2. November 2010

Zettels Meckerecke: Ein Haßprediger. Nebst Informationen über die amerikanische "Tea-Party"-Bewegung

Jemand schreibt einen Artikel, in dem er auf zwei kurzen Seiten Andersdenkende so kennzeichnet:
Hasskampagne, rabiat, geistiger Bürgerkrieg, Bös­artig­keit und Infamie, vordemokratische Amateur­politiker, journalistische Hassprediger, pseudochristliche Fanatiker, Demagogie, systematische Problemver­zerrungen, tollwütige Randgruppe, toxische Mixtur, aufrührerische Sprüche, Unwahrheit und Verleumdung, permanenter Flirt mit der Gewalt, vordemokratische Vorstellungen, Lachnummer, Antithese zur Politik der Vernunft, Schimpftiraden, als Journalisten getarnte Hassprediger, übelste Vorbilder, erfundene Geschichten, verzerrte Fakten, übelste Einpeitscher, Unbelehrbare, Horde, Ende der Demokratie.
Wie würden Sie diese Art der politischen Auseinandersetzung nennen; welcher Vergleich fällt Ihnen ein? Richtig:
So ... hetzte seinerzeit in Ostberlin der berüchtigte Karl Eduard von Schnitzler in seinem "Schwarzen Kanal" im vormodernen DDR-Staatsfernsehen
Auch das steht in dem Artikel, aus dem ich zitiere. Der Autor bezieht es allerdings, wie man sich denken kann, nicht auf sich selbst, sondern auf diejenigen, die er attackiert, nämlich die Kandidatin der Republikanischen Partei der USA für die Vizepräsidentschaft 2008, Sarah Palin, sowie die Tea Party-Bewegung und überhaupt alles, was der Autor eine "radikale Allianz für den Rückschritt" nennt.

Dieser Autor ist Werner A. Perger, Jahrgang 1942, der es in seinen besten Zeiten bis zum Politikchef und stellvertretenden Chefredakteur der "Zeit" gebracht hatte; heute ist er dort freier Autor. Den Artikel können Sie seit gestern um 17 Uhr in "Zeit-Online" lesen.

Perger ist ein Haßprediger, wenn es denn einen gibt.

Diejenigen, die nicht seiner Meinung sind, sieht er nicht als Andersdenkende, deren von der eigenen verschiedene Meinung ein Demokrat zu respektieren hat, sondern er überzieht sie mit Invektiven.

Er will nicht diskutieren. Er will noch nicht einmal analysieren - zu den Ursachen und Hintergründen der gegenwärtigen konservativen Bewegung in den USA enthält der Artikel nichts. Er will nur diffamieren und denunzieren. Er gleicht Karl-Eduard von Schnitzler aufs Haar.

Wie seinerzeit Karl-Eduard von Schnitzler hat Perger ein Feindbild, das so gefestigt ist, daß es von den Fakten nicht mehr erreicht wird. Wie dieser sieht er politisch Andersdenkende nicht als Menschen, die für ihre Überzeugungen vernünftige Gründe haben. Er sieht sie als Feinde, mit denen er in der Sprache des Hasses umspringt.

Wer so mit Andersdenkenden umgeht, der muß nicht unbedingt ein Kommunist sein wie von Schnitzler. Ein Demokrat ist er aber jedenfalls nicht. Er hat die geistige Grundlage der Demokratie nicht verstanden - den Respekt vor dem Andersdenkenden und die Bereitschaft, sich mit ihm vernünftig auseinanderzusetzen.



Wer sind die Anhänger der Tea-Party-Bewegung, die Perger so behandelt, als hätten sie kein Recht auf eine faire Diskussion?

Auskunft darüber gibt unter anderem eine Umfrage für die New York Times/CBS News vom April dieses Jahres. Die Rohdaten finden Sie hier; die Auswertung zu den einzelnen Fragen, thematisch geordnet, in diesen Tabellen.

Nach dieser Umfrage identifizierten sich damals im April 18 Prozent der Amerikaner mit der Tea-Party-Bewegung. Für die Mehrheit dieser 18 Prozent gilt:
  • Sie sehen die Höhe ihrer Steuern als "fair" an.

  • Sie sind der Meinung, daß die Sozialversicherung und Medicare das wert sind, was sie den Steuerzahler kosten.

  • Sie glauben nicht, daß Sarah Palin für das Amt des Präsidenten qualifiziert ist.

  • Die Anhänger der Tea-Party-Bewegung sehen sich zu 24 Prozent als links oder in der politischen Mitte stehend, zu 34 Prozent als konservativ und zu 39 Prozent als sehr konservativ.

  • Sie sind zu 37 Prozent Akademiker (College-Abschluß oder Master/Promotion). Zum Vergleich: 25 Prozent der Amerikaner haben diese Abschlüsse. Nur 29 Prozent der Anhänger der Tea-Party-Bewegung haben kein College besucht (alle Amerikaner: 47 Prozent).
  • Das sind die Menschen, die Perger glaubt mit seinen Beschimpfungen belegen zu dürfen: Überdurchschnittlich gebildete Amerikaner, deren Ansichten zu knapp zwei Dritteln links bis konservativ, zu gut einem Drittel sehr konservativ sind.

