19. Mai 2009

Marginalie: Akupunktur wirkt. Auch wenn sie gar nicht stattfindet. Über die Vertracktheit von Placebos

Neu ist der Befund nicht. Er bestätigt zahlreiche ähnliche Forschungsergebnisse; aber sie scheinen von der Öffentlichkeit nicht recht zur Kenntnis genommen zu werden:

Akupunktur wirkt, beispielsweise bei der Schmerzbekämpfung. Aber was wirkt, das ist der Glaube des Patienten daran, daß eine Akupunktur- Behandlung stattfindet. Täuscht man diese vor, indem Schein- Nadeln angebracht werden, die gar nicht in die Haut eindringen, aber wie Akupunkturnadeln aussehen und von ihnen auch taktil nicht zu unterscheiden sind - dann ist die Besserung genau so groß wie bei Akupunktur.

Über die Untersuchung, die das einmal wieder bestätigt hat, berichtete vergangene Woche das Wissenschafts- Magazin Science News; siehe auch den Bericht im Time Magazine.

Die Autoren (D.C. Cherkin und Mitautoren, Archives of Internal Medicine, May 11, 2009, Vol. 169, p. 858-866) untersuchten 638 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Sie wurden in vier Gruppen aufgeteilt. Alle setzten ggf. ihre übliche medikamentöse Schmerztherapie fort. Sie unterschieden sich aber in Bezug auf eine zusätzliche Akupunktur- Behandlung:
  • Die erste Gruppe erhielt eine Standard- Akupunktur- Behandlung.

  • Gruppe zwei erhielt ebenfalls Akupunktur; aber diese wurde von einem Akupunktur- Arzt individuell an den Patienten angepaßt. (Dafür gibt die traditionelle chinesische Medizin bestimmte Regeln an; z.B. muß die Zunge untersucht werden).

  • Die dritte Gruppe erhielt (natürlich, ohne das zu wissen), die Schein- Akupunktur. Dabei wurden auf dem Rücken dieselben Röhrchen angebracht, durch die sonst die Akupunktur- Nadeln gesteckt werden. Statt derer wurden aber Zahnstocher eingeführt, die zwar einen Druck auf die Haut ausübten, aber nicht in diese eindrangen. Für den Patienten war das nicht von Akupunktur zu unterscheiden.

  • Die vierte Gruppe war die Kontrollgruppe, die nur ihre übliche medikamentöse Therapie erhielt.
  • Die Patienten, die sich freiwillig für dieses Forschungs- Experiment gemeldet hatten, wurden nach Zufall einer der vier Gruppen zugeteilt. Sie wußten nicht, ob sie echte Akupunktur oder die Scheinakupunktur erhielten. Jeder Patient erhielt zehn Behandlungen innerhalb von sieben Wochen.

    Nach Ende der Behandlungsperiode füllten die Patienten zu verschiedenen Zeitpunkten Fragebögen über ihr Befinden aus; nach acht Wochen, einem halben Jahr und einem Jahr.

    Die Ergebnisse lassen sich kurz zusammenfassen: Bis auf die vierte, also die unbehandelte Kontrollgruppe zeigten alle Patienten- Gruppen deutliche Besserung, und zwischen den drei behandelten Gruppen gab es keine signifikanten Unterschiede. Die Schein- Akupunktur wirkte also genauso gut wie echte Akupunktur.



    Wie läßt sich das erklären? Die nächstliegende Erklärung ist, daß Akupunktur eben gar nicht durch die physiologischen Einflüsse der Nadeln wirkt, sondern durch den Glauben an ihre Wirksamkeit. Ein Placebo- Effekt also.

    Placebo- Effekte sind keine "Einbildung", sondern echte Effekte, deren Besonderheit nur ist, daß sie über psychische Mechanismen vermittelt werden. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand (einen guten Überblick gibt die internationale Wikipedia) werden dabei letztlich dieselben Mechanismen (vor allem die Ausschüttung von Opioiden) aktiviert wie auch durch schmerzlindernde Medikamente; nur ist das zum Teil über andere Gehirn- Mechanismen (vor allem des Frontalhirns) vermittelt und insofern eben "psychisch".

    Mit anderen Worten, der Glaube ist die Therapie. Im Grunde nichts Erstaunliches, denn daß "Psychisches" körperliche Funktionen beeinflussen kann, wissen wir alle; spätestens, seit wir uns als Kind vielleicht vor Angst in die Hose gemacht haben.

    Aber wenn das so ist - nicht nur bei der Akupunktur, sondern beispielsweise auch bei der Homöopathie - , dann stellt sich ein sehr schwieriges ethisches und auch praktisches Problem: Die Wirkung hängt daran, daß der Patient an eben diese Wirkung glaubt. Und er glaubt daran, daß es die Nadeln sind, daß es die Verschüttlungen sind, die wirken, nicht sein Glaube.

    Klärt man den Patienten über den Placebo-Effekt auf, dann verschwindet dieser in der Regel oder wird jedenfalls geringer. Muß man den Patienten also belügen, um ihn erfolgreich zu therapieren?

    Es scheint so. Und nach meinem Eindruck wissen das viele Ärzte auch und handeln danach. Oft aber erleichtern sie sich die Situation, indem sie sich auf den Standpunkt stellen, man kenne ja die Mechanismen noch nicht wirklich. Entscheidend sei doch der therapeutische Erfolg. Wer heilt, hat Recht.

    Auch Cherkin und seine Mitautoren denken offensichtlich so. Sie sehen nämlich in einem Placebo- Effekt nur eine der möglichen Erklärungen für ihre Befunde. Vielleicht, schreiben sie, hätte ja auch die bloße Berührung der Haut durch die Zahnstocher schon physiologisch so gewirkt wie eine Akupunktur.



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