20. Februar 2012

Marginalie: Gauck und Merkel - ein Traumpaar? Präsident und Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik

Gauck habe, so kolportiert es "Spiegel-Online", vor Rührung geweint, als er gestern den Kabinettssaal betrat, wo die Parteiführer versammelt waren. Angela Merkel hätte in einer solchen Situation nicht geweint.

Ich erinnere mich an eine Szene im Jahr 2005, als sie nach dem knappen Ausgang der Wahl Kanzlerin geworden war. Auf einer Pressekonferenz kurz danach stellte eine ausländische Journalistin eine persönliche Frage: Was denn Frau Merkel jetzt empfinde? Diese antwortete sinngemäß, daß Deutschland in einer schwierigen Situation sei und daß jetzt viele Aufgaben vor ihr lägen. Die Journalistin hakte nach: Ja, aber ihr ganz persönliches Gefühl? Glück, Stolz? So ungefähr. Die Kanzlerin wiederholte, wie schwierig die Aufgaben seien und daß sie diese jetzt anpacken werde.

Da haben wir die beiden, die Rollenerwartungen für Männer und Frauen vertauschend: Die kühl-rationale, ganz handlungs­orientierte Angela Merkel und jenen Joachim Gauck, der nicht nur eigene Gefühle zeigt, sondern durch dessen Denken sich auch die Reflexion über die Gefühle anderer zieht (siehe Zitat des Tages. Heute, wie anders, von Joachim Gauck; ZR vom 20. 2. 2012).



Konrad Adenauer und Theodor Heuss waren in den ersten Jahren der Bundesrepublik so etwas wie ein Traumpaar: Der ruhige, gemütliche, zur Korpulenz neigende Schwabe und der drahtige, auch im hohen Alter noch straff-energisch wirkende Adenauer. Der katholische Rheinländer und der Protestant; der Liberale und der Konservative. Heuss der Mann des Wortes und der Werte, Adenauer der geschickte Taktiker und der entschlossen Handelnde.

Wenn damals Kinder die beliebte Frage stellten: "Papi, wer ist mehr - Heuss oder Adenauer?", dann erklärte der kluge Papi, daß Heuss oben an der Spitze steht, daß Adenauer aber mehr Macht hat. Und mancher mag selbstironisch hinzugefügt haben: Das ist wie bei uns in der Familie - ich bin das Familienoberhaupt, aber die Mami entscheidet, was gemacht wird.

Das verstanden auch schon kleine Kinder.

Ein solches Traumpaar aus Präsident und Kanzler hat es später nicht wieder gegeben.

Erhard und Lübke? Eher das Gegenteil eines Traumpaars; der eine ein schlechter Kanzler, der andere ein am Ende überforderter Präsident.

Gustav Heinemann und Willy Brandt? Heinemann hatte zwar nach seiner Wahl im Sommer 1969 von einem "Stück Machtwechsel" gesprochen; und in der Tat - im Oktober desselben Jahres war Brandt Bundeskanzler. Aber ein Traumpaar waren die beiden nie; vielleicht, weil sie - beide verschlossene, dröge, fast unnahbare Männer - einander zu ähnlich waren. Immerhin amtierten sie fast synchron. Brandt trat am 7. Mai 1974 zurück; am 30. Juni 1974 endete Heinemanns Amtszeit.

Helmut Schmidt erlebte als Kanzler den rheinisch-fröhlichen Präsidenten Scheel ("Hoch auf dem gelben Wagen") und den korrekten Beamtentyp Karl Carstens, der, durch Deutschland wandernd, volksnah sein wollte, es aber von seinem Naturell her nicht werden konnte. Beide Präsidenten verblaßten gegen den populären Schmidt, der selbst etwas Präsidiales hatte. Auf die Frage "Wer ist mehr?" hätte damals jedes Kind die Antwort selbst gewußt - natürlich Helmut Schmidt.

Helmut Kohl hatte es in seinen sechzehn Jahren als Kanzler mit drei Präsidenten zu tun - anfangs noch mit Karl Carstens, dann zehn Jahre lang mit Richard von Weizsäcker und in seinen letzten vier Regierungsjahren mit Roman Herzog.

