25. Mai 2011

Netanyahu und Rabin

Nach seinem Zusammentreffen mit US-Präsident Obama hat Israels Premierminister Binyamin Netanyahu vor dem amerikanischen Kongress eine Rede zum israelisch-palästinensischen Konflikt gehalten, gewissermaßen eine Antwort auch auf Obamas vorherige Rede zum gleichen Thema. Wie erwartet, wird die Rede in den Medien kritisch kommentiert; in der "Deutschen Welle" etwa kommentiert David Scheschkewitz, Netanyahu, "der mit allen Wassern gewaschene Rhetoriker", habe damit weiter "absolute Unnachgiebigkeit und Sturheit in der Sache" gezeigt und eine "klare Absage an eine faire Zweistaatenlösung und an einen lebensfähigen Palästinenserstaat" erteilt. Damit habe er "eine historische Chance vertan und sein Land außerhalb Amerikas noch tiefer isoliert". Mit dieser und ähnlichen Kommentaren folgen die Medien vor allem den palästinensischen Politikern, die die Rede umgehend abgelehnt und gar als "Kriegserklärung" aufgenommen haben. Diese Einschätzung allerdings steht in Widerspruch zu den zentralen Passagen der Rede, hier mit Kommentaren in kursiver Schrift:

  • Netanyahu betont die Bedeutung der Friedensabkommen mit Ägypten und Jordanien: "Israel wants peace. Israel needs peace. We've achieved historic peace agreements with Egypt and Jordan that have held up for decades."

  • Der Erfolg dieser beiden Friedensverträge zeige die Notwendigkeit, auch einen Frieden mit den Palästinensern zu erreichen, einen dauerhaften Frieden. Netanyahu verweist darauf, dass er vor zwei Jahren öffentlich der Zwei-Staaten-Lösung zugestimmt hat: "The peace agreements with Egypt and Jordan are vital. But they're not enough. We must also find a way to forge a lasting peace with the Palestinians. Two years ago, I publicly committed to a solution of two states for two peoples: A Palestinian state alongside the Jewish state."

  • Für einen Frieden sei er bereit, schmerzhafte Kompromisse einzugehen; dazu sei er als politischer Führer verpflichtet: "I am willing to make painful compromises to achieve this historic peace. As the leader of Israel, it is my responsibility to lead my people to peace."

  • Dafür werde es notwendig sein, Teile des jüdischen "homeland", nämlich Teile von Judäa und Samaria, ein Land mit einer viertausendjährigen jüdischen Vergangenheit, aufzugeben, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sich Juden und Palästinenser dieser "schmale Land" "teilen": "I recognize that in a genuine peace, we will be required to give up parts of the Jewish homeland. ... But there is another truth: The Palestinians share this small land with us. We seek a peace in which they will be neither Israel's subjects nor its citizens. They should enjoy a national life of dignity as a free, viable and independent people in their own state. They should enjoy a prosperous economy, where their creativity and initiative can flourish." - Dieses klare Bekenntnis ist für Teile des politischen Spektrums in Israel nur schwer zu schlucken, und um so bedeutsamer scheint mir die klare Stellungnahme Netanyahus.

  • Für die Palästinenser wünscht Netanyahu ein Leben eines freien und unabhängigen Volkes in einem eigenen Staat mit einer blühenden Wirtschaft. Hier verweist Netanyahu auf den Wirtschaftsaufschwung in der Westbank in den letzten zwei Jahren, der schon ohne einen Frieden möglich war, und formuliert die Erwartung, mit einem Friedensvertrag sei eine noch viel bessere Entwicklung möglich - und dies könne auch die Grundlage sein für einen allgemeineren israelisch-arabischen Frieden: "They should enjoy a national life of dignity as a free, viable and independent people in their own state. They should enjoy a prosperous economy, where their creativity and initiative can flourish. We've already seen the beginnings of what is possible. In the last two years, the Palestinians have begun to build a better life for themselves. ... We've helped the Palestinian economy by removing hundreds of barriers and roadblocks to the free flow of goods and people. The results have been nothing short of remarkable. The Palestinian economy is booming. It's growing by more than 10% a year. ... This is all happening without peace. Imagine what could happen with peace. Peace would herald a new day for both peoples. It would make the dream of a broader Arab-Israeli peace a realistic possibility."

