24. März 2011

Kurzberichte zu Fukushima Daiichi (10): Die negativen Nachrichten überwiegen heute (Stand: Donnerstag, 9.30 Uhr)

Im Augenblick überwiegen die negativen Nachrichten. Von der Zuversicht, die in den vergangenen Tagen in den Meldungen von NHK - auch beispielsweise in den Auftritten des Regierungssprechers Edano - zu spüren gewesen war, ist gegenwärtig wenig geblieben.

Das ist eine Momentaufnahme. Es kann sich bald wieder ändern, wie das schon mehrfach der Fall gewesen ist, nachdem es Rückschläge gegeben hatte. Aber es ist die momentane Situation. Edano sagte in der vergangenen Nacht (MEZ) nicht mehr, daß es vorangehe, sondern daß man damit rechne, eine Verschlechterung vermeiden zu können.



Die Arbeiten im KKW kommen trotz des Anschlusses an das Stromnetz und trotz des Einsatzes leistungsfähiger Geräte zum Einbringen großer Mengen an Kühlwasser nur langsam voran. Teilweise mußten sie vorübergehend eingestellt werden.

Zwar war die Meldung, das KKW sei "komplett evakuiert" worden, einmal wieder eine der Falschmeldungen gewesen, die inzwischen das Markenzeichen von "Spiegel-Online" sind (siehe Die aktuelle Falschmeldung bei "Spiegel-Online"; diesmal Extraklasse; ZR vom 23. 3. 2011). Die Arbeiter wurden nicht "evakuiert", geschweige denn das "komplette AKW"; sondern ein Teil von ihnen wurde in Gebäuden auf dem Gelände untergebracht, bis die Gefahr vorüber war.

Aber es hatte in der Tat eine Rauchentwicklung über Block 3 gegeben, die vorübergehend die Einstellung der Arbeiten an diesem Block erforderlich gemacht hatte. Das war ein Rückschlag gewesen.

Heute um 5.39 Uhr MEZ meldete des weiteren NHK, daß in Block 1, der in letzter Zeit eher weniger auffällig gewesen war, sowohl der Druck als auch die Temperatur angestiegen seien.

Daß das jetzt berichtet wird, liegt zum Teil daran, daß erst jetzt wieder - nach Wiederherstellung der Stromversorgung - überhaupt die exakten Meßwerte zur Verfügung stehen. Trotzdem ist es bedenklich, daß die Temperatur an der Außenwand des Reaktors (nicht des Containments oder gar des Gebäudes!) zeitweilig bei 400° lag. Der erlaubte Grenzwert im Normalbetrieb ist 302°.

Es wird immer deutlicher, wie komplex das Wechselspiel zwischen den einzelnen physikalischen Faktoren ist, und wie genau man die Eingriffe dosieren muß.

Die externe Kühlung beispielsweise senkt, wie natürlich beabsichtigt, die Temperatur des Reaktors. Zugleich kann sie offenbar aber auch bewirken, daß der Druck steigt.

Gestern wurde deshalb versucht, die Kühlung so einzurichten, daß einerseits die Temperatur in Block 1 sank (auf 244° gestern um 21.00 Uhr MEZ; also wieder deutlich unter den erlaubten Grenzwert), daß andererseits aber auch der Druck zurückging. Nach den letzten Messungen liegt er noch bei 0,36 Megapascal und damit unter dem Sicherheits-Grenzwert von 0,53 Megapascal. Block 1 läuft somit wieder im sicheren Bereich.

Ein anderes Problem auf dem Gelände war gestern der Dampf (vermutlich nicht Rauch), der aus den Blöcken 1, 2, 3 und 4 entwich. Seine Ursache ist derzeit unklar. Daß beim Kühlen heißer Körper mit Wasser Dampf entsteht, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Eher ist zu fragen, warum das in den vergangenen Tagen nicht beobachtet worden war.



In der japanischen Öffentlichkeit geht es aber zunehmend um ein anderes Problem: Die Strahlenbelastung von Lebensmitteln und Trinkwasser.

Über die erhöhten Strahlungswerte im Meerwasser vor dem KKW und in Gemüse aus der Provinz Fukushima habe ich bereits gestern früh berichtet. Überwiegend handelt es sich um Jod-131, das wegen seiner geringen Halbwertzeit nur vorübergehend gefährlich ist. Die Regierung hat vor dem Verzehr dieses Gemüses gewarnt; Schäden sind nicht zu befürchten.

Größere Besorgnis herrscht jetzt in der japanischen Bevölkerung über die radioaktive Belastung des Trinkwassers. Zwar ist sie nach einer Meldung von heute 7.34 Uhr MEZ inzwischen bei den Tokioter Wasserwerken wieder deutlich unter den Grenzwert für Babies und Kleinkinder gesunken; aber die Angst in der Bevölkerung ist nun einmal da. Die Behörden sagen, für einige Tage sei noch Vorsicht geboten, weil belastetes Wasser noch in Tanks und Leitungen sein könne.

Zum ersten Mal seit dem 11. März hatte ich in der vergangenen Nacht beim Anschauen des Programms von NHK den Eindruck, daß die japanische Bevölkerung wegen des Unfalls in Fukushima besorgt ist.

Wasser ist nun einmal lebensnotwendig und nicht zu ersetzen. Die Regierungs stellt aus ihrem Vorrat große Kontingente an Trinkwasser in Flaschen zur Verfügung (1,65 Liter pro Kind unter einem Jahr); aber es bleiben Fragen offen. Zum Beispiel, ob es ein Risiko ist, wenn stillende Mütter Leitungswasser zu sich nehmen.

Es wurde an die Bevölkerung appelliert, keine Hamsterkäufe zu tätigen, sondern das abgefüllte Wasser den Familien mit Kleinkindern und Babies zu überlassen, die allein es benötigen.



Noch eine Meldung, von der ich mir denken könnte, daß die deutschen Panikmedien sie heute groß herausstellen: Zum ersten Mal mußten zwei der Arbeiter auf dem Gelände von Fukushima Daiichi in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

Sie hatten zwar nicht, wie die die "Tagesschau" phantasierte, "ihr Leben risikiert", aber infolge eines Versehens waren ihre Füße einer Strahlung von 170 bis 180 mSv ausgesetzt gewesen. (Zum Vergleich: Die deutsche Feuerwehr-Dienstvorschrift erlaubt im Katastropheneinsatz eine einmalige Belastung von 250 mSv).
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Die Titelvignette zeigt ein von Tungsten in die Public Domain gestelltes Schema der fünf "Verteidigungslinien", die einen Reaktor schützen. Näheres finden Sie hier.