13. Juli 2011

Zitat des Tages: "Der neue schwarz-grüne Zeitgeist". Ja, den gibt es. Es ist der böse Geist der deutschen Geschichte

Der neue schwarz-grüne Zeitgeist ist das erfolgreichste Produkt Made in Germany seit Langem: War früher Linkssein noch eine anstrengende, nervenaufreibende Angelegenheit, verbunden mit einer ungewissen Zukunft und einer prekären Lebens- und Arbeitssituation, so garantiert die Kombination Schwarz-Grün, dass Linkssein auch behaglich sein kann. Schwarz-Grün ist den Deutschen geradezu auf den Leib zugeschnitten: Weltverbessertum und tiefes moralisches Empfinden paaren sich mit Sicherheitsdenken und Gemütlichkeit. Endlich lässt es sich links sein ohne auf Komfort, Tradition, Kirchengemeinde, Reihenhäuschen, Vorgarten und Schützenverein verzichten zu müssen.

Tanja Dückers in "Zeit-Online".


Kommentar: Trefflich konstatiert das Tanja Dückers, der ein Talent für Zynismus nicht abzusprechen ist (siehe Zitat des Tages: "Überdurchschnittlich viele Kinder". Da stimmt doch was nicht!; ZR vom 4. 6. 2011). Nur kann ich ihre historische Einordnung dieses Phänomens überhaupt nicht teilen:
Dieser Wandel hat den Boden bereitet für einen neuen Begriff der Bürgerlichkeit: Er verbindet bürgerlich-konservative Werte wie Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit mit linken Tugenden wie individueller Freiheit, Selbstverwirklichung und einer gewissen kosmopolitisch-toleranten Haltung, ohne die in Zeiten der Globalisierung schlecht Geschäfte zu machen wären.
Individuelle Freiheit, das höchste Gut des Liberalismus, als "linke Tugend"? Selbstverwirklichung gar?

Wo anders als im Kapitalismus - heute also innerhalb der Werte des Neoliberalismus - hat denn jeder Bürger die Chance zur "Selbstverwirklichung", was immer dieser verquaste Begriff sagen soll (vielleicht the pursuit of happiness)? Von wem anders als vom Liberalismus wird denn die Freiheit des Einzelnen in den Mittelpunkt gestellt?

Man kann den Zynismus auch zu weit treiben. Tanja Dückers tut das, wenn sie den Linken liberale Werte zuschreiben möchte. Just die individuelle Freiheit ist es, die in der Konstellation Schwarz-Grün unter die Räder kommen wird. Lesen Sie dazu vielleicht das eine oder andere aus der Serie in ZR "Deutschland im Öko-Würgegriff".

Nicht die Freiheit des Einzelnen haben die "Grünen" auf ihre Fahnen geschrieben, sondern gerade - ganz in deutscher Tradition - die Unterordnung des Einzelnen unter das, was man für das Gemeinwohl hält. Du bist nichts, das Klima ist alles. In dieser Mißachtung der Freiheit des Einzelnen treffen sich die Grünen in der Tat mit etatistischen Konservativen; andere Konservative - vor allem in den USA - sind freilich heftige Feinde des Etatismus.

Schwarzgrün wäre ein Bündnis der Antiliberalen gegen die Freiheit, der Etatisten gegen den Individualismus. Es wäre die Erneuerung der schlechtesten Traditionen der deutschen Geschichte - des kruden Gemeinschaftsgefühls anstelle der Freiheit des Einzelnen; des Moralisierens als Mittel, soziale Konformität zu erzwingen; der wahnhaften Irrationalität, wie sie im "Ausstieg aus der Atomenergie" auf erschreckende Weise zum Ausdruck gekommen ist. Niemand verkörpert diese antiliberale Haltung, diesen Volksgemeinschafts-Schmus besser als Norbert Röttgen; siehe Röttgen redet; ZR vom 3. 7. 2011.

Siehe zu diesem Thema, das vermutlich die kommende Dekade in Deutschland bestimmen wird, auch diese Artikel: "Was dann?" - Aussteigernation Deutschland. Gebt Raum, ihr Völker, unsrem Schritt; ZR vom 28. 5. 2011; Zettels Meckerecke: Deutschland im Solarwahn; ZR vom 27. 6. 2011; sowie Josef Joffe erklärt seinen "Freunden da draußen", warum die Deutschen spinnen; ZR vom 13. 6. 2011.
Zettel



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