28. Juli 2010

Marginalie: Ein bisher übersehener Faktor bei dem Unglück während der Love Parade

Unglücksfälle wie derjenige bei der Love Parade in Duisburg sind seltene Ereignisse. Seltene Ereignisse kommen meist - nicht immer - dadurch zustande, daß eine Reihe von verursachenden Faktoren zusammenwirken. Unfallforscher sprechen von multiple causation, mehrfacher Verursachung. In der Umgangssprache nennen wir es das "Zusammentreffen unglücklicher Umstände".

In Duisburg gab es offenbar eine ganze Kette solcher unglücklicher Umstände. Das macht der Bericht deutlich, den heute Nachmittag - übertragen vom Sender Phoenix - der Inspekteur der nordrhein-westfälische Polizei Dieter Wehe vortrug:

Das Sicherheitskonzept der Stadt Duisburg wurde der Polizei erst wenige Stunden vor dem Beginn der Veranstaltung zugestellt.

Die Eingangssperren wurden am Vormittag zu spät (erst nach 12 Uhr statt um 11 Uhr oder, wie für den Fall eines Andrangs zugesagt, um 10 Uhr) geöffnet, weil offenbar noch Planierarbeiten im Gang waren; dadurch stauten sich bereits zu diesem Zeitpunkt - Stunden vor dem Unglück - die Besucher.

An Eingängen fehlte es an Personal, so daß teilweise Sperren überhaupt nicht besetzt waren. Sogenannten "Pushern" gelang es nicht, die Menschenmassen dort, wo sie sich stauten, wieder in Bewegung zu bringen. Kritisch war das vor allem, als Besuchergruppen in der Nähe des Tunnels (an der "Rampe") stehen blieben, um die "Floats" (die Musikwagen) zu betrachten; so daß es nicht mehr voranging.

Auf der Pressekonferenz wurden derartige Faktoren, die dem Veranstalter zuzurechnen sind, in den Vordergrund gestellt. Dieser seinerseits - der Betreiber von Fitness-Studios Rainer Schaller - macht die Polizei verantwortlich. Andere sehen die Schuld beim Duisburger Oberbürgermeister.

Gut möglich, daß es alle diese Faktoren gab und daß aus ihrem Zusammentreffen das Unglück hervorging. So ist es eben in der Regel bei solchen Katastrophen. Multiple causation.



Eine Gruppe von Ursachen scheint in der bisherigen Diskussion aber noch kaum in den Blick genommen worden zu sein: Das Verhalten von Teilnehmern der Love Parade.

Schon am Mittag kam es zu Gewalttätigkeiten gegen die Polizei, als die Eingänge nicht, wie vom Veranstalter versprochen, um 11 Uhr geöffnet worden waren. Wehe:
Da hat es ja auch Angriffe gegeben. Da hat es Flaschenwürfe gegeben auf Polizeibeamte. Es ist ... es sind Zelte der Feuerwehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Also, die Polizei hat da richtig Druck gehabt.
Das war um die Mittagszeit, als die Veranstalter die Eingänge nicht wie zugesagt geöffnet hatten und sich die Besucher vor diesen stauten. Aber nicht der schlechten Organisation des Veranstalters galt die Gewalttätigkeit der Kriminellen, sondern der Polizei, die mit der Nicht-Öffnung der Zugänge überhaupt nichts zu tun gehabt hatte.

Das war Stunden vor dem Unglück gewesen. Als sich dann nach 15 Uhr die Besucher am Tunnel stauten, sagten - so Wehe - die Veranstalter zu, die Eingänge zu dem Gelände zu schließen, damit keine weiteren Besucher auf dieses kommen könnten. Das geschah aber nicht. Die Sperren blieben offen.

Die Folge war, daß den Veranstaltern die Lage entglitt. Sie schickten einen Hilferuf an die Polizei. Diese war für die Sicherheit auf dem Gelände zwar ausdrücklich nicht zuständig, setzte nun aber doch (im Rahmen der "allgemeinen Gefahrenabwehr", wie es auf der Pressekonferenz hieß) Polizisten zum Tunnel und zur Rampe in Marsch.

Die Polizisten versuchten, eine Absperrung ("Polizeikette") aufzubauen, mußten diese aber wieder aufgeben. Wehe:
Wenn man die Polizeikette dort wegnimmt, weil sie nicht zu halten ist ... es hatte auch dort vereinzelt Angriff auf Beamte zu gegeben, klar, die wollte man ja auch, ... ich meine, nach diesen langen Stunden jetzt endlich auf das Gelände zu kommen, das kann man ja auch verstehen. Die Kräfte dort mußten diese Sperren aufgeben, und dann sind diese beiden Besucherströme zusammengekommen.
Es waren also Besucher der Love Parade, die durch Angriffe auf Polizisten und dadurch, daß sie offenbar die Absperrung der Polizei zu durchbrechen versuchten, einen wesentlichen Anteil an dem Unglück hatten.

Nein, diese Kriminellen, die Polizisten attackierten und die eine Polizeisperre durchbrachen, sind nicht "die Schuldigen" an dem Geschehen. Niemand ist "der Schuldige". Aber wenn man zusammenträgt, was alles an falschem oder - wie hier - eindeutig kriminellem Verhalten zu der Katastrophe beigetragen hat, dann sollte die Schuld dieser Teilnehmer der Love Parade nicht ausgeklammert werden.



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