3. Dezember 2008

Sind die Kommunisten bald stärker als die Sozialdemokratie? Über parallele Enwicklungen in den Parteiensystemen Deutschlands und Frankreichs

Erstaunlicherweise hat die Gründung von Oskar Lafontaines französischem Franchise- Partner Parti de Gauche in Deutschland kaum Aufsehen erregt; ja sie wurde fast gar nicht beachtet. Dabei könnte sie von großer Bedeutung nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland sein.

In Frankreich ist die drohende Spaltung der Partnerpartei der SPD, der Parti Socialiste, zwar vorerst gerade noch einmal abgewendet worden. Aber der hauchdünne Ausgang der Wahl der Generalsekretärin und der erbitterte Kampf um das Ergebnis zeigen, daß die Partei in zwei gleich starke Flügel zerfällt: Einen sozialistischen, der das Bündnis mit den Kommunisten will, und einen sozialdemokratischen, der sich zur Mitte hin orientieren möchte. Zwei Flügel, die sich so spinnefeind sind, als stehe man bereits in entgegengesetzten politischen Lagern.

In der deutschen SPD sieht es nicht viel anders aus; die aktuellen Kämpfe in ihrem hessischen Landesverband illustrieren das.



Was hat das mit der Gründung der Parti de Gauche zu tun? Sie ist die Reaktion auf die Situation der PS. Die Neugründung soll der Keim für eine Partei sein, in der sich der linke Flügel der Sozialisten sammelt. Die beiden Gründer stammen aus dieser Partei, die sie ebenso im Zorn verlassen haben, wie Oskar Lafontaine einst die SPD.

Linke Abspaltungen also, wie sie sozialdemokratische Parteien immer wieder in ihrer Geschichte erlebt haben. Aber diesmal blieb es nur kurz bei der Abspaltung. In beiden Fällen haben, sozusagen, freie Radikale schnell neue Bindungen gefunden.

Über den Zwischenschritt der WASG sind die SPD- Abweichler den Kommunisten zugeführt worden und werden dort jetzt - siehe wiederum Hessen - zu ordentlichen Kadern erzogen. Zugleich ist in der SPD das Tabu einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten so vollständig gefallen, daß man jetzt eine Volksfront nach den Wahlen auch in Hessen ausdrücklich als Möglichkeit vorsieht; im Saarland ohnehin.

In Frankreich hat die Parti de Gauche, noch bevor überhaupt ihre Gründung abgeschlossen ist, schon erklärt, sie werde für die Europa- Wahlen eine Einheitsliste mit den Kommunisten bilden. Getrennt marschieren, vereint schlagen, das ist die Devise. Diese neue Partei steht schon jetzt den Kommunisten weit näher als der Royal- Flügel dem Aubry- Flügel in der PS.

Auf der Linken entstehen also in Frankreich wie in Deutschland neue Fronten. Innerhalb der PS und der SPD bekämpft man sich, bis hin zur Drohung gerichtlicher Auseinandersetzungen, bis zu Partei- Ausschlüssen und Mobbing. Und zugleich herrscht zwischen den linken Flügeln der PS und der SPD und den jeweiligen Kommunisten eitel Freude und Sonnenschein.



Sehen wir uns nun einmal Zahlen an, für Deutschland.

Auf "Sonntagsfrage.de" findet man einen Poll of Polls, also aggregierte Ergebnisse aller sechs großen deutschen demoskopischen Institute; wöchentlich aktualisiert. Die aktuellen Daten zeigen ein Bild, das seit Wochen fast unverändert ist:

CDU und FDP haben eine hauchdünne Mehrheit. Fast gleich stark ist das Volksfront- Lager aus SPD, Kommunisten und Grünen. Verschiebungen gibt es fast nur im Inneren dieser beider Lager - mal gewinnt die FDP ein wenig zugunsten der CDU, mal umgekehrt. Links verliert die SPD meist zugunsten der Grünen und/oder der Kommunisten.

Interessant im jetzigen Kontext ist die Binnenstruktur des linken Lagers. Dort ist die SPD inzwischen auf 23,5 Prozent geschrumpft. Was bedeutet, daß auf sie weniger Stimmen entfallen als auf die beiden Partner links von ihr zusammen (24,0 Prozent). Entsprechend bekäme die SPD nach diesen aggregierten Daten im Bundestag im Augenblick 147 Sitze, die beiden anderen zusammen 150.

Unterstellen wir jetzt einmal, es käme zu einer Spaltung der SPD, so wie sie ihren französischen Genossen droht. Nehmen wir an, sie zerfällt dabei in zwei etwa gleichstarke Hälften. Wenn die linke Hälfte sich dann - so wie es Lafontaines Genossen in Frankreich anstreben - mit den Kommunisten vereint, dann kommen diese auf 20 bis 25 Prozent und sind die mit Abstand stärkste Kraft auf der Linken. Sie wären das selbst dann, wenn der linke Teil der Ex-SPD nur ein Drittel ausmachen würde. (Ich setzte jetzt voraus, daß die Wähler in etwa denselben Proportionen folgen werden; es handelt sich ja nur um eine überschlägige Rechnung).

Die Rest-SPD, die verbliebenen Sozialdemokraten, wären dann eine Partei von der Stärke ungefähr der FDP oder der Grünen. Der Juniorpartner in einer Volksfront, oder der Juniorpartner in einer Koalition mit CDU und FDP.

Zahlenspielereien? Unrealistisch? Nein. Leider nicht.

Denn es ist keineswegs ein Naturgesetz, daß es in einer parlamentarischen Demokratie eine starke Sozialdemokratie geben muß und daß die Kommunisten im Vergleich zu ihr schwach sein müssen.

In Italien war in der gesamten Nachkriegsrepublik die PCI stärker als die Sozialdemokraten. (Diese waren übrigens damals schon in eine demokratischen Flügel um Saragat und einen prokommunistischen - die Nenni- Sozialisten - gespalten).

Ebenso waren in der französischen Vierten Republik die Kommunisten die stärkste Partei auf der Linken - nach Mitgliedern und Einfluß (via die Gewerkschaften) eindeutig, nach Sitzen im Parlament manchmal (in der letzten Legislaturperiode der Vierten Republik zum Beispiel hatten die Kommunisten 150 Sitze, die Sozialdemokraten der S.F.I.O. 94 und die linksliberalen Radikalsozialisten 58 Sitze).



Ist die Spaltung der sozialdemokratischen Parteien in beiden Länden zwangsläufig? Nein, aber sie ist wahrscheinlich. Die Art, wie man in Frankreich nach dem knappen Ausgang der Wahlen zur Generalsekretärin gegeneinander gegiftet, einander mit Prozessen gedroht hat, ist ebenso bezeichnend wie der Umgang mit den vier Dissidenten in Hessen und mit Wolfgang Clement.

Leute, die so miteinander umgehen, sind keine Genossen mehr. Die SPD und die französischen Sozialisten sind nur noch so etwas wie der Firmenmantel für jeweils zwei Parteien. Zwei Parteien, von denen die eine sich von den Kommunisten nur noch so wenig unterscheidet, daß einer Vereinigung mit ihnen nichts mehr im Wege steht. Selbsterklärte "demokratische Sozialisten" sind sie, die einen wie die anderen, diesseits und jenseits des Rheins.

In Deutschland böte sich für diese Vereinigte Sozialistische Partei der Name SED an; aber den wird man wohl doch eher meiden. In Frankreich gibt es den analogen Parteinamen schon: PSU, Parti Socialiste Unifié. Diese kleine sozialistische Partei hat sich 1989 aufgelöst; der Name ist also vermutlich frei.



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