Mit Carstens ging das gut. Aber sowohl der Freiherr von Weizsäcker als auch der Professor und frühere Verfassungsrichter Roman Herzog waren für Helmut Kohl, den Mann aus der pfälzischen Provinz, problematische Partner. Er hatte nicht deren Eloquenz, ihre Kultiviertheit; und er litt darunter. Helmut Kohl war ja - was in der Rückschau vielleicht verwundert - nie ein populärer Kanzler; ganz anders als Adenauer, Brandt und Schmidt. Er schaffte es zwar, immer wieder gewählt zu werden, aber die Herzen flogen ihm nicht zu. Weizsäcker eroberte das Herz vieler Deutscher, und Herzog schätzen sie immerhin für seinen brillanten Geist.

Gerhard Schröder regierte die meiste Zeit mit Johannes Rau als Präsidenten; nur am Anfang hatte er es noch mit Herzog und am Ende - auch das damals ein "Stück Machtwechsel" - gut ein Jahr mit Horst Köhler zu tun.

Schröder und Rau, das ging ganz gut - der aus grobem Holz geschnitzte Machtmensch Schröder, der als Junge den Spitznamen "Acker" getragen hatte; und der gelernte Buchhändler Rau, dessen Spezialität das Erzählen sublimer Witze war. Der eine suchte sich rücksichtslos durchzusetzen, auch schon einmal im Husarenritt; der andere predigte ("Bruder Johannes" nannte man ihn) sein "Versöhnen statt spalten". Sie taten einander nicht weh; keiner überstrahlte den anderen, da ja keiner auch nur in Ansätzen selbst strahlte. Sie spielten in ihrem jeweiligen Rollenfach, wie einst Heuss und Adenauer; nur eher auf Provinzniveau.



Was die Zahl der Präsidenten angeht, unter oder neben denen sie amtierte, hat Angela Merkel nun schon ihren Mentor Helmut Kohl eingeholt. Weniger als drei können es nicht gewesen sein, wenn die Kanzlerin einmal abtritt; mehr freilich schon.

Zwei dieser Präsidenten waren ihre Kreation. Beide Male hatte sie klug überlegt und entschieden - und am Ende doch den Falschen erwählt. Aus verschiedenen, aus nachgerade komplementären Gründen freilich:

Köhler war im Grunde ein idealer Bundespräsident; halb Heuss, halb Heinemann. Aufrecht, werteorientiert, mit Sinn für Würde und Repräsentation; und vor allem aufrichtig. Nicht umsonst war er ein außerordentlich beliebter Präsident. Aber er scheiterte an einer Eigenschaft, gegen die das alles am Ende nicht ins Gewicht fiel; seiner Dünnhäutigkeit, seiner, man könnte fast sagen, Ehrpusseligkeit. Liebenswert; aber fehl am Platz im Haifischbecken Berlin.

Das sollte ihr nicht noch einmal passieren, der Kanzlerin. Also suchte sie als Nachfolger einen mit allen Wassern gewaschenen Politikern aus; mit anerkannten Nehmer­qualitäten. Daß am Ende das Waschen in der Bevölkerung eher mit "eine Hand wäscht die andere" assoziiert wurde und das Nehmen mit Entgegennehmen - das konnte sie nicht antizipieren.



Jetzt also Gauck. Aus politischen Gründen hatte sie ihn nicht haben wollen. Menschlich dürften die beiden - das klang auch gestern bei der Vorstellung des Kandidaten Gauck im Bundeskanzleramt schon an - bestens harmonieren. Sie sind gewissermaßen auf derselben Wellenlänge, aber sie modulieren diese Grundfrequenz ganz unterschiedlich.

Angela Merkel wuchs in Templin auf, Joachim Gauck im 140 Kilometer entfernten Rostock. Sie entstammt einem Pfarrhaus, er war Pfarrer. Beide gehörten nicht zu den "Dissidenten" in der DDR, die vom Regime verfolgt wurden; beide standen diesem aber ablehnend gegenüber und schlossen sich im Herbst 1989 sofort einer der demokratischen Bewegungen an; Gauck dem "Neuen Forum", Merkel dem "Demokratischen Aufbruch".

Sind sie einander also zu ähnlich, um ein Traumpaar wie Heuss und Adenauer abgeben zu können? Nein. Denn vor diesem gemeinsamen biographischen Hintergund sind sie eben doch, wie eingangs skzizziert, zwei ganz verschiedene Charaktere. Zwei, die unterschiedlichen Erwartungen gerecht werden, die man an Diejenigen an der Spitze von Staat und Regierung stellt. Das könnte schon passen.­
Zettel



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