10. Juli 2011

Literarische Randnotizen (3): Vom Lachen des Dichters. Das Auslachen als die Urform des Lachens

Lachen Sie nicht, dieser Artikel wurde durch Elke Schmitter angeregt. Schriftstellerin, Kritikerin, früher einmal Chefredakteurin der taz und seit 2001 Redakteurin im Kulturressort des "Spiegel".

Und Essayistin. Vor vier Wochen hat sie sich im "Spiegel" (Heft 24/2011 vom 11. 6. 2011; S. 132) Gedanken über das Lustige gemacht; über das Lustige allgemein und insbesondere in der Komödie.

Das hat mir ernsthaft zu denken gegeben. "I was amused" ist der Essay überschrieben; und schon da konnte ich nicht lachen. Noch weniger über Sätze wie "Es ist ja so furchtbar traurig, weil es so komisch ist", "Humor funktioniert, oder er funktioniert eben nicht" oder gar "Lachen ist etwas Spontanes".

Jaja, so ist das wohl. Und sonst?



Sonst gibt es mancherlei zum Lachen zu fragen, zum Lachen des Dichters. Beispielsweise: Warum lacht uns das Lachen nicht gleichermaßen aus allen Gattungen der Literatur entgegen?

Frau Schmitter hat über die Komödie nachgedacht. Wer eine Komödie schreibt, der weiß, was er will: Daß seine Zuschauer lachen. Das ist ein ernsthaftes Geschäft. Niemand würde den Komödienschreibern, von Aristophanes und Plautus über Shakespeare und Molière bis zu, sagen wir, Beckett, Ionesco und Thomas Bernhard zuschreiben wollen, daß sie ihre Aufgabe, uns zum Lachen zu bringen, nicht ernst genommen hätten. Und niemand stellt in Frage, daß das Ergebnis zur Literatur gehört; und zwar nicht zur trivialen.

Aber wie ist es in den anderen Literaturgattungen? Gibt es in der Prosa etwas als Gattung, das an Humor der Komödie gleichkommt? In der Lyrik? Nur sehr begrenzt. Gewiß, man kannte das Spottgedicht, die Satire, den Schelmenroman. In den Feuilletons erschienen eine Zeitlang regelmäßig "Humoresken"; das Wort scheint aus der Mode gekommen zu sein. Aber das war Gebrauchsliteratur. So, wie das lustige Gedicht überwiegend im Trivialen beheimatet ist, mit den Versen der Karnevalisten als Höhe- oder Tiefpunkt.

Sofern der ernsthafte Schriftsteller, der Dichter gar, Humor in seine Texte einbaut, tut er das in der Regel dosiert und sozusagen sublimiert; in Gestalt von Ironie wie bei Thomas Mann, oder in Form dessen, was man gern "verzweifelten Humor" nennt. Der Leser soll die Schlechtigkeit jener Welt erkennen, über die der Dichter - Heinrich Böll beispielsweise - seinen bitteren Spott ausgießt.

In der deutschen Literatur der Gegenwart gibt es eine große Ausnahme: Robert Gernhardt. Einer der klügsten Schriftsteller und gewandtesten Lyriker unserer Zeit. Und einer, der Gedichte und Erzählungen so schrieb wie der Dramatiker eine Komödie: Mit der erklärten Absicht, lustig zu sein.

Die nachgerade unausweichliche Folge war und ist, daß Gernhardt (wie andere seines Rangs; Lewis Carroll zum Beispiel) in der Regel weit unterschätzt wurde und wird. Meine Hochschätzung für ihn können Sie im Nachruf lesen: Robert Gernhardt ist tot; ZR vom 30. 6. 2006.



Gernhardt und Carroll waren Ausnahmen; literarische Randerscheinungen sozusagen, wie beispielsweise auch Jean Paul und Arno Schmidt, beide mit einer starken Neigung zu einer l'art pour l'art-Haltung zum Humor. Aber eine breite humoristische Gattung, welche der Komödie korrespondieren würde, gibt es in der Prosa so wenig wie in der Lyrik. Warum?

