31. Juli 2011

Glück und Geld (2): Vorbild ganz hinten

Eine funktionierende Wirtschaft und ein wachsendes Bruttosozialprodukt sorgen dafür, daß die materiellen Wünsche der Menschen bestmöglich befriedigt werden. Das ist nicht wenig. Es ist sogar sehr viel, wenn man bedenkt, was das Fehlen materieller Grundlagen an Unglück über Menschen bringen kann. Geld macht zwar nicht automatisch glücklich, kann aber einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

Dazu gibt es auch sehr deutliche Umfrageergebnisse: Je reicher ein Land ist, desto höher der Anteil derjeniger, die sich selber als glücklich oder zufrieden einstufen. Und wenn ein Land sich aus der Armut hocharbeiten kann, steigt die Zahl der glücklichen Bewohner stetig - Südkorea ist ein sehr deutliches Beispiel für diese Entwicklung.

Diese Erkenntnisse sind natürlich sehr unbefriedigend für Kapitalismuskritiker. Und deswegen liegt es für sie nahe, sie einfach genauso zu ignorieren wie die korrekte Interpretation des BSP und sich lieber ferner liegenden Vorbildern zuzuwenden.

Besonders populär ist dabei Bhutan geworden. Kaum ein Kommentar zum Thema kommt ohne Verweis auf dieses Land aus. Denn dort ist schon seit 40 Jahren nicht das Bruttosozialprodukt Maßstab staatlicher Wirtschaftspolitik, sondern das "Bruttonationalglück". Eine offenbar bahnbrechende Idee, denn auch die UN empfiehlt allen Mitgliedsstaaten, diesem Vorbild zu folgen: "The General Assembly today called on United Nations Member States to undertake steps that give more importance to happiness and well-being in determining how to achieve and measure social and economic development."

Auch die EU eifert Bhutan inzwischen nach, Sarkozy will Frankreich auf Glücksmessung umstellen, der Bundestag hat eine Kommission zu diesem Thema eingesetzt (unter dem Vorsitz der gestern diskutierten Frau Kolbe).

Bhutan also ist das große Vorbild. Ein Land, in dem das Glück der Menschen wichtiger ist als das schnöde Bruttosozialprodukt. Und deswegen ist es auch konsequent arm geblieben in diesen 40 Jahren "Bruttonationalglück", hat eine niedrige Lebenserwartung, schlechte medizinische Versorgung, kein nennenswertes Bildungssystem; und die Staatsausgaben werden überwiegend durch ausländische Zuschüsse finanziert.

Und erfunden wurde das "Bruttonationalglück" von König Jigme Singye Wangchuck. Einem bemerkenswert reaktionären Autokraten, der Parteien und Gewerkschaften verbot, ethnische Minderheiten unterdrückte, Fernsehen aus Bhutan verbannte und seinen Untertanen rigide Kleidervorschriften aufdrückte. Als ausländischer Druck die Einführung einer Verfassung und demokratischer Mindeststandards unumgänglich machte, trat er zurück. Mit anderen Worten: Ein idealer Liebling für die linke Schickeria im fernen Europa.

Wie das nun mit dem Glück in Bhutan wirklich ist, bleibt hingegen unklar. Die Ermittlung erfolgt durch Fragebögen einer speziellen staatlichen Behörde. Und die Ergebnisse werden detailliert für alle Provinzen angegeben. Da wird gefragt nach "Frequency of prayer recitation", "Self reported health status", "Frequency of playing traditional games", "Attitude towards sexual misconduct", "Sleep hours", "Trust in central ministries" und vielem mehr. Durchaus auch vernünftige Fragen dabei - aber es bleibt doch recht zweifelhaft, ob das wirklich neutral, zuverlässig und repräsentativ erhoben werden kann, ob die Untertanen einer feudalen Monarchie einem Regierungsbeamten gegenüber wirklich unbefangen antworten können und ob die Summe der Antworten wirklich einen Rückschluß auf das Glück der Menschen zuläßt.

Und was vor allem fehlt - obwohl die offizielle Regierungsseite ansonsten sehr ausführlich mit den Zahlen ist: Es gibt keine Angaben zur zeitlichen Entwicklung. Ob nun die Bhutanesen in den 40 Jahren offizieller "Glücks"-Politik ihrer Regierung auch nach Regierungsmaßstäben glücklicher geworden sind, das bleibt offen. Und ich habe auch in den vielen Presseberichten zum "bhutanesischen Modell" keinen Journalisten gefunden, der danach gefragt hätte.

Auffällig ist aber auch hier: Die Argumentation gegen das BSP ist eine typische Loser-Position. Bei Wikipedia wird das recht schön dargestellt: "Der Ausdruck wurde 1972 von Jigme Singye Wangchuck, dem König von Bhutan geprägt, in Entgegnung eines Kommentars der Financial Times, dass die Entwicklung der bhutanischen Wirtschaft zu langsam sei."

Mit anderen Worten: Die ganze Idee ist entstanden als Ausrede, um von berechtigten Fragen zur Armut im Lande abzulenken. Der König von Bhutan sozusagen als Kollege von Wowereit, der Kritik an seiner miserablen Regierungsbilanz in Berlin mit "arm, aber sexy" konterte. Und in beiden Fällen wird das von Journalisten gerne transportiert, Propagandahilfe statt kritischer Betrachtung.

R.A.



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