19. April 2011

Zur Lage der Freidemokraten (II): "Gläubigerhaftung" und der ESM

Als Konfuzius von seinem Schüler Zi Lu gefragt wird, was er als erstes tun würde, wenn ihm ein Fürst die Regierung anvertraute, gibt Konfuzius eine Antwort, die seinen Schüler ebenso überrascht wie den heutigen Leser. Der Meister antwortet nämlich, er wolle zuerst die Namen richtigstellen:
Stimmen die Namen und Begriffe nicht, so ist die Sprache konfus. Ist die Sprache konfus, so entstehen Unordnung und Mißerfolg. Gibt es Unordnung und Mißerfolg, so geraten Anstand und gute Sitten in Verfall. Sind Anstand und gute Sitten in Frage gestellt, so gibt es keine gerechten Strafen mehr. Gibt es keine gerechten Strafen mehr, so weiß das Volk nicht, was es tun und was es lassen soll. Darum muß der Edle die Begriffe und Namen korrekt benutzen und auch richtig danach handeln können. Er geht mit seinen Worten niemals leichtfertig um. (Lun Yu, XIII, 3; übs. v. Ralf Moritz)
Auch wenn man Konfuzius hier vielleicht nicht in allen Details folgen mag, hat er doch in einem zentralen Punkt recht: Eine konfuse Sprache führt meist zu einer schlechten Politik. Politische Schlagwörter wie "soziale Gerechtigkeit" oder "Neoliberalismus", aber auch einzelne Adjektive wie "hilfreich" oder "alternativlos" dürften geeignete Belege für diese These sein. Wenn Wörter dazu dienen, bestehende Probleme zu vernebeln oder notwendige politische Debatten durch "thick concepts" kurzerhand zu beenden, müßten diese eigentlich auf einen index verborum prohibitorum gesetzt werden.

Das Wort, um das es im folgenden geht, hätte dieses Schicksal gleichfalls verdient: "Gläubigerhaftung". Es ist mir auch nach längeren Recherchen leider nicht gelungen herauszufinden, wem wir dieses originelle Kompositum verdanken. Fest steht allerdings, daß das Wort seit der Griechenlandkrise in aller Munde ist und sich fast die gesamte deutsche Politik darin einig ist, daß das vom Wort Bezeichnete die richtige Strategie für den Umgang mit der Euro-Krise darstellt. Das gilt für die Bundeskanzlerin und ihren Finanzminister, für die beiden Stones aus der SPD, und natürlich ist man auch in der Linkspartei der Ansicht, daß die "Profiteure ... endlich zur Kasse gebeten werden" müssen.

Bei so viel Einigkeit möchte man wohl auch in der FDP nicht abseits stehen. So hat Hermann Otto Solms vor einigen Tagen im Handelsblatt erklärt:
Das Geschäftsmodell der Gläubigerbanken, von hohen Zinsen der hochverschuldeten Länder zu profitieren, die Risiken aber auf die Steuerzahler abzuschieben, müsste endlich unterbunden werden. Die Eurozone wird nur stabilisiert, wenn Risiko und Haftung zusammengeführt, alle Gläubiger mit in die Haftung genommen werden und risikogerechte Marktzinsen den Anreiz zu überhöhter Staatsverschuldung reduzieren.
Hermann Otto Prinz zu Solms-Hohensolms-Lich ist promovierter (Agrar-)Ökonom und sollte als solcher wissen, daß der Begriff der Haftung bei Schuldverhältnissen eigentlich nur auf eine Partei angewandt werden kann, nämlich auf den Schuldner. Wer sich bei seiner Bank Geld leiht, haftet insofern, als er die Pflicht hat, diese Schuld zu erfüllen. Der Gläubiger hingegen "haftet" überhaupt nicht; vielmehr hat er Forderungen oder Ansprüche, und zwar völlig berechtigte: Wer einem Staat, einem Unternehmen oder einer Privatperson Geld leiht, hat das Recht, daß er dieses nach Ende der Laufzeit zurückerhält (und natürlich auch daß ihm in vereinbarten Umfang Zinsen gezahlt werden).