  • Einen solchen Frieden, so Netanyahu, hätten alle sechs israelischen Ministerpräsidenten seit den Vereinbarungen von Oslo angeboten, und immer sei er daran gescheitert wegen der Weigerung der Palästinenser, die Existenz eines jüdischen Staates anzuerkennen: "Because so far, the Palestinians have been unwilling to accept a Palestinian state, if it meant accepting a Jewish state alongside it." Netanyahu bedauert die fortgesetzte Erziehung zum Hass und das Wecken von falschen, unerfüllbaren Hoffnung: "They continue to educate their children to hate. They continue to name public squares after terrorists. And worst of all, they continue to perpetuate the fantasy that Israel will one day be flooded by the descendants of Palestinian refugees." - Dieser Einschätzung ist wohl kaum zu widersprechen!

  • So wie er, Netanyahu, sich überwunden habe zu sagen, ""I will accept a Palestinian state", so müsse nun Präsident Abbas sich seinerseits überwinden und seinem Volk sagen: "I will accept a Jewish state." Mit diesen Worten würde sich die Geschichte ändern, indem die Palästinenser sähen, dass die Gründung ihres Staates nicht die Fortsetzung des Konflikts zum Ziel habe, sondern dessen Ende, und für Israel sei dann klar, dass es einen Partner für Frieden gäbe. Dann sei Israel und er selbst zu weitreichenden Kompromissen bereit: "They will make clear to the Palestinians that this conflict must come to an end. That they are not building a state to continue the conflict with Israel, but to end it. They will convince the people of Israel that they have a true partner for peace. With such a partner, the people of Israel will be prepared to make a far reaching compromise. I will be prepared to make a far reaching compromise." - In der Tat wäre eine glasklare und unwiderrufene Erklärung der palästinensischen Führung zur Anerkennung Israels ein riesiger Fortschritt; bislang ist es ja leider so, dass die gleichen palästinensischen Politiker sich auf Englisch konziliant äußern, aber auf Arabisch an der palästinensischen Ein-Staaten-Lösung festhalten, dass das palästinensische Fernsehen Haifa und Tel Aviv als palästinensische Städte bezeichnet, dass das Kinderfernsehen dazu erzieht, ein shahid werden zu wollen. Gerade hier wäre also ein wichtiger Schritt auf Seiten der Palästinenser erforderlich, der noch nicht einmal etwas kostet außer eine Änderung der Gesinnung.

  • Anschließend skizziert Netanyahu die israelischen Erwartungen an eine Kompromisslösung:

  • 1. Der Großteil der 650.000 Israelis, die jenseits der Waffenstillstandslinie von 1948/67 leben, leben im Großraum Tel Aviv und Jerusalem. Diese Gebiete, die sowohl dicht besiedelt sind als auch von vitalem strategischem Interesse, müssen bei Israel bleiben: "They will make clear to the Palestinians that this conflict must come to an end. That they are not building a state to continue the conflict with Israel, but to end it. They will convince the people of Israel that they have a true partner for peace. With such a partner, the people of Israel will be prepared to make a far reaching compromise. I will be prepared to make a far reaching compromise." - An diesem Punkt ist nichts überraschend und auch nichts neu, und mit diesem Punkt ist die Lebensfähigkeit des Staates Israel berührt.

  • 2. Der Status der Siedlungen kann nur in Verhandlungen geklärt werden. Es sei klar, dass ein Teil der Siedlungen außerhalb des israelischen Staatsgebiets liegen werden. Israel wird großzügig sein hinsichtlich der Größe des palästinensischen Staates, aber nicht zu den Linien von 1967 zurückkehren können: "The status of the settlements will be decided only in negotiations. But we must also be honest. So I am saying today something that should be said publicly by anyone serious about peace. In any peace agreement that ends the conflict, some settlements will end up beyond Israel's borders. The precise delineation of those borders must be negotiated. We will be very generous on the size of a future Palestinian state. But as President Obama said, the border will be different than the one that existed on June 4, 1967. Israel will not return to the indefensible lines of 1967." - Netanyahu lässt offen, was bei einer Lösung aus den Siedlungen "außerhalöb Israels" werden soll, ob diese geräumt werden oder ob die Bewohner dann eine jüdische Minderheit in einem palästinensischen Staat bilden, so sie dies wollen (wie die israelischen Palästinenser umgekehrt). Was die Grenzen von 1967 angeht, äußert sich Netanyahu nicht anders als Obama. Anders als meist dargestellt, hat auch Obama davon gesprochen, dass ein palästinensischer Staat nicht die Grenzen von 1967 haben wird.