    Bei welchen Themen unterscheiden sie sich von den anderen Amerikanern? Die New York Times:
    Asked what they are angry about, Tea Party supporters offered three main concerns: the recent health care overhaul, government spending and a feeling that their opinions are not represented in Washington. (...)

    They are far more pessimistic than Americans in general about the economy. More than 90 percent of Tea Party supporters think the country is headed in the wrong direction, compared with about 60 percent of the general public. About 6 in 10 say “America’s best years are behind us” when it comes to the availability of good jobs for American workers.

    Auf die Frage, worauf sich ihr Zorn richte, nannten die Anhänger der Tea Party drei Hauptsorgen: Die kürzliche Umgestaltung des Gesundheitssystems, die Regierungsausgaben und den Eindruck, daß ihre Meinungen in Washington nicht repräsentiert sind. (...)

    Sie sind hinsichtlich der Wirtschaft weit pessimistischer als die Amerikaner allgemein. Mehr als 90 Prozent der Anhänger der Tea Party denken, daß das Land sich in die falsche Richtung bewegt, verglichen mit ungefähr 60 Prozent in der gesamten Bevölkerung. Ungefähr 6 von 10 sagen: "Die besten Jahre Amerikas liegen hinter uns", was das Angebot an guten Arbeitsplätzen für amerikanische Arbeitnehmer angeht.
    Kritische Bürger sind das also, die mit Präsident Obamas Versuch, das Land umzugestalten, nicht einverstanden sind und die darin eine Gefahr für die Zukunft der USA sehen. Perger nennt sie eine "Horde".

    Diese ausführliche Umfrage stammt, wie gesagt, vom April dieses Jahres. Einen Überblick über weniger eingehende, aber aktuellere Umfragen zur Tea Party finden Sie bei PollingReport.

    In der letzten Umfrage (CBS News/New York Times Poll, 21. bis 26. Oktober) sagten 24 Prozent, sie hätten eine positive Meinung von der Tea Party (favorable) und 26 Prozent, sie hätten eine negative Meinung (not favorable). Der Rest war unentschieden, gab an, zu wenig über die Bewegung zu wissen oder verweigerte eine Antwort.

    Von den Wählern der Republikaner hatten 48 Prozent eine positive und nur 10 Prozent eine negative Meinung von der Tea Party; von den Wechselwählern 27 Prozent eine positive und 24 Prozent eine negative Meinung. Nur bei den Demokraten gab es eine mehrheitliche Ablehnung (43 Prozent negativ, 4 Prozent positiv).

    So beurteilen die Amerikaner die Tea Party-Bewegung. Der Österreicher Werner A. Perger beurteilt sie so:
    ... toxische Mixtur aus aufrührerischen Sprüche [sic], Unwahrheit und Verleumdung, permanentem Flirt mit der Gewalt und autoritäre, vordemokratische Vorstellungen über Staat und Politik. (...) Und wie heute die übelsten Einpeitscher der Tea-Party-Bewegung gifteten und geiferten in den frühen 1970er Jahren deutsche Neonazis und alten Unbelehrbare (...).



    "Wenn der Hass Schule macht" ist Pergers Artikel betitelt. Man könnte versucht sein, das umzukehren und den Wunsch zu äußern, daß der Haß, den Perger versprüht, keine Schule macht.

    Aber das würde voraussetzen, daß er nicht schon verbreitet wäre, dieser Haß auf Andersdenkende. Er ist es aber. Perger ist kein Außenseiter, der sich im Beschimpfen übt, weil er die Fakten nicht kennt; sondern er ist leider repräsentativ für einen "linksliberalen" Journalismus, der nur denen gegenüber liberal ist, die denken wie man selbst.

    Vertritt jemand andere politische Positionen, wie das die Tea Party-Bewegung tut, dann ist Schluß mit liberal, und es bleibt nur links.

    Es bleibt dann eine in der Linken sehr verbreitete Arroganz gegenüber Nichtlinken (siehe "Die Linke hat auf der ganzen Linie gesiegt". Nebst Anmerkungen zu linker Arroganz und zum neuen Kleinbürgertum; ZR vom 4. 5. 2009).

    Und es tritt eine Tradition zutage, die sich in der Linken bis zu Karl Marx zurückverfolgen läßt: Ein Geschimpfe, eine rüde, rücksichtslose, inhumane Sprache, die gerade bei Menschen, die sich doch meist auf ihre Humanität und ihre hohe Moral etwas zugute halten, nur verwundern kann.

    Grattez le Russe, vous trouverez le Cosaque; grattez le Cosaque, vous trouverez l'ours sagte man im 19. Jahrhundert in Frankreich - kratzen Sie am Russen, und Sie finden den Kosaken; kratzen Sie am Kosaken, und Sie finden den Bären. So kann man auch hier sagen: Kratzen Sie am Linksliberalen, und sie finden den Linken; kratzen Sie am Linken, und sie finden den Agitator.



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