderalismus ist, meint Hannelore Crolly, schuld daran, daß das Land Berlin nicht in eigener Kompetenz entscheiden kann, ob es ein Seilbahngesetz haben will. Just weil es die Freiheit hat, über Seilbahnen zu entscheiden, hat das Bundesland keine Freiheit, über Seilbahnen zu entscheiden.

Da haben wir, in a nutshell, den ganzen Brüsseler Wahnwitz.

Er besteht nicht nur darin, daß die dortigen Bürokraten lächerliche Direktiven formulieren. Sondern lächerlich ist es bereits, daß die Kommission überhaupt Direktiven zu Dingen erlassen darf, die sie nichts angehen. Nicht deutsches Recht ist schuld an diesem Schildbürgerstreich, sondern europäisches Recht; genauer: die Verlagerung von Kompetenzen aus dem deutschen Recht in europäisches Recht.



Es gab einige schwere Seilbahn- Unglücke. Wenn so etwas passiert, dann sind möglicherweise die Sicherheits- Standards in dem betreffenden Land unzureichend gewesen. Also sollten sie verbessert werden - in dem betreffenden Land.

Wieso kann man in Brüssel besser beurteilen, wie eine Seilbahn in Österreich oder in den Pyrenäen konstruiert sein sollte, als die Wiener oder die Pariser Behörden? Wissen die Bürokraten in Brüssel denn mehr über die Sicherheit von Seilbahnen, haben sie die besseren Ingenieure als Gutachter, die besseren Juristen zum Formulieren eines Gesetzes als die lokalen Verantwortlichen?

Die Brüsseler Bürokraten glauben das. Sie glauben es deshalb, weil sie den Schildbürgern gleichen wie ein Ei dem anderen.

Wie sie waren, die Schildbürger, das hat Karl Simrock in "Die Schildbürger" beschrieben, und zwar im Zweiten Kapitel:
Daher sie, die von ihrem getreuen Vater und Lehrmeister unterwiesen worden und fleißig gelernt hatten (...), auch mit allen Gaben und Tugenden, vornehmlich mit Weisheit, aufs Höchste begabt und geziert, ja überschüttet wurden, so daß ihnen damals in der Welt (...) Niemand vorzusetzen; – was vorzusetzen? sage vielmehr zu vergleichen gewesen.
Besser kann man sie auch heute nicht beschreiben, die Elite- Beamten, die in Brüssel über ihren Verordnungen und Direktiven brüten.

Für jemanden, der seine Ausbildung an der französischen ENA, der École Nationale d'Administration bekommen hat, ist es sonnenklar, warum in Brüssel und nicht in Wien oder Paris über die Sicherheit von Seilbahnen entschieden werden muß: Weil Beamte umso höher in der Hierachie gelangen, je intelligenter, je besser ausgebildet, also je kompetenter sie sind.

Und Brüssel - das ist für diese Beamten ein Super- Paris. Die besten Absolventen der ENA sitzen in den Ministerien. Die Besten der Besten sitzen in den Spitzen der Ministerien. Aber die Allerbesten werden nach Brüssel entsandt. Denn Frankreich, das ist ja seit Jahrhundeten schon so einheitlich, wie sich Etatisten das erträumen. Die EU aber ist eine gewaltige Herausforderung.

Eine Herausforderung für diejenigen, die unter den besten Abiturienten Frankreichs gewesen waren, die dann die ENA mit den besten Noten abgeschlossen hatten, kurzum die "mit Weisheit, aufs Höchste begabt und geziert, ja überschüttet wurden".

Ihnen allein kann es obliegen, über die Sicherheit aller Seilbahnen zu befinden, vom Atlantik bis ans Schwarze Meer, von der Nordspitze Finnlands bis nach Malta.

Falls sie denn Seilbahnen haben, die Malteser.



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