9. Januar 2012

Zettels Meckerecke: "Quelle: F.A.Z.". Der unsäglichste, der geschmackloseste Artikel, den ich seit langem gelesen habe. Nein, ich übertreibe nicht

Im Feuilleton von FAZ.NET ist derzeit ein Artikel mit der Überschrift "In Trümmerhaufen" zu lesen. Er trägt kein Datum. Es wird kein Autor genannt.

Daß derjenige, der das geschrieben - oder vielmehr überwiegend montiert - hat, nicht mit seinem Namen erwähnt wird, daß er vielleicht nicht genannt werden wollte, ist verständlich. Denn ein so schlimmes Machwerk habe ich lange nicht mehr in der Internet-Ausgabe einer deutschen Tageszeitung gelesen; schon gar nicht der FAZ.

Unter dem Text von "In Trümmerhaufen" findet man statt eines Autorennamens nur den Vermerk: "Quelle: F.A.Z.". Das steht bei FAZ.NET unter denjenigen Artikeln, die nicht eigens für das Internetportal geschrieben, sondern die der gedruckten FAZ entnommen wurden; hier vermutlich der Ausgabe vom heutigen Montag.



Worum geht es? Besser ist die Frage: Um wen geht es? Denn die Rede ist in dem Artikel von zwei Personen; und die Art, wie sie und ihre Äußerungen durch die Montage miteinander verknüpft werden, macht das Unsägliche aus, für das "Geschmacklosigkeit" eigentlich eine zu milde Bezeichung ist. Es geht um Bundespräsident Christian Wulff und den Schriftsteller Ernst Jünger.

Was haben sie miteinander zu tun? Hat sich Wulff zu Jünger geäußert? Gibt es etwas im Werk Jüngers, das zur Erhellung der Person Wulff, das vielleicht zum Verständnis seines Verhaltens in der jetzigen "Affäre" beitragen könnte?

Nein. Jedenfalls nennt der Autor, der sich "In Trümmerhaufen" hat einfallen lassen, nichts dergleichen. Er stellt die Verbindung zwischen den beiden Personen durch ein Wort her: "Stahlgewitter". Das Wort hat er aus "Bild".

In der Internetausgabe von "Bild" konnte man nämlich gestern diese Meldung zu Wulff lesen:
Laut BILD am SONNTAG erklärte er bei einem internen Neujahrsempfang vor Mitarbeitern, er sei zuversichtlich, "dass dieses Stahlgewitter bald vorbei ist". Er wolle bis 2015 als Präsident einen guten Job machen.
Das ist ein typischer Wulff-Satz: Nicht nur das Gewitter soll vorbeiziehen; nein, es muß gleich ein "Stahlgewitter" sein. Wulff setzt immer gern einen drauf. Die Nachricht, die er auf Kai Diekmanns Mailbox hinterließ, beginnt mit der Mitteilung, er sei "auf dem Weg zum Emir". Von sich selbst spricht er in der Dritten Person als "dem Staatsoberhaupt" (siehe Textauszüge aus dem, was Wulff auf Diekmanns Mailbox gesprochen hat; ZR vom 8. 1. 2012). Es ist das etwas gespreizte Gehabe, das man oft bei sozialen Aufsteigern findet.

Also "Stahlgewitter". Ob Wulff dieses Wort irgendwann einmal irgendwo aufgeschnappt und nichtsahnend seinem aktiven Wortschatz einverleibt hat; ob er wußte, daß es im Titel eines berühmten Buchs von Ernst Jünger steht ("In Stahlgewittern", Erstausgabe 1920); ob er dieses Buch vielleicht gar gelesen hat - das tut wenig zur Sache. Aus dem Kontext geht klar hervor, daß er nicht dieses Werk zitieren, sondern die Situation plastisch kennzeichnen wollte, in der er sich gegenwärtig befindet. Er verwendete eine Metapher; das ist alles.



Dem Anonymus von der FAZ aber ist das Stoff für seine Montage. Die Überschrift "In Trümmerhaufen" soll natürlich "In Stahlgewittern" persiflieren; wir dürfen lachen. Und humorvoll und geistig wendig, wie der Anonymus ist, hatte er gleich noch eine andere Assoziation: "Bellevue"! Das ist bekanntlich die Residenz des Bundespräsidenten. Und kommt "Bellevue" nicht auch in Jüngers Buch vor?