Der Ausdruck "Gläubigerhaftung" ist also in etwa so sinnvoll wie "rundes Quadrat" und wurde folgerichtig von den Managern eines momentan beliebten Mischfonds zum "Unwort des Jahres" gekürt.

Daß er sich bei Politikern so großer Beliebtheit erfreut, läßt sich einfach erklären: Er macht es möglich, vom Versagen der Politik abzulenken und den Gläubigern die Schuld(en) in die Schuhe zu schieben, so wie man zuvor den Spekulanten an den Finanzmärkten die Schuld für die Schwäche des Euro aufbürden wollte.

Nun gut, vielleicht ist der Ausdruck "Gläubigerhaftung" hochgradig irreführend, aber hat Solms denn nicht in der Sache völlig recht? Ist es nicht falsch, daß der Anleger momentan für zweijährige griechische Staatsanleihen über 18 % Zinsen erhält, das Risiko aber von den Steuerzahlern (vor allem von den deutschen) getragen wird? Ist der Zusammenhang von "Risiko und Haftung" nicht tatsächlich ein Grundprinzip der Marktwirtschaft, das hier außer Kraft gesetzt wurde?

Nicht ganz. Zum einen zeichnet sich momentan immer deutlicher ab, daß die Investoren klug genug waren, sich nicht auf die Zusage der Politik zu verlassen, der Rettungsschirm werde die Probleme schon lösen. Wenn eine "Umschuldung" zu befürchten ist, auf die im Fall Griechenlands vieles hindeutet, sind hohe Risikozuschläge eine Frage der ökonomischen Vernunft. Das Risiko wird also gar nicht allein von den Steuerzahlern getragen; die Anleger sind zu Recht über mögliche Verluste besorgt.

Zum anderen waren es ja nicht die Gläubigerbanken, die (wie Solms behauptet) das Risiko auf den Steuerzahler "abgeschoben" haben; es war vielmehr die europäische Politik, die dies mit den Griechenland-Hilfen und dem provisorischen "Euro-Rettungsschirm" getan hat. Hätte man im letzten Mai diese Maßnahmen abgelehnt, hätte Griechenland mit seinen Gläubigern verhandeln müssen, und dies hätte für die Gläubiger natürlich Verluste bedeutet. Das hätte zwar immer noch nichts mit einer "Haftung" der Gläubiger zu tun gehabt; es hätte allerdings hierdurch das normale Verhältnis von Risiko und Rendite gegolten.

Die im Prinzip richtige These Solms', daß der deutsche Steuerzahler nicht für anderer Leute Schulden haften sollte, hat sich damals freilich nicht im Abstimmungsverhalten der FDP-Fraktion manifestiert. Dem "Euro-Rettungsschirm" hat man fast geschlossen zugestimmt; lediglich zwei Ablehnungen (Frank Schäffler und Lutz Knopek) waren zu verzeichnen. Hermann Otto Solms hat sich ebenso wie die SPD und die Grünen enthalten. Beim Notkredit für Griechenland gab es sogar nur eine Nein-Stimme.

Nun wurde allerdings im Schatten von Fukushima und der Ereignisse in der arabischen Welt ein permanenter Rettungsfonds beschlossen, den Hans-Werner Sinn Anfang des Monats als eine "tickende Zeitbombe, deren Sprengkraft selbst die schlimmsten Ahnungen der Öffentlichkeit übersteigt", bezeichnet hat. Diesmal scheint der Widerstand innerhalb der FDP etwas größer zu sein. Immerhin elf Abgeordnete fordern in einem Antrag für den nächsten Bundesparteitag die Ablehnung des ständigen Rettungsschirms.

Es besteht also noch eine gewisse Hoffnung. Nach den bisherigen Erfahrungen mit freidemokratischer Regierungspolitik wäre eine Ablehnung des ESM allerdings schon fast ein Wunder. Wenn es ausbleibt, helfen uns vielleicht die "Wahren Finnen" aus der Bredouille.

DrNick

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