3. Oktober 2009

Bis er Präsident wurde, hatte Barack Obama nur Erfolge. Seither reiht sich Mißerfolg an Mißerfolg. Vielleicht deshalb

Wie konnte das einem Präsidenten der USA passieren? Wie konnte Barack Obama das Gewicht seines Amts für eine so unsichere Sache in die Waagschale werfen wie die Olympia- Kandidatur von Chicago? Wie konnte er darüber hinaus auch noch sein ganz persönliches Prestige mit dieser Sache verbinden, indem er sich selbst nach Kopenhagen aufmachte; die First Lady nicht nur mit dabei, sondern in vorderster Front (nämlich mit einer Rede noch vor derjenigen des Präsidenten) für Chicago kämpfend, so als ginge es um das Schicksal der USA?

Denkbar, daß es da Hintergründe gibt, wie sie in "Zettels kleinem Zimmer" gestern angedeutet wurden: Daß in Chicago Leute und Gruppen existieren mögen, denen Barack Obama einen Gefallen schuldete.

Aber vielleicht müssen wir zur Erklärung des auf den ersten Blick so seltsamen Verhaltens des Präsidenten gar nicht derartige Mutmaßungen anstellen. Vielleicht ist das, was zum Debakel von Kopenhagen führte, nur die konsequente Fortsetzung des Verhaltens, das Barack Obama auf seinem ganzen bisherigen Lebensweg gezeigt hat.

Obamas Biographie ist eine Kette von Erfolgen. Es waren nicht die hart erkämpften Erfolge dessen, der sich aus einfachen Verhältnissen unter Aufbietung aller Kräfte ganz an die Spitze hocharbeitet. Barack Obama war, bis er Präsident wurde, ein Glückskind, dem die Erfolge förmlich zuflogen.

Sie flogen ihm zu dank seiner Intelligenz, dank seines Charmes, dank des Wohlwollens, das ihm als Schwarzem zuteil wurde; vor allem aber dank einer ganz ungewöhnlichen Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen.

Ich habe das zum ersten Mal vor fünf Jahren erlebt, als ich die Übertragung der Keynote Address, der Programmatischen Rede, gesehen habe, für die der damalige Kandidat der Demokraten John Kerry den noch weithin unbekannten Barack Obama - damals Senator im Parlament des Bundesstaats Illinois - ausgewählt hatte.

Welch ein Redner! war meine Reaktion. Und auch damals schon war Obamas Selbstbezogenheit auffällig: Obwohl er ja den Auftrag hatte, John Kerry und die Demokratische Partei zu preisen, widmete er weite Passagen der Rede seiner eigenen Biographie. Aber er machte das so geschickt und die Rede war so gut, daß Obama von Stund an eine nationale Größe war.

Als er dann seinen Wahlkampf für die Präsidentschaft begann, war sofort wieder offensichtlich, wie sehr er mit diesem Charisma seine Mitbewerber überragte. In einem Artikel, in dem ich im Januar 2008 vier der damaligen Kandidaten im Vorwahlkampf porträtiert habe, stand über Obama:
So ist er, der Barack Obama. Fast unwiderstehlich. Ich wüßte keinen deutschen oder französischen Politiker, der so lieb und zugleich so stark wirkt. Um noch eine Etage höher zu greifen als nur zu Kennedy: So ungefähr dürfte Alexander der Große auf seine Mazedonier, dürfte Totila auf seine Ostgoten gewirkt haben. Der geborene Anführer.
Das war damals meine Wahrnehmung Obamas; und ich denke auch heute noch, daß sie nicht falsch war. Nur kamen im Lauf der Zeit manche andere, weniger erfreuliche Züge seiner Persönlichkeit zum Vorschein.



Mit seiner Fähigkeit, Menschen für sich zu gewinnen, ist Obama Stufe um Stufe emporgestiegen, bis ganz zur Spitze. Auf jeder Station seines Lebenswegs - in seiner Schulzeit in Djakarta und Honolulu, in seiner College- Zeit in Los Angeles und in New York, als Sozialarbeiter in Chicago und als Doktorand in Harvard, als Senator in Illinois und dann in Washington, schließlich als Kandidat für die Präsidentschaft - hat Obama die Erfahrung gemacht, daß er seine Ziele erreichen kann, indem er Menschen für sich einnimmt.

Auf Widerstand ist er bemerkenswert selten gestoßen; er scheint sich kaum persönliche Feinde gemacht zu haben. Was er anpackte, das gelang ihm. Ein Glückskind eben. "Yes, I can" - das muß die Summa seiner Erfahrungen gewesen sein.

Bis er Präsident wurde. Bis er nicht mehr die Aufgaben aussuchen konnte, für die er sich interessierte; bis er nicht mehr die Ziele wählen konnte, die ihm erfolgversprechend erschienen.