Man kann nach kulturellen Faktoren forschen, nach nationalen Besonderheiten (den Deutschen mangelt es an Humor!). Ich möchte mich der Frage aber lieber empirisch nähern.

Das Theater unterscheidet sich von Prosa und Lyrik darin, daß man die Kunst gemeinsam genießt. Eine Theateraufführung für einen einzelnen Menschen wäre eine einigermaßen traurige Sache. Das Theatererlebnis ist ein Gemeinschaftserlebnis. Die Tragödie soll uns gemeinsam ergreifen. In der Komödie lachen wir gemeinsam.

Und zwar gemeinsam nicht nur in dem trivialen Sinn, daß viele gleichzeitig lachen. Sondern es findet so etwas wie eine soziale Interaktion im Publikum statt. Das Lachen breitet sich aus, es ist ansteckend. "Einzelne Lacher" ersterben entweder schnell, wie einzelne Klatscher. Oder aber es gibt einen Ansteckungseffekt, und es entsteht eine Gemeinschaft, die lacht oder klatscht.

Aus einer Gemeinschaft schließt man sich nicht ungestraft aus. Der Miesepeter, der nicht mitlacht, wenn alle lachen, mag noch angehen. Peinlich aber ist der umgekehrte Fall: Wenn einer im Theater an einer Stelle lacht, an der die anderen nichts zum Lachen finden. Auch im Kino gibt es diesen Effekt; ich habe ihn einmal anhand der Reaktionen auf einen Film von Aki Kaurismäki beschrieben (Ja, darf man denn da lachen?; ZR vom 31. 12. 2006).



Lachen ist offenbar etwas inhärent Gemeinschaftliches. Gewiß, es gibt den einsam Lachenden. Auch den über das Gelesene lachenden einsamen Leser. Aber dieser wird selten lauthals lachen, sich auf die Schenkel klopfen, wiehern. Das Lachen des Einsamen nimmt eher die Form des Schmunzelns an, des Kicherns (in sich hinein); es ist ein defizienter Modus des Lachens, gewissermaßen.

Ich will das an zwei Beispielen erläutern.

Arno Schmidts "Schule der Atheisten" ist, obwohl er es eine "Novellen-Comödie" nannte, ein Prosatext und kein Theaterstück. Ich habe das Typoskript gelesen, als es 1972 erschienen war, und fand es recht lustig. Zum Schmunzeln eben. Dann erfuhr ich von einem Kreis von Arno-Schmidt-Lesern, die sich trafen, um das Buch gemeinsam zu lesen. Laut, mit verteilten Rollen. Und da nun wurde nicht geschmunzelt - da wurde lauthals gelacht; da kringelte man sich vor Lachen. Das Skurrile, das Groteske, das ganze Kaleidoskop des Schmidt'schen Witzes kam erst in der Gemeinschaft wirklich zur Wirkung.

Ähnlich ist es mir mit Gedichten Robert Gernhardts gegangen. Viele sind lyrische Kunstwerke voller Sprachwitz, manche kalauern auch nur. Beim Lesen findet man das eine wie das andere lustig. Laut lachend habe ich mich dabei nie erlebt. Dann, kurz vor Gernhardts Tod, war ich dabei, als er etliche dieser Gedichte auf seiner letzten Lesereise vortrug. Und da allerdings wurde schallend gelacht, und natürlich war auch ich unter Denen, die zum gemeinsamen Erschallen beitrugen.

Also: Lachen wird erst zusammen mit anderen Menschen richtig schön; überhaupt erst richtiges Lachen. Im Bereich der Kultur und Unterhaltung findet man es deshalb vor allem bei den Formaten mit dem Merkmal des gemeinsamen Genusses: Beim Auftritt des Humoristen, heute Comedian genannt; im Kino. Und eben im Theater, wenn eine Komödie dargeboten wird.