Schnell gegoogelt - und schwupp! liefert Google Books die Fundstelle:
Auf der einsamen Höhe am Wege nach Ransart lag eine Ruine, ein ehemaliges Estaminet [in Nordfrankreich und Belgien gebräuchliche Bezeichnung für eine Schenke; Zettel], wegen des weiten Ausblicks auf die Front Bellevue genannt, ein Ort, der mich trotz seiner gefährlichen Lage besonders anzog. Die Verlassenheit und das tiefe Schweigen, ab und zu vom dumpfen Ton der Geschütze unterbrochen, verstärkten den traurigen Eindruck der Zerstörung.

Zerrissene Tornister, abgebrochene Gewehre, Zeugfetzen, dazwischen in grausigem Kontrast ein Kinderspielzeug, Granatzünder, tiefe Trichter der krepierten Geschosse, Flaschen, Erntegeräte, zerfetzte Bücher, zerschlagenes Hausgerät, Löcher, deren geheimnisvolles Dunkel einen Keller verrät, in dem vielleicht die Gerippe der unglücklichen Hansbewohner von den überaus geschäftigen Rattenschwärmen benagt werden, ein Pfirsichbäumchen, das seiner stützenden Mauer beraubt ist und hilfesuchend seine Arme ausstreckt, in den Ställen die noch an der Kette hängenden Skelette der Haustiere, im verwüsteten Garten Gräber, dazwischen grünend, tief im Unkraut versteckt, Zwiebeln, Wermut, Rhabarber und Narzissen, auf den benachbarten Feldern Getreidediemen [Schober; Zettel], auf deren Dächern schon die Körner wuchern; all das durchzogen von einem halbverschütteten Laufgraben, umgeben vom Geruch des Brandes und der Verwesung.

Traurige Gedanken beschleichen den Krieger, dessen Fuß auf den Trümmern einer solchen Stätte ruht, wenn er derer gedenkt, die noch vor kurzem hier friedlich lebten.
Das steht in dem Kapitel "Douchy und Monchy" ziemlich am Anfang des Buchs. Ich zitiere die ganze Passage (die Absätze wurden von mir zur besseren Lesbarkeit eingefügt), weil sie Ihnen einen Eindruck vom Stil Jüngers gibt, von seiner Sprachkraft und dem eisigen, trotzigen Ernst, mit dem er das Grauen des Kriegs schildert.

Dem anonymen FAZ-Autor aber dient das Entsetzliche dazu, sein Witzchen zu machen. Zu Beginn des Artikels schreibt er:
Christian Wulff als Ernst Jünger? Die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand. Doch nicht nur zitierte er Ernst Jünger, Ernst Jünger zitierte auch Christian Wulff. In seinem Buch "In Stahlgewittern" schrieb der Leutnant des Hannoveraner Regiments Prinz Albrecht von Preußen darüber, wie von Bellevue aus ein totes Land aussieht.
Es folgen eine Illustration - ein herausgeschnittenes Stück aus dem Frontispiz der ersten Auflagen des Buchs, das eine Szene aus den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs zeigt -, dann die hier zitierte Passage und zwei weitere Zitate von Jünger.



Was ist das Empörendste an diesem Artikel? Daß einer die Fürchterlichkeiten des Kriegs dazu mißbraucht, einen politischen Witz loszuwerden? Daß er Bundespräsident Wulff in die Nähe Ernst Jüngers rückt? ("Die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand" - welche bitte?).

Oder daß er das noch dazu mittels eines Zitats aus dem Vorwort von "In Stahlgewittern" tut, in dem Jünger im Stil der damaligen Zeit von der "ehrenvolle[n] Erinnerung an euch, an die herrlichste Armee, die je die Waffen trug" spricht? Ist also der Versuch, den Präsidenten mittels dieser Collage herabzusetzen, ihn in die Nähe von Kriegsliteratur und Nationalismus zu rücken, das Schlimmste? (Man könnte es übrigens auch Verunglimpfung nennen und an § 90 StGB denken).

Das ist alles einigermaßen widerwärtig. Am Empörendsten aber erscheint es mir, daß niemand in der Redaktion der gedruckten FAZ, daß niemand der Verantwortlichen von FAZ.NET es verhindert hat, daß so etwas publiziert wird.

Es gibt Autoren, denen es an Geschmack und an menschlichem Anstand fehlt. Daß verantwortliche Redakteure einer führenden deutschen Tageszeitung so etwas durchgehen lassen, ist eine Schande.
Zettel



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