15. Februar 2012

Zitat des Tages: "Griechenland lebt seit seiner Geburt im totalen Bankrott". Ein Reisebericht aus dem Jahr 1855. Griechische Geschichten

Griechenland ist das einzige bekannte Beispiel eines Landes, das seit dem Tag seiner Geburt im totalen Bankrott lebt. (...)

Wenn in einem zivilisierten Land die Einnahmen nicht ausreichen, um die Ausgaben zu bestreiten, ist das Mittel einer Staatsanleihe im Innern vorgesehen. Dieses Mittel hat die griechische Regierung noch nie versucht, und der Versuch wäre auch erfolglos gewesen. Die Schutzmächte Griechenlands mussten schließlich die Zahlungsfähigkeit des Landes garantierten, damit das Land über eine Anleihe im Ausland verhandeln konnte.
Der französische Schriftsteller Edmond About in seinem Buch La Grèce contemporaine (Das heutige Griechenland), dessen erste Auflage 1855 erschien. Ich zitiere die Übersetzung von Philipp Reuter, die in Auszügen am Wochenende in der F.A.S. abgedruckt wurde; seit heute zu lesen bei FAZ.Net.

Kommentar: Der Schriftsteller und Journalist Edmond About begab sich als junger Mann von knapp 24 Jahren nach Abschluß seines Studiums an der École normale superieure am 1. Februar 1852 auf die Fahrt nach Griechenland und unternahm dort ausgedehnte Reisen.

Auf seinen lebendigen, scharfsichtigen und auch scharfzüngigen Reisebericht werde ich im noch ausstehenden zweiten Teil des Artikels über Reisen im 19. Jahrhundert genauer eingehen (Erster Teil: Literarische Randnotizen (5): Auf und davon. Die Leselust an der Reiselust. Teil 1: Von Karl Philipp Moritz zu Karl May; ZR vom 25. 12. 2011).

Jetzt möchte ich nur darauf aufmerksam machen, wie sehr das Schuldenmachen, die sich daraus ergebende Abhängigkeit von der Großzügigkeit des Auslands und auch eine, sagen wir, eigenwillige Steuermoral in der Tradition Griechenlands verwurzelt sind. Zum damaligen griechischen Steuerwesen schrieb Edmond About:
Die Beamten hören sich die Steuerpflichtigen erst einmal an. Wenn man sich dann duzt und verbrüdert, gibt es immer einen Weg, sich zu verständigen.
Viele Griechen machten sich "einen Spaß daraus, gar keine Steuern zu zahlen". Die Reaktion des Fiskus:
Deshalb stellten die Finanzminister bis 1846 immer zwei Einnahme-Budgets auf. Das eine, das amtliche Budget, verzeichnete die Summen, die die Regierung im Jahr einnehmen sollte und auf die sie einen Rechtsanspruch hatte; das andere, das Verwaltungsbudget, verzeichnete die Summen, die die Regierung einzunehmen hoffte.
Als About diese Beobachtungen machte, war Griechenland gerade einmal zwei Jahrzehnte unabhängig. Waren das also Kinderkrankheiten eines Staats, der es noch nicht gelernt hatte, auf eigenen Füßen zu stehen? Nein. Denn das alles wiederholte sich in den nachfolgenden Jahrzehnten und auch noch im 20. Jahrhunderts. Staatspleiten gab es beispielsweise 1893 (damals half ein Konsortium aus europäischen Ländern, die Griechenland eine strikte fiskalische Disziplin auferlegten) und dann wieder 1932.

Die Einzelheiten, samt einem Abriß der Geschichte des modernen Griechenland, finden Sie in diesem Artikel: Griechenland - seit seiner Geburt ein Ziehkind Europas. Über den historischen Hintergrund der griechischen Schulden­macherei; ZR vom 28. 10. 2011.­
Zettel



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