30. Juli 2011

Glück und Geld (1): Nützliche Unfälle

Jahrelang galt das gute alte Bruttosozialprodukt als wesentlicher Gradmesser unseres Wohlstands. Geradezu sprichwörtlich.
Aber inzwischen ist es in die Kritik gekommen. Nicht nur, daß die Experten es inzwischen Bruttonationaleinkommen nennen und überhaupt lieber das Inlandsprodukt für den Vergleich von Volkswirtschaften benutzen. Es gibt vielmehr eine fundamentale Kritik an einer solchen geldbezogenen Messung überhaupt. Denn - so die Kritiker - bei der BSP-Berechnung würden ja auch lauter ganz schlimme Sachen eingerechnet. Umweltverschmutzung, Verkehrsunfälle, Hausbrände oder Kriege würden das BSP erhöhen. Eine bei Journalisten und Politikern weit verbreitete Auffassung. Ganz typisch z. B. die Darstellung der ZEIT: "Beispielsweise wächst das BIP, wenn nach einem Unfall das Auto verschrottet und der Fahrer im Krankenhaus behandelt werden muss."

Etwas differenzierter formuliert es die SPD-Expertin Daniela Kolbe, Vorsitzende der "Glücks-Kommission" des deutschen Bundestags: "Die Reparaturen nach einem Autounfall sorgen zwar für Wachstum, erhöhen aber nicht die Zufriedenheit."
Immerhin hat die Dame schon erkannt, daß nicht der Unfall für die BSP-Steigerung sorgt, sondern die Reparatur. Aber warum nur lassen die Leute ihr Unfallauto reparieren, wenn dies doch nach Ansicht der Bundestags-Expertin ihre Zufriedenheit überhaupt nicht erhöht?

Natürlich meint Frau Kolbe das anders: Nach der Reparatur des Unfall-Autos ist der Besitzer sicher nicht zufriedener als vor dem Unfall, das Auto jedenfalls nicht besser geworden. Aber er ist natürlich deutlich zufriedener, als wenn die Reparatur nicht möglich gewesen wäre und er nun ohne Auto dastehen würde. Ein Unfallauto zu reparieren, ein abgebranntes Haus wieder aufzubauen, Kriegsschäden zu beseitigen - das sind alles positive Aktionen.

Und nur diese positiven Effekte fließen in das BSP ein. Ein Unfall, ein Brand oder gar ein Krieg dagegen sind natürlich schädlich. Und bedeuten auch keine Steigerung des BSP - das verkürzen die Kritiker völlig sinnwidrig.
Auf den ersten Blick ist das ein typischer Bastiat-Effekt: Die BSP-Kritiker glauben, daß der Schaden nützlich wäre aus Sicht der BSP-Berechnung, weil ohne den Schaden keine Reparatur erfolgt wäre. Und sie übersehen, daß ohne den Schaden ein anderer, ebenfalls das BSP in gleicher Höhe steigernder Kauf möglich gewesen wäre.

Darüber hinaus übersehen die BSP-Kritiker noch einen anderen, ganz wesentlichen Effekt. Ihre Kritik ist ohnehin ein typisches Wohlstandsphänomen. Kein Hungernder in der dritten Welt käme auf die Idee, die Sinnhaftigkeit materieller Zuwächse zu bestreiten. Wenn man aber in einem reichen Land lebt, gut lebt eben von einem hohen BSP (zu dem man vielleicht selber eher wenig beiträgt), dann hält man es für selbstverständlich, daß materielle Wünsche jederzeit erfüllt werden können. Nur so kommt man auf die Idee, den Unfall und die Reparatur als automatische Folge zu sehen. Was sie eben nicht sind. Denn es müssen zwei Sachen gegeben sein, damit ein Schaden ausgeglichen werden kann: Zum Einen muß der Geschädigte über die finanziellen Mittel verfügen, um eine Reparatur zu bezahlen oder Ersatz zu beschaffen. Und zum Anderen muß es auch ein erreichbares Angebot für diesen Ersatz geben.

Außerhalb von Frau Kolbes elitären BSP-Kritiker-Zirkeln gibt es noch genug Leute, die wissen, daß ein Schaden nicht automatisch ausgeglichen wird. Sondern daß es Jahre dauern kann, bis man wieder die finanziellen Mittel zusammengespart hat um einen Verlust zu ersetzen. Und vielleicht gelingt es nie. Umgekehrt wissen die Menschen mit Ostblock-Erfahrung, was es heißt, wenn man zwar Geld zur Verfügung hat - aber Waren, Ersatzteile oder Werkstattleistungen nur unzureichend verfügbar sind.

Eine funktionierende Wirtschaft schafft eben beides: Sie stellt die Finanzmittel zur Verfügung, um Wünsche zu befriedigen. Z. B. den Wunsch nach Ausgleich eines Unfallschadens. Und sie bietet die Möglichkeiten, das auch zeitnah zu realisieren. Und wenn der Schaden repariert ist, geht der Rechnungsbetrag ins BSP ein. Und nur dann.

R.A.

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