20. Juli 2009

High Noon in Kiel, wieder einmal. Zwei Geschichten (narratives). Was die lokale Presse meint. Mein Fazit

Wenn Deutschland einmal nach Kiel schaut, dann ist entweder Kieler Woche, oder es gibt Zoff in der Landespolitik.

Da war erst die Affäre Barschel (ab 1987), die 1993 in eine Affäre Engholm ("Schubladen- Affäre") überging. Engholms Nachfolgerin wurde Heide Simonis. Sie wurde Opfer des "Heide- Mords", der Illoyalität eines anonymen Abgeordneten, der ihr bei der geheimen Wahl des Ministerpräsidenten die Stimme verweigerte. So wurde Peter Harry Carstensen Regierungschef, der heute versuchen wird, seine eigene Regierungszeit vorzeitig zu beenden.

Von den vier letzten Regierungschefs des Landes Schleswig- Holstein kam also der erste innerhalb einer Affäre ums Leben; der zweite mußte wegen dubioser Machenschaften zurücktreten; die dritte wurde Opfer eines Heckenschützen in (wahrscheinlich) der eigenen Partei; und der vierte scheiterte vor dem Ende seiner Amtszeit an koalitionsinternen Querelen. Keiner brachte seine Zeit im Amt ordentlich zu Ende.

Nicht wahr, da ist ganz schön viel los in diesem friedlichen, ländlich- beschaulichen Urlaubsland Schleswig- Holstein, meerumschlungen. Stoff für Gerüchte, Stoff für Phantasien, teils auch Stoff für Verschwörungstheorien.

Irgendwie erinnert das alles ein wenig an die Karl- May- Festspiele in Bad Segeberg in der Holsteinischen Schweiz. Hauen und Stechen. High Noon. Der Schurke Barschel gegen den edlen Engholm; oder war der gar nicht so edel? Die tapfere Lady Heide Simonis aus dem Hinterhalt gemeuchelt.

Und jetzt? Jetzt stehen sich zwei narratives gegenüber.



Wenn Ereignisse die Öffentlichkeit beschäftigen, dann entstehen solche narratives; Geschichten, die den Rahmen zur Interpretation der Ereignisse liefern. Sie entstehen; sie werden auch von interessierter Seite lanciert.

In der Affäre Barschel/Engholm dominierte zuerst die Geschichte vom Schurken Barschel, dessen Machenschaften vom ehrlichen Reiner Pfeiffer aufgedeckt wurden. Später erwies sich Pfeiffer als gar nicht so ehrlich und die SPD sich als auch nicht so ganz unbeteiligt.

Für die Geldzahlungen des SPD-Ministers Jansen an Pfeiffer wurde die narrative vom "guten Menschen" Jansen gestrickt, der den armen Pfeiffer nicht darben sehen konnte. Andere verbreiteten die Geschichte, an Pfeiffer sei Schweigegeld gezahlt worden, weil er die Verstrickungen der SPD in die Barschel- Affäre gekannt habe.

So ist das eben; jeder hat seine Story. Und auch jetzt werden wieder narratives verbreitet.

Die eine handelt von einem machiavellistisch agierenden Peter Harry Carstensen, der den Bruch seiner eigenen Koalition arglistig herbeiführte, um unter günstigen Bedingungen - Neuwahlen zeitgleich mit der Bundestagswahl - ein gutes Wahlergebnis zu erhalten und dann mit der FDP zu regieren.

Die andere narrative schildert einen SPD-Vorsitzenden Ralf Stegner, der sich innerhalb der Koalition ständig illoyal verhält, der deren Beschlüsse nach außen nicht mitträgt und der damit das Koalitionsklima so vergiftete, daß es schließlich so nicht mehr weitergehen konnte und Carstensen das Handtuch warf.



Es ist schwer, von außen zu beurteilen, welche der beiden Geschichten die plausiblere ist. Man kennt die Akteure zu wenig.

Aber die lokale Presse kennt sie besser. Und was ich dort lese - in der "Schleswig-Holsteinischen Zeitung" -, das scheint mir Licht auf die beiden narratives zu werfen:
Carstensen selbst - er wirkt an diesem Tag in sich gekehrt. Wie abwesend blickt er starr geradeaus - so, als wolle er gar nicht hören, welcher Abgesang auf seine Koalition da über die Bühne geht. Carstensen, der Harmoniemensch, der "stolz" ist auf sein "ordentlich arbeitendes Kabinett", soll Tränen in den Augen gehabt haben, als er der Fraktion am Mittwoch seinen Entschluss zur Aufkündigung der Koalition mitteilte. In die Debatte greift er nicht ein. (...)

Auch in der SPD wissen sie, dass nicht ganz falsch ist, was Wadephul [der Vorsitzende der CDU-Fraktion; Zettel] erklärt: Dass das seit Jahren von Krisen geschüttelte Bündnis immer wieder von Carstensen über die Runden gerettet worden sei - nicht selten gegen Widerstände aus der Union. Die wäre längst ausgestiegen, wenn "Peter Harry" sich nicht quer gestellt hätte.
Gewiß, eine Stimme unter vielen. Mir kommt das aber plausibel vor. Dem bodenständigen Peter Harry Carstensen, Landwirt und von der Insel Nordstrand stammend, traue ich machiavellistisches Verhalten nicht zu; wohl aber das Bemühen um Einigkeit.

Ralf Stegner, der sich mit Fliege statt Schlips und immer herabgezogenen Mundwinkeln zu dinstinguieren weiß, der mit einer Arbeit über "Theatralische Politik made in USA" promovierte und der 2005 einen in der Tat theatralischen "Offenen Brief" an den anonymen Abweichler verfaßte - diesem Mann traue ich intrigantes Verhalten zu.

Was dieser seltsame Offene Brief, der von Injurien nur so wimmelte ("schäbige[r] und charakterlose[r] Verrat"; "aus egozentrischer Geltungssucht"; "ehrlose Schweinerei"), damals sollte, darüber kann man ins Grübeln kommen. Vielleicht sollte er dem (völlig unbewiesenen) Verdacht entgegentreten, Stegner selbst sei der "Heidemörder".

Daß Peter Harry Carstens solch ein Brimborium hätte zu Papier bringen können, kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen. Mir erscheint er als der glaubwürdigere der beiden Kontrahenten.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Ausschnitt aus einem Plakat zur Show Bufflo Bill's Wild West (1890). In der Public Domain, da das Copyright abgelaufen ist.