28. Oktober 2008

Marginalie: "Alles in Trümmer legen". Über die Wiedervereinigungspolitik Nordkoreas. Mit einem Blick ins Internetportal der nordkoreanischen Regierung

Vor gut einer Woche hat Nordkorea eine wichtige Bekanntmachung angekündigt. Man dachte an den Tod Kims, einen Machtwechsel oder Putsch; oder auch an eine Grundsatzerklärung über die Beziehungen zu Südkorea.

Es kam dann erst einmal nichts. Aber nun ist sie da, die wichtige Bekanntmachung: "Nordkorea droht Südkorea mit totalem Krieg", so titelt heute die "Welt" und berichtet von einer Verlautbarung "des koreanischen Militärs":
"Das Marionettenregime sollte sich klar darüber sein, dass unser progressiver Präventivschlag es nicht nur unter Feuer nehmen, sondern alles in Trümmer legen wird, was gegen unsere Nation und die Wiedervereinigung ist".
Und was hat diese Drohung ausgelöst? Die Erklärung sagt es:
"Wir bekräftigen unsere Haltung, dass wir eine entschlossene praktische Aktion unternehmen werden, wenn das südkoreanische Marionetten- Regime weiterhin Flugschriften verbreitet und die Lügenkampagne mit reinen Phantasiegespinsten fortsetzt"
Erzwungen werden soll also mit der Drohung eines Militärschlags, daß Propaganda gegen Nordkorea eingestellt wird; vor allem die Entsendung von Flugblättern mittels Lufballons.

Diese Methode war in der Zeit des Kalten Kriegs auch im geteilten Deutschland üblich gewesen. Denn so gut wie jede andere Form des Eindringens unerwünschter Nachrichten kann eine Diktatur unterbinden; aber gegen - wie jetzt in Korea - 100.000 Flugblätter, die an Ballons ins Land hineingeweht werden, ist sie so gut wie machtlos.

Eine Bürgerrechtsorganisation hat sie fliegen lassen, die Flugblätter; und es soll unter anderem um den Gesundheitszustand Kim Jong Ils gegangen sein. Über diesen herrscht eine Geheimhaltung, im Vergleich zu der die sonstige Politik Nordkoreas ein immerwährender Tag der Offenen Tür ist.



Einen entscheidenden Unterschied zum Kalten Krieg im geteilten Deutschland gibt es allerdings: Es sind die Kommunisten, die ständig von der Wiedervereinigung reden.

Wie intensiv sie davon reden, davon kann man sich mit einem Besuch im Internet- Portal der nordkoreanischen Regierung überzeugen. Es ist ungefähr so professionell gemacht wie die Homepage eines Oberschülers, also gar nicht mal so übel.

Wenn man ein wenig blättert, dann gelangt man zum Thema Wiedervereinigung; und da steht - man lese und staune - : "Destroy the wall!", reißt die Mauer nieder. Und der vielleicht ein wenig überraschte Leser wird informiert:
If any South Korean citizen tries to visit North Korea crossing the big concrete wall, he'll be killed by the american soldiers. The "Security Law" in South Korea forbides to any South Korean citizen to talk or read about the North or else he'll be punished with jail or even death penalty.

Wenn ein Bürger Südkoreas versucht, den Norden zu besuchen und die große Betonmauer zu passieren, dann wird er von amerikanischen Soldaten getötet. Das "Sicherheitsgesetz" in Südkorea verbietet es jedem Bürger Südkoreas, über Nordkorea zu sprechen oder etwas zu lesen. Andernfalls wird er mit Gefängnis oder sogar dem Tod bestraft.
Ganz anders Nordkorea. Dort ist man für die Wiedervereinigung:
Since the end of the War, one of the main worries of the Great Leader KIM IL SUNG and the Dear Leader KIM JONG IL was the Unification of the Korean families. The Great Leader said: "To unify the divided country in this moment is the supreme national task of all the Korean people, and we cannot wait just one moment to achieve it".

Seit Kriegsende war eine der größten Sorgen des Großen Führers KIM IL SUNG und des Geliebten Führers KIM JONG IL die Wiedervereinigung der koreanischen Familien. Der Große Führer sagte: "Das getrennte Land jetzt sofort zu vereinen ist die überragende nationale Aufgabe des gesamten koreanischen Volks, und wir können keinen einzigen Moment warten, dies zu erreichen"
Und wie soll sie vonstatten gehen, die Wiedervereinigung? Wenn Sie ein wenig Zeit haben und Englisch lesen, dann empfehle ich einen Ausflug auf diese Seite mit allerlei Propagandatexten. Darunter einer, aus dem man erfährt, wie sich die Nordkoreaner die Wiedervereinigung vorstellen.

Das soll erstens ihr kommunistischer Ableger im Süden, die AINDF bewerkstelligen:
The Anti-imperialist National Democratic Front (AINDF) is the Party representing the south Korean people's independent desire and aspiration and the patriotic vanguard of the revolutionary movement of south Korean. (...)

AINDF's immediate program is to set up a national independent government after abolishing the U.S. colonial rule in south Korea. AINDF is in continuous struggle for democracy and independent national reunification upholding the Songun revolutionary leadership of leader Kim Jong Il.

Die Antiimperialistische Nationale Demokratische Front (AINDF) ist diejenige Partei, die den Wunsch und das Streben des südkoreanischen Volks nach Unabhängigkeit repräsentiert, und die patriotische Avantgarde der revolutionären Bewegung Südkoreas. (...)

