24. Oktober 2009

Marginalie: Wie kommt es zu einem tödlichen Verlauf der Schweinegrippe? Warum sind davon vor allem Jüngere betroffen?

Die Schweinegrippe verläuft bisher meist glimpflich.

Die Epidemie, die in Deutschland nach dem ersten Infektionen im Juni und dann wieder nach der Rückkehr infizierter Urlauber im Sommer befürchtet worden war, ist ausgeblieben.

Wir Deutschen gehören nach einer internationalen Umfrage zu denjenigen, die weltweit am wenigsten Angst vor der Schweinegrippe haben; siehe German angst? Das war einmal. La peur française! Wer fürchtet sich vor der Schweinegrippe?, ZR vom 18. 7. 2009.

Kein Wunder, daß jetzt die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, nicht sehr hoch ist. Dazu heute "Welt- Online"
:... kurz vor Beginn der Impfung gegen die Schweinegrippe sinkt in der Bevölkerung die Bereitschaft, sich überhaupt impfen zu lassen. Die öffentliche Diskussion über die Sicherheit der Impfstoffe hat die Menschen verunsichert und dazu geführt, dass zwei von drei Bundesbürgern eine Impfung kategorisch ablehnen. 85 Prozent der Bevölkerung halten die Gefahr durch die Schweinegrippe mittlerweile sogar für übertrieben, wie eine aktuelle Emnid-Umfrage zeigt. (...) In Berlin weigern sich Ärzte, ihre Patienten zu impfen, weil ihnen diese Leistung mit nur 5,50 Euro vergütet werden soll. Sie fordern 7,10 Euro.
Es kann gut sein, daß diese Sorglosigkeit zu keinen schlimmen Folgen führen wird. Nur ist sie ein Vabanquespiel. Die Wissenschaft kann bei solchen komplexen, von vielen Faktoren und vom Zufall abhängenden Prozessen wie der Ausbreitung und der Veränderung eines Virus keine sichere Vorhersagen machen, sondern nur Wahrscheinlichkeiten angeben; siehe Vogelgrippe, Schweinegrippe. Anmerkung zu Leistungen und Grenzen wissenschaftlicher Vorhersagen; ZR vom 29. 4. 2009.

Auf sichererem Grund bewegen sich die Wissenschaftler bei der Beantwortung der Frage, warum man eigentlich an einer Infektion mit H1N1 sterben kann. Über die aktuelle Forschung dazu berichtet jetzt Nathan Seppa im Wissenschaftsmagazin Science News (Bd. 176, Nr. 10, 7. November 2009, S. 13).

Drei neue Untersuchungen, die in den vergangenen Monaten in Kanada, Mexiko, Australien und Neuseeland durchgeführt wurden, kommen in zwei Punkten zu übereinstimmenden Ergebnissen:

Erstens sterben an der Schweinegrippe überwiegend nicht alte Menschen oder Kinder, sondern Erwachsene im Alter von um 30 bis 50 Jahren.

Zweitens ist die Todesursache eine Einschränkung der Lungenfunktion, die zu einem Absinken des Sauerstoffs im Blut führt. Als Folge davon werden alle Organe mit Sauerstoff unterversorgt. Der Patient stirbt an Schock oder allgemeinem Organversagen.



Der Krankheitsverlauf beginnt in diesen schweren Fällen mit einer Lungenentzündung, die durch die Ansammlung von Flüssigkeit im Blut und in den Atemwegen, teils auch durch Lungenblutungen, dazu führt, daß die Lunge immer weniger von dem eingeatmeten Sauerstoff in die Blutbahn abgeben kann. "Der Patient kann noch atmen, aber das Atmen bleibt wirkungslos", formulierte es einer der beteiligten Wissenschaftler.

Durch mechanische Beatmung kann ein Teil der Patienten gerettet werden. Auch Künstliche Lungen werden, sofern verfügbar, eingesetzt, die in den Blutkreislauf eingeschaltet werden und das Blut anstelle der Lunge mit Sauerstoff anreichern.

Die Daten aus allen drei Untersuchungen sind sehr ähnlich: Die kanadische Untersuchung umfaßte 168 schwer erkrankte Patienten mit einem Durchschnittsalter von 32 Jahren, von denen 17 Prozent starben. In der Untersuchung, die in Australien und Neuseeland durchgeführt wurde, starben 21 Prozent der 68 Patienten mit einem durchschnittlichen Alter von 34 Jahren. In der Untersuchung in Mexiko lag die Sterblichkeit in der Gruppe von 58 schwer an der Schweinegrippe erkrankten Patienten bei 41 Prozent; das Durchschnittsalter war hier 44 Jahre.

Wie kommt es, daß ein solcher schwerer, bei einem Teil der Patienten tödlicher Verlauf sich vor allem in dieser eher jüngeren Altersgruppe findet? Vermutet wird, daß ältere Menschen von früheren Infektionen her eine Rest- Immunität haben, die sich auch auf den H1N1-Virus auswirkt. Warum auch bei Kindern ein schwerer Verlauf seltener ist als in der Gruppe der Hauptbetroffenen, ist noch unbekannt.

Was folgt aus diesen Untersuchungen für die Praxis? Einer der beteiligter Wissenschaftler, Robert Fowler von der Universität Toronto, der die kanadische Untersuchung leitete, meinte dazu gegenüber dem Autor Nathan Seppa:
These papers teach us that in the subset of patients with critical illness due to H1N1, the patients can deteriorate very quickly. But with early recognition of the disease, prompt treatment and capacity for aggressive life-support and rescue therapies for oxygenation failure, mortality can be limited.

Diese Veröffentlichungen sagen uns, daß in der Teilgruppe der Patienten, die durch H1N1 lebensgefährlich erkranken, sich der Zustand sehr schnell verschlechtern kann. Aber bei einer frühen Erkennung der Erkrankung, schneller Behandlung und der Verfügbarkeit von aggressiven Therapien, die beim Versagen der Sauerstoffversorgung lebenserhaltend und lebensrettend eingesetzt werden können, kann die Sterblichkeit in Grenzen gehalten werden.
Ein tödlicher Verlauf ist seltener (etwa im Verhältnis 1:7), wenn der Patient rechtzeitig mit Tamiflu behandelt worden war. Und natürlich kann man die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines tödlichen Verlaufs einer H1N1- Infektion zu werden, drastisch senken, indem man sich impfen läßt.

Zwei Drittel der Deutschen scheinen aber, jedenfalls im Augenblick, das Vabanque- Spiel vorzuziehen.



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