17. Mai 2010

Kurioses, kurz kommentiert: Nicht der Islam ist homoxualitätsfeindlich, sondern der Westen, der ihn dazu gemacht hat. Meint Georg Klauda

Auf den Mann aufmerksam geworden bin ich durch ein Interview mit ihm, das gestern in "Welt-Online" stand.

Zuvor hatte ich noch nie etwas von Georg Klauda gehört. Also habe ich gegoogelt: Er hat Soziologie studiert und ein Buch geschrieben. Es heißt "Die Vertreibung aus dem Serail: Europa und die Heteronormalisierung der islamischen Welt".

Darin vertritt er eine der kuriosesten Thesen, die ich jemals über den Islam gelesen habe: Dieser sei als solcher gar nicht feindlich gegenüber der Homosexualität; im Gegenteil. Aus dem Interview mit "Welt-Online":
Im geschichtlichen Rückblick war es eher die islamische Welt, die eine schwunghafte Tradition gleichgeschlechtlicher Liebe in der hochsprachlichen Dichtung unterhielt. Gut die Hälfte aller klassischen Liebesverse sind an junge Männer gerichtet. Damit unterschied sie sich verblüffend von den Verhältnissen im christlich-"aufgeklärten" Europa, in dem es zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert eine schwunghafte Praxis von strafrechtlicher Verfolgung und medizinischer Pathologisierung gab.
Wenn jemand "Aufklärung" oder "aufgeklärt" in Anführungszeichen setzt, dann werde ich immer hellhörig. Dann handelt es sich in der Regel um einen Dunkelmann, der das Licht der Lumières scheut.

Daß manche der in Liebeslyrik Angeschmachteten in der islamischen - wie auch in der abendländischen - Literatur junge Männer gewesen sein mögen, mag ja stimmen. Daraus auf den damaligen Islam allgemein zu schließen, ist schon recht kühn.

Wo aber aber hat die heutige Haltung des Islam zur Homosexualität ihren Ursprung? Wie kommt es, daß heute manche Moslems wie der Kuweiti Dr. Sa'd Al-'Inzi die vom islamischen Gesetz vorgesehene Todesstrafe durch Sturz in die Tiefe als zu milde ansehen und für Auspeitschen und Foltern von Homosexuellen plädieren?

Klauda hat eine verblüffende Antwort:
Ich finde es ärgerlich, wenn in aktuellen Debatten über diese historischen Hintergründe hinweggegangen wird. Sonst wäre für viele erkennbar, dass die zeitgenössische Homosexuellenverfolgung in muslimisch geprägten Ländern nichts mit "mittelalterlicher Rückständigkeit" zu tun hat, sondern mit einer Re-Inszenierung der westlichen Modernisierung.
"Re-Inszenierung der westlichen Modernisierung" - was meint Klauda damit? Genaueres verrät die Verlagsmitteilung zu seinem Buch:
Anhand zahlreicher historischer und aktueller Quellen belegt der Autor, dass die Schwulenverfolgung in Ländern wie Iran und Ägypten weniger das Relikt einer vormodernen Vergangenheit ist. Vielmehr handelt es sich um das Resultat einer gewaltsamen Angleichung an die Denkformen ihrer ehemaligen Kolonialherren, die Homosexuelle im Prozess der Modernisierung erstmals identifiziert, benannt und zum Objekt staatlichen Handelns gemacht haben. Homophobie ist eine Erfindung des christlichen Westens, die im Zuge der Globalisierung in die entlegensten Winkel dieser Welt exportiert wird.
Hm, hm. Eine mutige These. Eine These, die einmal mehr zeigt, daß es nichts Schlechtes auf dieser Welt gibt, das man mit hinreichender Phantasie nicht dem "christlichen Westen" würde aufbürden können.

Eine These allerdings, die bei Moslems auf wenig Verständnis stoßen dürfte. Für diese - beispielsweise den Kairoer Rechtsgelehrten Sheik Yusuf Al-Qaradawi - nämlich ist die Verurteilung der Homosexualität Teil der Scharia und bereits im Koran enthalten.

Die Haltung des Koran war weniger rigoros als die heutiger Islamisten. Aber daß die Verurteilung der Homosexualität erst durch den christlichen Westen in den Islam hineingetragen worden sei, ist wohl doch eher die romantische Phantasie eines verlorenen Sohns jenes christlichen Westens, der diesem auch noch das anlasten möchte

Wie sich tatsächlich im Islam die feindliche Haltung gegenüber der Homosexualität entwickelt hat, darüber hat ausführlich und detailliert der Arabist Arno Schmitt im Journal of Arabic and Islamic Studies (2001-2002, 4, 49-110) Auskunft gegeben.



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