Das unmittelbare Programm der AINDF ist es, die US-Kolonialherrschaft in Südkorea zu beseitigen und danach eine unabhängige nationale Regierung zu errichten. Die AINDF befindet sich in einem fortdauernden Kampf für Demokratie und die nationale Wiedervereinigung in Unabhängigkeit. Sie folgt dabei der Songun- Führerschaft des Führers Kim Jong Il.
Natürlich können die südkoreanischen Kommunisten allein nicht die "Kolonialherrschaft der USA" beenden. Aber es gibt ja noch die Koreanische Volksarmee der Kommunisten.

In einer Erklärung vom 22. Januar 2008 heißt es:
In the stirring period when the 70 million compatriots are dynamically conducting the national reunification movement upholding the slogan "Let Us Open Up a New Era of Independent Reunification, Peace and Prosperity by Concerted Efforts of Our Nation!", we ... hardly repress the burning indignation toward the US (...)

If the US continues its hostile policy towards Korea and pursues its aggression moves against it, it will face a more disgraceful destruction by the strength of the KPA and the Korean people, thousand times stronger than it was 40 years ago.

In der aufwühlenden Zeit, in der 70 Millionen Landsleute kraftvoll die Bewegung zur Wiedervereinigung der Nation unternehmen, die unter dem Motto steht "Laßt uns durch gemeinsame Anstrengungen unserer Nation eine Neue Ära der Wiedervereinigung in Unabhängigkeit, des Friedens und des Wohlstands eröffnen", ... können wir die brennende Empörung über die USA kaum unterdrücken. (...)

Wenn die USA ihre feindselige Politik gegenüber Korea fortsetzen und ihre aggressiven Schritte gegen es weiter verfolgen, dann werden sie eine tausend mal schmachvollere Vernichtung durch die Macht der Koreanischen Volksarmee erleben als vor vierzig Jahren.
"Vor vierzig Jahren" - das war die Kaperung des US-Kriegsschiffs "Pueblo" in internationalen Gewässern am 23. Januar 1968. Die in dem Zitat ausgelassenen Stellen beziehen sich auf diesen Vorfall.



Natürlich ist da viel Getöse im Spiel. Natürlich ist das auch die martialische Begleitmusik zu den gegenwärtig laufenden Verhandlungen mit den USA und mit Südkorea. Natürlich ist es Propaganda.

Aber im Kern dürfte diese Propaganda schon die Ziele und die Strategie des nordkoreanischen Regimes realistisch wiedergeben:

Schafft man es, die USA zum Abzug aus Südkorea zu bringen (wer weiß, welche Hoffnungen da auf dem nächsten Präsidenten der USA ruhen, so irrational sie sein mögen), dann steht die viertgrößte Armee der Welt mit ständig 1,2 Millionen Mann unter Waffen dem zwar auch militärisch nicht schwachen, aber doch nicht annähernd so militarisierten Südkorea gegenüber.

Es ist eine sehr ähnliche Politik, wie sie auch die deutschen Kommunisten bis zu ihrem Ende betrieben haben:

Würden die Amerikaner erst einmal aus dem Land heraus sein, dann würden die Karten neu gemischt werden. Dazu diente damals den deutschen Kommunisten die "Friedensbewegung"; dazu soll heute den koreanischen Kommunisten ihre Fünfte Kolonne im Süden dienen, die AINDF.

Dazu diente damals die militärische Bedrohung der Bundesrepublik durch die UdSSR, zum Beispiel durch die Aufstellung von SS- 20- Raketen. Dazu dienen jetzt Drohungen gegen Südkorea wie die in der heutigen Erklärung, die bezeichnenderweise nicht von der Regierung oder der Partei, sondern von der Führung des Militärs abgegeben wurde.



Und noch etwas erinnert an die Zeit des Kalten Kriegs: Die Sprache, deren sich die Kommunisten bedienen. So etwas wie in dieser Meldung der koreanischen Agentur KCNA vom 28. Oktober 2008 habe ich seit Jahrzenten nicht mehr gelesen (die Rede ist von dem südkoreanischen Verteidigungsminister Ri Sang Hui):
This traitor without an equal in the world flew into the U.S. to meet his American master and let loose such unspeakable vituperation in the eyes of the world community, not content with vociferating about "emergency situation" at home. (...) It is absolutely impossible to expect the improved inter-Korean relations and peaceful reunification as long as such sycophantic traitor serving the U.S., confrontational maniac and human scum as Ri Sang Hui is allowed to stay in his office. He will have to pay a price for his reckless remarks.

Dieser Verräter, wie es ihn weltweit nicht noch einmal gibt, flog in die USA, um mit seinem amerikanischen Herrn zusammenzutreffen und vor den Augen der Weltgemeinschaft unsägliche Schimpfereien loszulassen, so als genüge es ihm nicht, zu Hause über eine "Gefahrensituation" zu krakeelen. (...) Es ist völlig ausgeschlossen, eine Verbesserung der inner- koreanischen Beziehungen und eine friedliche Wiedervereinigung zu erwarten, solange ein solcher speichelleckendere Verräter, ein Diener der USA, ein kriegslüsterner Irrer und menschlicher Abschaum wie Ri Sang Hui im Amt bleiben darf.
So die offizielle Nachrichtenagentur der Volksrepublik Korea im Jahr 2008.



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