23. März 2011

Stratfors Analysen: Anschlag in Jerusalem. Silvan Shalom spricht von einer möglichen neuen Operation "Gegossenes Blei". Die Spannungen steigen

Der Aufruhr im arabischen Raum hat sich bisher auf Israel kaum unmittelbar und akut ausgewirkt. Das könnte sich jetzt ändern, meint Stratfor in einem heute um 16.04 MEZ erschienen Hintergrundbericht, der nur Mitgliedern zugänglich ist. Auf ihn stütze ich mich bei diesem Artikel hauptsächlich.

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wollte heute eigentlich nach Moskau fliegen, um sich dort - so besagen es jedenfalls Stratfors Informationen - mit dem Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas zu treffen. (Nebenbei: Solche Gespräche wurden vor der Präsidentschaft Barack Obamas fast stets durch die USA vermittelt und nicht durch die Moskauer Führung; ein Zeichen dafür, wie die USA in der Region an Einfluß verlieren). Dieser Flug nach Moskau soll jetzt verschoben worden sein.

Der Grund ist der Bombenanschlag heute Nachmittag an einer Bushaltestelle in Jerusalem, bei dem nach dem momentanen Kenntnisstand ein Mensch getötet und rund 50 Menschen verletzt wurden. Schon in den letzten Tagen hatte es immer wieder Mörser- und Raketenagriffe aus dem Gazastreifen gegeben, deren Geschosse bis zu den Außenbezirken der Städte Ashdod und Beersheba reichten. Am 11. März war eine israelische Siedlerfamilie in Itamar auf der West Bank ermordet worden.

Es scheint wieder einmal so zu sein wie so oft: Sobald sich Gespräche zwischen der Israelischen Regierung und Verantwortlichen der Palästinenser ankündigen, versuchen radikale Gruppen, das durch Anschläge zu durchkreuzen.

Wer hinter den jetzigen Anschlägen steckt, ist noch unklar. Anschläge auf israelischem Boden wecken den Verdacht, daß die Attentäter aus der West Bank kommen, weil die Grenze zum Gazastreifen weitgehend abgeriegelt ist; dazu paßt auch der Anschlag auf die Siedlerfamilie in Itamar.



Überwiegend geht aber die Gewalt gegen Israel weiter vom Gazastreifen aus. Wer die Täter sind, bleibt oft unklar. Nicht immer muß die Hamas verantwortlich sein. Es gibt da beispielsweise eine "Al-Aksa-Märtyrer-Brigade Imad Mughniyah"; vermutlich aus dem Umfeld der Hisbollah; denn Imad Mughniyah war ein Hisbollah-Führer, der 2008 in Damaskus getötet wurde. Diese Gruppe bekannte sich zu dem Anschlag vom 11. März, was die Hamas jedoch dementierte.

Dann gibt es den bewaffneten Arm der Gruppe "Palästinensischer Islamischer Dschihad" (PIJ), die Al-Kuds-Brigaden, die sich für die kürzlichen Raketenanschläge aus Gaza verantwortlich erklärten. Heute vor dem Anschlag auf den Bus in Jerusalem kündigte deren Sprecher Abu Hamad eine "neue Phase des Widerstands" an, deren Ziel Städte tief im israelischen Territorium seien.

Diese Äußerung ist deshalb bemerkenswert, weil keine Terrorgruppe, die gegen Israel operiert, so enge Verbindungen zum Iran hat wie die PIJ. Der Iran versucht die Unruhen in Bahrain und Saudi-Arabien zu seinen Gunsten auszunutzen und schürt sie auch (siehe "Bahrain ist wichtiger als Libyen"; ZR vom 8. 3. 2011). Die Hisbollah wird schon lange weitgehend von ihm kontrolliert; in letzter Zeit versucht der Iran auch Einfluß auf die Hamas zu gewinnen.

Eine neue Serie von Terroranschlägen könnte am Ende eine israelische Militäraktion ähnlich der "Operation Gegossenes Blei" im Winter 2008/2009 provozieren (siehe Welche Kriegsziele hat Israel?; ZR vom 5. 1. 2009; Der alte Nahost-Konflikt ist Geschichte; ZR vom 10. 1. 2009 sowie "Zurück zum Verbrennungsofen"; ZR vom 14. 1. 2009).

Heute - der Anschlag auf die Bushaltestelle hatte noch nicht stattgefunden - sagte der stellvertretende israelische Ministerpräsident Silvan Shalom in einer Rundfunksendung, daß Israel "möglicherweise eine Rückkehr" zu einer erneuten Operation "Gegossenes Blei" erwägen müsse. Er fügte hinzu: "Wir sagen das trotz der Tatsache, daß so etwas natürlich die Region in eine weitaus leichter entflammbare Lage bringen würde" ("bring the region to a far more combustible situation").



Im Augenblick schaut in Europa alles auf Libyen. Aber geopolitisch gesehen ist die Lage dort nicht gefährlich, weil es keine Machtkämpfe zwischen Libyen und anderen Staaten gibt. Im Nahen Osten aber versucht sich der Iran zur Vormacht aufzuschwingen, begegnet dabei dem Widerstand von Saudi-Arabien, sucht die Türkei aus dem Hintergrund heraus eine Machtposition aufzubauen und ist Israel, wie so oft, ein potentielles Opfer einer solchen explosiven Situation.
Zettel



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