14. Oktober 2009

Zitat des Tages: "Das System radikalisiert sich". Ein Bericht aus dem Iran

Although Iran's opposition movement has witnessed an unprecedented surge in public support, the election and its aftermath mark a radicalization of the system not seen since the early days of the Islamic revolution.

(Zwar hat die iranische Oppositionsbewegung einen beispiellosen Aufschwung in ihrer Unterstützung durch die Bevölkerung erfahren, aber die Wahlen und die Folgezeit markieren eine Radikalisierung des Systems, wie es sie seit den Anfängen der Islamischen Revolution nicht mehr gegeben hat.)

Jerry Guo in Foreign Affairs (September/Oktober 2009) über die aktuelle Situation im Iran. Überschrift des Artikels: "Letter From Tehran: Iran's New Hard- Liners. Who Is in Control of the Islamic Republic?" (Brief aus Teheran: Die neuen Hardliner des Iran. Wer beherrscht die Islamische Republik?)


Kommentar: Wenn in einem Land Spektakuläres geschieht, wie im Iran nach den Wahlen, dann zieht dies das Interesse der Weltöffentlichkeit auf sich. Kehrt wieder "Normalität" ein - wie anomal sie auch sein mag, gemessen an den Kriterien für ein akzeptables Staatswesen -, dann schwindet dieses Interesse sehr schnell. Am Iran interessiert im Augenblick hauptsächlich seine Atomrüstung; die innenpolitische Lage ist längst aus den Schlagzeilen verschwunden.

Aus der Sicht von Jerry Guo ist diese Lage nicht durch einen Machtkampf zwischen "Gemäßigten" und "Hardlinern" gekennzeichnet, wie das im Westen oft gesehen wird. Vielmehr sei die Macht nach den Wahlen und der Niederschlagung der Demonstrationen fest in der Hand verschiedener Gruppen von Hardlinern.

Gemäßigte wie Ali Laridschani, die während der ersten Amtszeit Ahmadinedschads einen gewissen Einfluß gehabt hätten, seien weitgehend kaltgestellt. An ihre Stelle sei eine zweite Generation von Revolutionären getreten, Männer aus dem Sicherheitsapparat, die im Iran als die "Neue Rechte" bezeichnet werden; unter ihnen der besonders gefürchtete Sohn des Ayatollah Khamenei, Moschtaba Khamenei. Diese seien eine Koalition mit ultrakonservativen Klerikern und und radikal- islamistischen Organisationen wie der "Allianz für den Aufbau eines Islamischen Iran" eingegangen.

Eine Schlüsselrolle in diese Koalition spielt - ich berichte weiter, was Guo schreibt - die Revolutionsgarde, genauer die "Garde der Islamistischen Revolutionswächter"; nach ihrer englischen Bezeichnung (Islamic Revolutionary Guards Corps) IRGC genannt. Im IRGC hatte es vor den Wahlen Sympathien für den Reformkurs Mussawis gegeben; nach den Wahlen und den anschließenden Unruhen wurden diese unsicheren Kantonisten hinausgesäubert. Jetzt ist das IRGC wieder stramm auf der Linie der Hardliner.

Im Fokus dieser rechtsextremen Allianz steht nicht mehr die Religion. Vor allem geht es um die Verteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Dieses Geschäft betreibt das IRGC nach Mafia-Art: Mit erzwungener billiger oder kostenloser Arbeit und einem repressiven Sicherheitsapparat werden hohe Profite erwirtschaftet; auch der Schwarze Markt wird weitgehend vom IRGC beherrscht.

Zugleich hat das IRGC im neuen Kabinett Ahmadinedschad die Schlüsselressorts besetzt - das Verteidigungs- das Innenministerium und das Ministerium für den Geheimdienst; dazu das Erdöl-Ministerium. Damit kontrolliert es den Repressionsapparat und den Schlüsselbereich der iranischen Wirtschaft.

Guo ist angesichts dieser Entwicklung pessimistisch, was die Innenpolitik und auch was die Nuklearpolitik des Iran angeht. Die Mafia der IRGC, meint Guo, hätte überhaupt kein Interesse daran, daß der Iran aus seinem Status als internationaler Paria herauskommt. Denn diese jetzige Lage nährt den Schwarzen Markt. Eine Öffnung zum Westen würde die Machtbasis der Hardliner gefährden.



Über die Zuverlässigkeit der Analyse von Jerry Guo kann ich nichts sagen. Er ist kein Journalist oder Politologe, sondern ein Banker, der längere Zeit im Iran tätig war. Obwohl sein Artikel "Brief aus Teheran" überschrieben ist, scheint er im Augenblick nicht mehr im Iran zu sein.

Foreign Affairs ist eine der angesehendsten internationalen Zeitschriften für Außenpolitik; man kann also davon ausgehen, daß Guos Artikel vor der Publikation von Fachleuten auf seine Fundiertheit geprüft wurde. Ich halte ihn auch deshalb für stichhaltig, weil er im Kern mit der seinerzeitigen Analyse von George Friedman in Stratfor übereinstimmt; siehe Barack der Redner redet wieder. Aber woran ist die iranische Revolution gescheitert? Die Antwort von George Friedman; ZR vom 24.6.2009.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.