8. August 2011

Marginalie: Ist "Newsweeks" aktuelles Titelbild sexistisch? Journalismus in den USA, Journalismus in Deutschland

Während die Börse kracht und die Amerikaner noch die Wunde lecken, die ihnen die Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit geschlagen hat, wird heute in den USA ein Thema diskutiert, das banal erscheinen mag. Es ist aber, zumal aus deutscher Sicht, in doppelter Hinsicht bemerkenswert.

Sehen Sie sich bitte einmal das Titelbild der aktuellen Ausgabe (Erscheinungsdatum 15. August) von Newsweek an. Sie finden es zum Beispiel rechts oben im Internetportal von Newsweek. Newsweek ist ein US-Nachrichtenmagazin; das zweitgrößte nach Time Magazine und damit ungefähr in der Rolle, die "Focus" bei uns hinter dem "Spiegel" einnimmt.

Fällt Ihnen an dem Titelbild etwas auf? Sie können es hier vergrößert sehen.

Möglicherweise werden Sie die abgebildete Dame nicht erkennen. Es ist die republikanische Politikerin Michele Bachmann, die gern kommendes Jahr gegen Barack Obama ins Rennen gehen möchte. Ich habe kürzlich über sie berichtet, als eine sie herabsetzende Falschmeldung durch die deutschen Medien ging (Die Falschmeldung des Tages, diesmal von "Welt-Online"; ZR vom 28. 6. 2011).

Davon abgesehen, daß Sie die Politikerin vielleicht nicht erkannt haben, wird Ihnen wahrscheinlich an dem Titelbild kaum etwas aufgefallen sein. Gut, es zeigt Michele Bachmann nicht sehr vorteilhaft fotografiert; aber das sind wir in Deutschland ja gewöhnt.

Als der "Spiegel" noch regelmäßig Köpfe als Titelbilder hatte, waren solche Negativ-Porträts auf dem Cover die Regel. Sehen Sie sich einmal - beliebig herausgegriffen - dieses Foto von Hans-Dietrich Genscher aus dem Jahr 1980 an, oder dieses Porträt von Papst Johannes Paul II von 1990. Die letzten drei "Spiegel"-Ausgaben mit Politikern auf dem Titel (was, wie gesagt, selten geworden ist) waren die zu Helmut Kohl, Thilo Sarrazin und Angela Merkel/Guido Westerwelle - alle darauf angelegt, die Abgebildeten negativ erscheinen zu lassen. Kaum jemanden stört das noch in Deutschland.

Das nicht sehr vorteilhafte Porträt von Michele Bachmann auf dem Titel von Newsweek aber hat in den USA Empörung ausgelöst. In der Washington Post schreibt heute Jonathan Capehart:
There's no denying that Bachmann firmly believes what she believes. Some might think she's crazy because of it. Cover photos like this one help to cement that image.

Es ist nicht zu leugnen, daß Bachmann fest das glaubt, woran sie glaubt. Manche halten sie deshalb für verrückt. Titelfotos wie dieses tragen dazu bei, dieses Image zu zementieren.
Und in NewsBusters fragt Noel Sheppard, was in aller Welt die Redaktion sich dabei gedacht hätte, eine amtierende Abgeordnete des Repräsentantenhauses und Kandidatin für das Amt des Präsidenten derart auf den Titel zu bringen.

Das ist das eine, das aus deutscher Sicht bemerkenswert ist: Von den extremen Rändern abgesehen (Fox News auf der einen, die Huffington Post auf der anderen Seite, beispielsweise), hält man in den USA nichts von agitatorischer Berichterstattung. Auch Zeitungen und Magazine, die auf einer anderen politische Linie liegen als der Politiker, mit dem sie sich befassen, behandeln ihn in der Regel fair.

Bei den Amerikanern ist die Meinung weit verbreitet, daß, wer schreit, Unrecht hat. Andersdenkende zu respektieren gehört in den USA, ganz anders als heute in Deutschland, zu den Selbstverständlichkeiten, über die sich alle Demokraten einig sind. In Deutschland reicht diese Toleranz inzwischen ja bereits nicht einmal mehr bis zum konservativen Flügel der SPD, wie der Umgang mit Thilo Sarrazin zeigte. Respekt von unseren großen Medien kann heute nur noch erwarten, wer links, allenfalls noch linksliberal ist.



Was vermuten die US-Kritiker hinter dem tendenziösen Titelbild von Newsweek? Damit komme ich zum zweiten interessanten Punkt. Von Deutschland aus betrachtet, erscheint die Sache klar: Wer rechts von der Mitte steht, der wird von den Medien niedergemacht. Solange Sarah Palin nicht als Kandidatin auftritt, ist die Kandidatin der Tea Party, Michele Bachmann, so etwas wie ihre Platzhalterin; vielleicht auch schon mehr. Also behandelt man sie nicht besser als seinerzeit Sarah Palin.

Wie das in Deutschland während und nach deren Kandidatur für die Vizepräsidentschaft geschehen war, das habe ich damals gelegentlich kommentiert (siehe zum Beispiel "Debakel", "Peinliche Panne". Warum löst Sarah Palin Haß und Häme aus? Man könnte ins Psychologisieren kommen ...; ZR vom 19. 10. 2008, und Die heimtückische Naivität der Sarah Palin; ZR vom 23. 10. 2008).

In den USA aber kommt die Kritik aus einer ganz anderen Richtung: Das Titelfoto sei sexistisch. "Is Newsweek's Michele Bachmann Cover Sexist?", ob der Bachmann-Titel von Newsweek sexistisch sei, fragt Jessica Grose im Internet-Magazin Slate; und im Blog der Washington Post weist Elizabeth Flock darauf hin, daß Newsweek schon zuvor Frauen auf seinem Titel negativ dargestellt hätte - Prinzessin Diana zum Beispiel und Sarah Palin.

Sozusagen als Gegenprobe präsentiert Slate Titelporträts von Newsweek, die männliche Politiker durchweg fair konterfeien - John McCain zum Beispiel, Michael Huckabee und sogar den konservativen Journalisten Rush Limbaugh. Fazit von Jessica Grose:
The Newsweek cover was unnecessarily unflattering. I doubt Newsweek would portray a male candidate with such a lunatic expression on his face. As much as it pains me to admit it Bachmann is a legitimate candidate and major magazines should treat her like one.

Das Titelbild von Newsweek war unnötig unvorteilhaft. Ich bezweifle, daß Newsweek einen männlichen Kandidaten mit einem solch irren Gesichtsausdruck porträtieren würde. So, wie es mich auch schmerzt, zuzugeben, daß Bachmann eine legitime Kandidatin ist und daß die großen Magazine sie als eine solche behandeln sollten.



Daß man Bachmann mit einem irren Blick auf den Titel gesetzt hat, um Frauen herabzuwürdigen, will mir nicht recht einleuchten; zumal Newsweek eine Frau als Chefredakteur hat, Tina Brown.

Aber wie in Deutschland ist es auch in den USA sehr viel erfolgversprechender, etwas als sexistisch zu kritisieren, als den Vorwurf zu erheben, es fehle an Respekt gegenüber Konservativen. Wie dem auch sei - Jessica Groses Schlußsatz sollten sich deutsche Journalisten hinter die Ohren schreiben: Wer ein legitimer Kandidat ist, wer ein Politiker ist, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, der hat Anspruch darauf, fair behandelt zu werden.

In den USA hat er einen realen Anspruch darauf. Diesen Anspruch in Deutschland zu erheben ist freilich eher so, als würde man von einem Dreijährigen verlangen, daß er philosophische Abhandlungen schreibt.

Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.