9. Juni 2012

Frankreichs Wahljahr 2012 (12): Morgen sind Parlamentswahlen. Die Parteien rechts von der Mitte liegen vorn. Die Linke wird wahrscheinlich gewinnen

Die Wahl des Präsidenten im Nachbarland Frankreich hat unsere Medien stark beschäftigt. Die Wahlen zur Nationalversammlung, deren erster Wahlgang morgen stattfindet (der zweite dann in einer Woche) erregen viel weniger Interesse.

In gewisser Weise zu Recht. Denn zum einen ist es in Frankreich der Präsident, der weitgehend die Richtlinien der Politik bestimmt. Präsident Hollande hat beispielsweise bereits die Regierung gebildet, bevor überhaupt der Wähler über die Zusammensetzung des Parlaments bestimmen konnte (Die Regierung ist ernannt, noch bevor die Nationalversammlung gewählt wurde. Das neue, sozialistische Frankreich; ZR vom 17. 5. 2012). Zum anderen gibt es kaum einen Zweifel daran, daß die Linke siegen wird.

Sieht man sich allerdings die Umfrageergebnisse an, dann bietet sich ein anderes Bild als ein Sieg der Linken; jedenfalls auf den ersten Blick. Ich habe einmal das arithemische Mittel der jeweils letzten Umfragen aller acht Institute gebildet, die getrennt für die einzelnen Parteien nach der Wahlabsicht gefragt haben (Ipsos, CSA, Harris, OpinionWay, TNS Sofres, Ifop, LH2, BVA):
  • Extreme Linke (Kommunisten verschiedener Strömungen): 9,2 Prozent

  • Sozialisten: 32,2 Prozent

  • Grüne: 4,8 Prozent

  • UMP (Sarkozys bisherige Regierungspartei) und konservative Einzelkandidaten: 33,9 Prozent

  • Extreme Rechte (Front National): 15,1 Prozent
  • Der Rest entfällt auf Bayrous praktisch bedeutungslos gewordenes MoDem (3,1 Prozent) und diverse Einzel­kandidaten.

    Zusammen haben die Parteien links von der Mitte damit 46,2 Prozent; die rechts von der Mitte 49,0 Prozent.

    Würde nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wie in Deutschland, dann wäre das Rennen zumindest offen, mit schlechten Chancen für eine linke Mehrheit. Aber in Frankreich wird nach dem Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen gewählt. In den zweiten Wahlgang darf einziehen, wer im ersten in dem jeweiligen Wahlkreis mindestens 12,5 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigter erreicht hat (für die Einzelheiten siehe Jetzt gibt es erste Umfragen zu den Parlamentswahlen in vier Wochen. Die Schlüsselrolle des Front National; ZR vom 10. 5. 2012).

    Wer dieses Quorum erreicht, der darf sich eine Woche später erneut den Wählern stellen; er kann sich aber auch zurückziehen (désistement). Und das tun traditionell die Kandidaten der Linken, wenn ein anderer linker Kandidat die besseren Chancen hat - ein Kommunist also zugunsten eines Sozialisten und umgekehrt. Die demokratische Linke hat da keine Berührungsangst mit Kommunisten.

    Ebenso traditionell gibt es solche Bündnisse zwischen der demokratischen Rechten und der extremen Rechten nicht. Da diesmal der Front National (zu diesen Wahlen in Rassemblement Bleu Marine umbenannt) weit stärker ist als vor fünf Jahren, wird es damit in vielen Wahlkreisen zu sogenannten triangulaires kommen, zu Dreiern: Dem Einheitskandidaten der Linken stehen im zweiten Wahlgang ein Kandidat der UMP und einer des Front National gegenüber, die sich gegenseitig die Stimmen wegnehmen.

    Erstmals in diesem Jahr gilt allerdings diese Tradition nicht mehr uneingeschränkt. Teile der UMP sind inzwischen zum Bündnis mit dem Front National zum gegenseitigen Nutzen bereit. Andere - die Mehrheit - lehnen das weiter kategorisch ab, wie zum Beispiel gestern Alain Juppé; einst Premierminister unter Jacques Chirac und Außenminister unter Mitterrand.

    Aber vor Ort sieht es inzwischen teilweise anders aus. Im 16. Wahlkreis des Départements Bouches-du-Rhône in Südfrankreich treten zum Beispiel im ersten Wahlgang für die UMP Roland Chassain an, der Bürgermeister von Les-Saintes-Maries-de-la-mer, für das Rassemblement Bleu Marine, also den umbenannten Front National, Valérie Laupies und für die Sozialisten Michel Vauzelle, Präsident der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur.

    Roland Chassain hat erklärt, wenn er in den zweiten Wahlgang komme, dann erwarte er, daß die Wähler des FN für ihn stimmten. Und ungekehrt: Wenn Madame Laupies eines Siegeschance habe, dann werde er sich nicht mit den Sozialisten gegen sie verbünden. Die UMP und der FN müßten sich zusammentun (se côtoyer), wenn man wieder an die Regierung kommen wolle.

    Solche lokalen Bündnisse könnten dem Front National vielleicht einige Sitze (die Schätzungen liegen unter einem halben Dutzend) einbringen und die zu erwartende Niederlage der UMP etwas abmildern. Aber an der Wirkung des Wahlrechts, verbunden mit der unterschiedlichen politischen Lage auf der Linken und auf der Rechten, dürfte das Entscheidendes nicht ändern.­­
    Zettel



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