1. August 2012

Marginalie: Hollande 2012 - wie Schröder 1998. Steuererhöhungen, rückgängig gemachte Reformen. Die Sozialisten machen Ernst

Gerhard Schröder wird oft dafür gepriesen, die Agenda 2010 auf den Weg gebracht zu haben; eine der Grundlagen dafür, daß Deutschland heute wirtschaftlich so viel besser dasteht als seine Nachbarn.

Dieses Verdienst hat Schröder in der Tat. Freilich war das nicht die Politik, die er gewollt und durchgesetzt hatte, als er 1998 Kanzler geworden war.

Damals hatte sein Kabinett klassische sozialdemokratische Politik betrieben. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse wurden abgabenpflichtig gemacht; die sogenannten "Ich-AGs" wurden als "Scheinselbständigkeit" bezeichnet und nicht mehr erlaubt. Kohls bescheidene Rentenreform (Einführung des "demographischen Faktors") wurde rückgängig gemacht. Durch Einführung der "Ökosteuer" wurde die Belastung der Bürger erhöht. Die betriebliche Mitbestimmung wurde zu Lasten kleiner Betriebe erweitert, die bereits ab 20 Beschäftigten einen Mitarbeiter freistellen mußten.

Kurz, die rotgrüne Regierung betrieb in der Euphorie des endlich geglückten Machtwechsels eine wirtschafts- und wachstumsfeindliche Politik, deren Ergebnis es war, daß Deutschland immer weiter ökonomisch abrutschte. Nach vier Jahren Regierung Schröder/Fischer war Deutschland zum "Kranken Mann Europas" geworden.

Die Agenda 2010 war Schröders Reaktion auf diese von ihm selbst verschuldete Entwicklung. Nun auf einmal versuchte die SPD genau das, was Kohl Ende der neunziger Jahre angestrebt hatte und was damals größtenteils durch Lafontaines Blockade im Bundesrat verhindert worden war: Neoliberale Reformen.



Wenn man das vor Augen hat, dann ist die jetzige Entwicklung in Frankreich ein einziges déjà vu. Präsident Hollande hat zwar noch nicht seinen ersten Haushalt verabschiedet, aber die Weichen werden schon jetzt gestellt: In Form eines Gesetzes zur Änderung des bestehenden Haushalts; vergleichbar einem Nachtragshaushalt in Deutschland. Darüber berichtet heute in seiner Internet-Ausgabe das Nachrichtenmagazin Le Point.

Gestern hat mit diesem Gesetz das Parlament eine Steuererhöhung im Umfang von (erwarteten) 7,2 Milliarden Euro Mehreinnahmen beschlossen. Die Finanzmärkte sollen höher besteuert werden, die Banken. Natürlich "die Reichen". Sogar eine Steuer auf Treibstoffvorräte soll Geld in die Staatskasse bringen.

So, wie Schröder seinerzeit Kohls bescheidene Reformen größtenteils rückgängig gemacht hatte, macht es jetzt Hollande mit den Reformen Sarkozys.

Diesem war es darum gegangen - und er hatte das im Wahlkampf immer wieder betont -, die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Unternehmen zu verbessern, die unter extrem hohen Lohnnebenkosten leiden; nach Schweden die zweithöchsten in der EU und fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Deshalb wurden von Sarkozys rechter Parlamentsmehrheit die Sozialbeiträge der Unternehmen gesenkt und zugleich die Mehrwertsteuer um 1,6 Prozentpunkte angehoben, um den Einnahmeausfall zu kompensieren (TVA social).

Beides wurde gestern von der jetzt links beherrschten Nationalversammlung wieder abgeschafft. Ebenso sind jetzt Überstunden wieder steuerpflichtig. Die konservative Regierung hatte sie steuerfrei gemacht. Dadurch sollten Einkommen und damit Kaufkraft erhöht werden; gemäß Sarkozys Slogan "Travailler plus pour gagner plus" - mehr arbeiten, um mehr zu verdienen. Eine dringend notwendige Maßnahme in einem Land mit einer gesetzlich vorgeschriebenen 35-Stundenwoche; eine Hinterlassenschaft der sozialistischen Regierung Jospin.



Es geht also alles seinen sozialistischen Gang. Nur mit einer seiner geplanten Maßnahmen dürfte Hollande auf Schwierigkeiten stoßen: Der Schaffung von 60.000 neuen Stellen im Bildungsbereich innerhalb von fünf Jahren. Wie man kürzlich in der Internet-Ausgabe des Nouvel Observateur lesen konnte, wollen immer weniger junge Franzosen Lehrer werden; die Zahl der Lehramtsstudenten ist rapide gesunken. Allein 2011 konnten mehr als tausend Lehrerstellen deshalb nicht besetzt werden.

Um Hollandes Versprechen zu erfüllen, müßten Frankreichs Schulen Jahr für Jahr mehr als doppelt so viele Lehrer einstellen wie bisher. "Comment relancer la vocation?", fragt der Obs' - wie wieder Begeisterung für den Lehrerberuf wecken? "Comment financer les postes?" wäre vermutlich die bessere Frage - wie die Stellen finanzieren?
Zettel



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