20. Mai 2009

Zitat des Tages: "Wir haben an die Lampe geklopft". Die Kanzlerin über ihr Leben in der DDR

Wir haben oft in Gaststätten an die Lampe geklopft und gesagt: "Wenn ein Mikrofon drin ist – einschalten!" Es ging darum, sich nicht kirre machen zu lassen."

Bundeskanzlerin Merkel gestern im Interview mit Sandra Maischberger über ihren Alltag in der DDR.

Kommentar: Diese Bemerkung kennzeichnet, so scheint mir, sehr gut das Leben, das Angela Merkel ebenso wie die meisten DDR-Bürger geführt hat: Man wußte sich ständig überwacht. Man arrangierte sich irgendwie mit der Unfreiheit. Man hatte das Bestreben, sich seine eigene kleine Freiheit zu bewahren, so gut es ging, sich nicht "kirre machen" zu lassen.

Den meisten gelang das. Das bedeutete freilich den Verzicht darauf, ehrlich seine Meinung zu sagen und aktiv gegen das Regime Stellung zu nehmen. Wer das tat - wer mutiger, entschlossener, moralischer handelte als die heutige Kanzlerin -, der mußte mit der Vernichtung seiner Existenz rechnen. Mit Gefängnis, der Zerstörung seiner Familie, der Wegnahme seiner Kinder. Sippenhaft für die Angehörigen.

Daß die meisten DDR-Bürger, auch Angela Merkel, das nicht riskierten, ist für mich nachvollziehbar, ja es erscheint mir naheliegend und richtig. Sehr wahrscheinlich hätte ich genauso gehandelt.

Die Pharisäer aus dem Westen, die ihr Leben in einem freiheitlichen Rechtsstaat verbracht haben und die nun den Zeigefinger heben und andere, die dieses Glück nicht hatten, dafür tadeln, daß sie ihre Existenz nicht aufs Spiel gesetzt haben, sind mir unerträglich. Was für eine Selbstgerechtigkeit, welche moralisierende Heuchelei!



Interessanter als das, was die Kanzlerin gesagt hat, ist aber vielleicht der Umstand, daß sie es gesagt hat.

Die Sendung war ja etwas seltsam: Statt der üblichen Diskussionsrunde bestand sie aus zwei Teilen; erst das Interview mit der Kanzlerin und dann eine Runde u.a. mit Gregor Gysi und Guido Knopp. Offenbar war es der Kanzlerin wichtig gewesen, sich zu dem Thema zu äußern, auch wenn sie vermutlich nicht willens war, ausgerechnet mit Gregor Gysi über das Leben in der DDR zu diskutieren.

Warum diese Bereitschaft zur Auskunft? Es könnte sein, daß die Kanzlerin einer Schmutzkampagne zuvorkommen will, die, so scheint es, von Oskar Lafontaine und Genossen vorbereitet wird. Ein Kostprobe hat Lafontaine vor einer Woche im Interview mit "Spiegel- Online" gegeben:
Spiegel-Online: Kanzlerin Angela Merkel will die Linke weiterhin an ihrer Haltung zur DDR- Vergangenheit messen.

Lafontaine: Ein interessanter psychologischer Fall. Die Menschen neigen dazu, ihre eigenen Fehler anderen vorzuwerfen. Frau Merkel müsste ihre eigene DDR- Vergangenheit aufarbeiten, und die ihrer eigenen Partei. Sie war FDJ- Funktionärin für Agitation und Propaganda. Damit gehörte sie zur Kampfreserve der Partei.
Während Oskar Lafontaine, im freien Westen, ja bekanntlich immer gegen das kommunistische Regime gekämpft hat.

Wie zum Beispiel hier dokumentiert:





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