Jedenfalls ist dies der klassische Fall. Im heutigen Regietheater gibt es allerdings eine Tendenz, auch Tragödien, auch Problemstücke so aufzuführen, als seien sie Komödien. Das geht manchmal gut - Zadek konnte es in seinen Shakespeare-Inszenierungen -, meist aber geht es schief. Siehe dazu Zettels Meckerecke: Was darf Regietheater?; ZR vom 18. 6. 2007; zu Comedians und ihrem Humor siehe Chaplin, Schmidt, Borat. Bemerkungen zum Lachen und zum Humor; ZR vom 9. 12. 2006.



Ich behaupte also - oder sagen wir: es erscheint mir plausibel -, daß der literarische Humor hauptsächlich deswegen im Theater und weniger in Prosa und Lyrik anzutreffen ist, weil Lachen - das richtige, eigentliche Lachen - die Gemeinschaft verlangt. Aber warum ist das so? Was hat Lachen denn mit Gemeinschaft zu tun?

Man kann das - vielleicht - verstehen, wenn man sich das Objekt unserer Heiterkeit im Theater klarmacht.

Worüber, über wen lachen wir da eigentlich? Über den verliebten Malvolio beispielsweise, der sich in "Was ihr wollt" wie ein naiver Kindskopf benimmt, obwohl er doch sonst der sittenstrenge Verwalter ist. Bei Molière über einen eingebildeten Kranken oder über einen Bürger, der gern den Edelmann spielen möchte; im "Tartuffe" über einen Familienvater, der sich von einem Betrüger einwickeln läßt. Oder in Labiches Farce "Das Sparschwein" über eine Gruppe von Provinzlern, denen auf der Lustreise nach Paris Übles widerfährt; Peter Stein hat das einmal an der Berliner Schaubühne grandios in Szene gesetzt.

Wir lachen also über das Mißgeschick, das Gestalten auf der Bühne widerfährt. Es ist dasselbe Lachen wie dasjenige der Kinder, die im Zirkus nicht genug bekommen können davon, daß die Clowns ausrutschen und hinfallen, einen auf die Birne kriegen oder naßgespritzt werden.

Gewiß, es gibt auf der Bühne auch Humor, der vordergründig ganz anders zu sein scheint. Der Wortwitz der Boulevardkomödie zum Beispiel oder der absurde Humor Ionescos. Aber wenn man genauer hinschaut, geht es auch dort um Opfer, die dem Zuschauer vorgeführt werden. Der Wortwitz macht sich über jemanden lustig; ihn also schlecht. Ionesco verulkt in der "Kahlen Sängerin" die Sinnleere von Konversationen; angeregt wurde er durch die Phrasen in einem Lehrbuch des Englischen.



Beim Lachen, beim richtigen herzhaften Lachen bilden wir also eine Gemeinschaft, und diese hat, gewissermaßen als ihr Gegenüber, jemanden, dem ein Mißgeschick widerfährt. Lachen ist, mit anderen Worten, Auslachen. Wir bemänteln das gern, wir sublimieren es. Aber das ist - behaupte ich - der Kern des Lachens. Selbst dann, wenn das Opfer man selbst ist; wenn der Witz sich also ironisch gegen Denjenigen richtet, der ihn macht; wie oft beim jüdischen Humor.

Ich würde mich nicht trauen, das so einfach zu behaupten, wenn es für die These. daß Lachen in seinem Kern Auslachen ist, nicht gute wissenschaftliche Gründe gäbe; jedenfalls plausible wissenschaftliche Spekulationen. Aber das brauche ich jetzt nicht darzulegen; ich habe es vor einigen Jahren beschrieben und oben schon zitiert: Chaplin, Schmidt, Borat. Bemerkungen zum Lachen und zum Humor; ZR vom 9. 12. 2006.
Zettel



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