  • 3. Wie Israel die "Heimstatt" des jüdischen Volkes ist, so soll Palästina die Heimstatt der Palästinenser sein; die Palästinenser sollen das Recht haben, in diesen palästinensischen Staat zu immigrieren, so sie dies wünschen. Die Lösung des Flüchtlingsproblems müsse in diesem Palästina, aber außerhalb von Israel erfolgen: "We recognize that a Palestinian state must be big enough to be viable, independent and prosperous. President Obama rightly referred to Israel as the homeland of the Jewish people, just as he referred to the future Palestinian state as the homeland of the Palestinian people. Jews from around the world have a right to immigrate to the Jewish state. Palestinians from around the world should have a right to immigrate, if they so choose, to a Palestinian state. This means that the Palestinian refugee problem will be resolved outside the borders of Israel." - Auch hier wird man nie und unter keinen Umständen zu einer anderen Lösung kommen können, sofern Israel ein jüdischer Staat bleiben soll. Wer hier anderes verlangt, will das Ende des Staates Israel.

  • 4. Jerusalem ist für Netanyahu nicht verhandelbar. Er erkennt an, dass dies schwer zu akzeptieren sei für die Gegenseite, verweist aber auch darauf, dass einzig Israel eine freie Religionsausübung in Jerusalem garantiert habe (worin man ihm auch nicht widersprechen kann). Netanyahu äußert seine Überzeugung, dass mit gutem Willen auch hier eine Lösung zu finden sei: "As for Jerusalem, only a democratic Israel has protected freedom of worship for all faiths in the city. Jerusalem must never again be divided. Jerusalem must remain the united capital of Israel. I know that this is a difficult issue for Palestinians. But I believe with creativity and goodwill a solution can be found."

  • 5. In der Sicherheitsfrage verweist Netanyahu darauf, dass seit dem Abzug aus dem Libanon und dem Gazastreifen über 12.000 Geschosse auf Israel abgefeuert worden sind, dass die UN-Truppen im Libanon den Waffenschmuggel nicht verhindern, dass die EU-Beobachter in Gaza über Nacht sich in Luft aufgelöst hätten. Deswegen müsse der palästinensische Staat entmilitarisiert sein, und Israel müsse am Jordan militärisch präsent sein: "So it is therefore absolutely vital for Israel's security that a Palestinian state be fully demilitarized. And it is vital that Israel maintain a long-term military presence along the Jordan River. Solid security arrangements on the ground are necessary not only to protect the peace, they are necessary to protect Israel in case the peace unravels. For in our unstable region, no one can guarantee that our peace partners today will be there tomorrow." - Auch hier kann man Netanyahu weder in der Beschreibung der Lage noch in den Konsequenzen, die er daraus zieht, widersprechen.

  • 6. Die Hamas, die palästinensische Version der al-Qaida, in deren Charta gefordert wird, die Juden zu töten, wo man sie findet, kann kein Verhandlungspartner sein: "That charter not only calls for the obliteration of Israel, but says 'kill the Jews wherever you find them'. Hamas' leader condemned the killing of Osama bin Laden and praised him as a holy warrior. Now again I want to make this clear. Israel is prepared to sit down today and negotiate peace with the Palestinian Authority. I believe we can fashion a brilliant future of peace for our children. But Israel will not negotiate with a Palestinian government backed by the Palestinian version of Al Qaeda."

  • Abschließend verspricht Netanyahu, Israel werde nach einer Verhandlungslösung mit Israel der erste Staat sein, der einen palästinensischen Staat als Neumitglied der Vereinten Nationen willkommen heißen werde.
    Es sind teilweise Selbstverständlichkeiten, die Netanyahu hier anführt, aber wichtig ist sein klares Bekenntnis zu einer Zwei-Staaten-Lösung und zur Schaffung eines lebensfähigen und prosperierenden Staates Palästina; es ist keineswegs die von den Palästinensern behauptete "Kriegserklärung". Eine Verhandlungslösung ist nicht einfach, aber Israel ist dazu bereit.http://www.blogger.com/img/blank.gif

    Netanyahu gilt in Europa als "Hardliner", während Rabin im Rückblick gesehen wird als derjenige, mit dem eine Friedenslösung möglich gewesen wäre. In seiner Rede vor der Knesset kurz vor seiner Ermordnung hat Rabin skizziert, wie eine Verhandlungslösung aussehen müsste (mit Dank an Elder of Ziyon): Die palästinenischen Gebiete sollten zwar unter Selbstverwaltung stehen, aber kein Staat sein, sondern "an entity which is less than a state". Jerusalem sollte israelisch bleiben. Die "Sicherheitsgrenze" Israels im weitesten Sinne des Wortes müsse am Jordan liegen. Die israelischen Siedlungen etc. jenseits der Linie von 1967 sollten zu Israel gehören. Judäa und Samaria solle mit israelischen Siedlungsblocks durchsetzt werden. - Das also waren die Vorstellungen des als friedensbereit eingeschätzten Rabin. Man vergleiche diese Position mit der Netanyahus - und mit der Einschätzung von Netanyahus Position in den Medien.
    Gansguoter

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