27. Mai 2010

Marginalie: Bundespräsident Köhlers "Wirtschaftskrieg-Rhetorik". Deutscher Eiertanz

Es dürfte schwer sein, einen anderen Staat zu finden, in dem eine solche Debatte stattfinden könnte.

Bundespräsident Köhler hat unsere Truppen in Afghanistan besucht. Und er hat dazu in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur laut "Welt-Online" dies gesagt:
Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganz regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.
Er hat also das Selbstverständliche gesagt: Daß Deutschland, wie jeder Staat, im Notfall Truppen einsetzt, wenn seine Interessen das verlangen.

Dann, und nur dann. Es anders zu handhaben würde den Amtseid jedes Verantwortlichen verletzen, mit dem er bekanntlich schwört, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden.

Gewiß ist der Schutz wirtschaftlicher Interessen nur ein Aspekt einer Entscheidung wie derjenigen, daß Deutschland sich an der ISAF beteiligt. Anfangs stand der Aspekt der unmittelbaren Gefährdung der Sicherheit im Vordergrund; es galt zu verhindern, daß die Kaida in Afghanistan erneut Fuß faßt.

Auch jetzt spielt dieser Gesichtspunkt weiter eine große Rolle; Deutschland ist nach wie vor im Visier des islamistischen Terrorismus. Aber selbstverständlich geht es auch darum, "regionale Instabilitäten zu verhindern", wie der Bundespräsident es formuliert hat. Ein wieder von den Taliban beherrschtes Afghanistan würde die Stabilität der Region gefährden. Pakistan ist inzwischen politisch so instabil, daß es dann ebenfalls vom Islamismus unmittelbar bedroht wäre; mit wiederum unabsehbaren Folgen für den Konflikt mit Indien.

Und natürlich hätte eine solche Entwicklung schwerwiegende wirtschaftliche Folgen, gerade auch für Deutschland. Darauf hat der Bundespräsident hingewiesen. Für das "Handelsblatt" ist das "Wirtschaftskrieg-Rhetorik".



Köhler hat sich mit der ihm eigenen Direktheit geäußert. SPD-Oppermann hat das kritisiert; CDU-Polenz beschwichtigt und nennt die Äußerung von Köhler "keine besonders glückliche Formulierung".

Der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag Frithjof Schmidt setzt - so im "Handelsblatt" zu lesen - noch eins drauf:
Man weiß nicht, was schlimmer wäre: ein Bundespräsident, der das wirklich so sieht, oder einer, der sich über die Zusammenhänge so in Unkenntnis befindet.
Er befindet sich in Kenntnis der Zusammenhänge, der Bundespräsident Köhler. Natürlich befindet sich auch Frithjof Schmidt in Kenntnis der Zusammenhänge. Nur traut Köhler sich, sie zu nennen, diese Zusammenhänge.

Während Schmidt sie gern vertuscht sehen möchte. Er möchte gern den Eiertanz weiter tanzen, den die Grünen einst veranstaltet haben, als sie dem Afghanistan-Einsatz zustimmten. Soldaten ja, aber bitte kein Krieg. Intervention ja, aber bitte nicht zur Wahrung deutscher Interessen.

Denn, nicht wahr, Interessenpolitik gab es ja nur im 19. Jahrhundert. Das jedenfalls meint Ulrich K. Preuß, laut einer Laudatio im "Linksnet" einer der "bedeutendsten juristischen Theoretiker der Neuen Linken". Dazu das "Handelsblatt":
Kritik daran kommt auch von Verfassungsrechtler Ulrich Preuß, der an der Berliner Hertie School of Governance lehrt. "Das ist eine durch das Grundgesetz schwerlich gedeckte Erweiterung der zulässigen Gründe für einen Bundeswehreinsatz um wirtschaftliche Interessen", sagte Preuß "Spiegel Online". Politisch halte er Köhlers Einlassungen für "höchst irritierend". "Da ist ein imperialer Zungenschlag erkennbar", so der Jurist. "Mich erinnert das an die englischen Imperialisten des 19. Jahrhunderts, die mit ähnlichen Argumenten ihre Seeherrschaft verteidigten."
Wie schön, daß es heute solche geopolitischen Interessen nicht mehr gibt. Jedenfalls nicht für Deutschland. Oder sagen wir: In Deutschland gehört es sich nicht, laut darüber zu reden. Schon gar nicht, wenn man Bundespräsident ist.



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