Barack Obama hat jetzt einen Job, für den die Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen, zwar gewiß nicht hinderlich ist; für den sie aber doch nicht das Haupt- Qualifikationsmerkmal ausmacht. Die Menschen, mit denen er es jetzt zu tun hat - ein widerspenstiger Kongreß, Pressure Groups aller Art; im Ausland Staatsmänner und Diplomaten - sind selbst viel zu ausgefuchst, als daß sie sich von Obamas Rhetorik würden beeindrucken lassen. Und als Schwarzer genießt er bei ihnen ebenfalls keinen Bonus.

Auch für Sportfunktionäre gilt das. Obama hat es in Kopenhagen erkennen müssen. So, wie er es wieder und wieder erkennen mußte, seit er sein Amt angetreten hat.

Seine Gesundheitsreform wird zerpflückt; die Zustimmung zu seiner Politik geht bei den Wählern kontinuerlich zurück. Weder Putin noch die Herrscher Nordkoreas und des Iran, weder die Parteien des Palästina- Konflikts noch die Taliban zeigen sich im Geringsten beeindruckt von Obama, dem Menschenfischer. Eher hat man den Eindruck, daß sie ihn immer weniger ernst nehmen. Man läßt ihn stehen, mit seiner ausgestreckten Hand und seinem entwaffnenden Lächeln, und leistet sich politische Schachzüge, für die man zur Zeit von Präsident Bush nicht die Traute gehabt hätte.

Aber es scheint, daß Barack Obama die Lage noch nicht begriffen hat. Statt endlich Realpolitik zu machen, schwelgt er weiter in grandiosen Visionen.

Er meinte, durch große Reden das Palästina- Problem lösen zu konnen. Das Ergebnis ist bisher null. Er glaubte offenbar ernsthaft, mit seinem Charisma und Michelles Charme alle Kungeleien im IOC überspielen zu können. Das Ergebnis ist bekannt.



Und er glaubt offenbar ernsthaft an eine Welt ohne Atomwaffen. Bei allen seinen sonstigen Mißerfolgen hat er tatsächlich den Weltsicherheitsrat dazu gebracht, auch für eine Welt ohne Atomwaffen zu sein. Welch ein Erfolg!

Es kostet ihn nichts, den Weltsicherheitsrat, dafür zu sein; so wie alle für das schöne Wetter sind. Diesen Gefallen haben sie dem Messias im Weißen Haus alle gern getan, für eine Welt ohne Atomwaffen zu sein. Sie hätten bestimmt auch für eine Welt gestimmt, in der niemand hungert und friert und in der alle Krankheiten abgeschafft sind.

Freilich wäre diese schöne Show dem Barack Obama fast in letzter Minute noch verhagelt worden. Dazu gibt es eine fast unglaubliche Geschichte, die Charles Krauthammer in seiner aktuellen Kolumne in der Washington Post erzählt, gestützt auf Berichte von Le Monde, dem Wall Street Journal und der New York Times.

Danach hatte Obama, als er im Sicherheitsrat zu reden anhub, bereits Kenntnis von der bis dahin verschwiegenen Uran- Anreicherungsanlage des Iran in Qom. Die ebenfalls informierten Briten und Franzosen drängten ihn, in seiner Rede darauf einzugehen, um der Welt vor diesem internationalen Forum den Ernst der Lage vor Augen zu führen.

Obama aber weigerte sich. Mehr noch: Er bedrängte den französischen Präsidenten Sarkozy so lange, bis dieser sich bereitfand, auch aus seiner eigenen Rede die Passage zu diesem Thema zu streichen. Erst am nächsten Tag - auf dem G-20-Gipfel in Pittsburgh - durfte die Sache publik gemacht werden.

Obama hätte, so verlautete dazu aus dem Weißen Haus, seine Rede nicht durch eine "Ablenkung" auf den Iran "verwässern" lassen wollen.

Da haben wir ihn, den Obama - das Geheimnis seiner früheren Erfolge und seiner heutigen ständigen Mißerfolge als Präsident: Er ist ein Mann der großen Geste. Er will kommunizieren, andere beeindrucken und beeinflussen. Wenn die reale Welt nicht so ist: Um so schlimmer für die Realität.



Charles Krauthammer beendet seine Kolumne mit dem, was Bismarck gesagt haben soll: "There is a providence that protects idiots, drunkards, children, and the United States of America" - es gebe ein Vorsehung, die Schwachsinnige, Betrunkene, Kinder - und die Vereinigten Staaten von Amerika schütze. Und er fügte sarkastisch hinzu: "Bismarck never saw Obama at the UN" - Bismarck hätte nie Obama bei den Vereinten Nationen erlebt.

Ich habe das Zitat nicht verifizieren können. Die einzige Quelle, die ich gefunden habe, ist Michael McCollum. Der allerdings ist Romancier. Spezialität: Science Fiction.



Die Titelvignette zeigt das offizielle Foto von Präsident Obama. Es wurde wenige Stunden vor seinem Amtsantritt von Peter Souza aufgenommen und ist unter Creative Commons Attribution 3.0 Unported License freigegeben. Für Kommentare bitte hier klicken.