18. November 2012

Zitat des Tages: "Das hat mit einer Marktwirtschaft wenig zu tun". Hans-Werner Sinn erklärt, worum es in der Eurokrise geht

Nun soll eine Bankenunion geschaffen werden, um die Schulden der Banken Südeuropas zu sozialisieren. Der nächste Schritt wird dann die Einführung von Euro-Bonds sein. (...)

Am Ende dieser Entwicklung wird ein System stehen, das mit einer Marktwirtschaft wenig zu tun hat. Die EZB und der Rettungsschirm ESM leiten das Kapital dann unter öffentlichem Geleitschutz in Länder, in die es eigentlich nicht mehr will. Das wird dazu führen, dass es in ganz Europa Wachstumsverluste gibt und das Geld weiter in Südeuropa verbrannt wird.
Der Leiter des Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn in einem Gespräch mit dem gedruckten "Spiegel" der kommenden Woche (Heft 47/2012 vom 19. 11. 2012, S. 96 - 99).

Kommentar: Die Eurokrise ist derzeit aus den Schlagzeilen verschwunden; wohl deshalb, weil aktuell keine Entschei­dungen anstehen. Die Medien befassen sich, statt mit der ökonomischen Weichenstellung, derzeit eher mit Demon­stra­tionen und Krawallen (siehe Der Gesandte und die "erzürnten Griechen"; ZR vom 15. 11. 2012).

In dem Gespräch mit den Redakteuren Armin Mahler und Michael Sauga erinnert Sinn - wieder einmal - daran, worum es zentral geht: Um die Alternative zwischen einer marktwirtschaftlichen Lösung der Griechenland-Krise und einer dirigistischen Lösung, die weitgehend die Mechanismen des Markts außer Kraft setzt und die aus Sinns Sicht nicht nur die in dem Zitat genannten üblichen Nachteile jeder Planwirtschaft hat; sondern die massiv die Stabilität des Euro bedroht.

Er nennt noch einmal die gigantischen Summen: Rettungskredite im Umfang von 1.400 Milliarden Euro hat die Staatengemeinschaft zur Verfügung gestellt; davon die Bundesbank die Hälft mit ihren Target-Krediten. Das ist noch ohne den ESM; mit ihm kommen weitere 700 Milliarden hinzu. Und das ist noch ohne die Hebelung (die Einbeziehung privater Investoren), durch die der ESM auf 2.000 Euro angehoben werden soll. Sinn:
Das bedeutet zwar eine Stabilisierung der Kapitalmärkte, aber eine Destabilisierung der bislang noch stabilen Staaten Europas und eine Vernichtung von Ersparnissen der Rentner und Steuerzahler. Wir rutschen Schritt für Schritt in eine Falle, aus der wir uns nicht mehr befreien können. Dieses Risiko ist nach meiner Einschätzung das größte Risiko überhaupt.
Die marktwirtschaftliche Lösung, die Sinn vertritt, sieht demgegenüber den vorübergehenden Austritt Griechenlands (und möglicherweise weiterer Länder wie Portugal) aus der Eurozone vor.

Das würde diesen Ländern die Möglichkeit geben, ihre Währungen abzuwerten und damit wieder wettbewerbsfähig zu werden. Die Griechen würden dann wieder ihre - im Vergleich zu Importen durch die Abwertung billigeren - eigenen Waren kaufen; reiche Griechen würden wieder im Land investieren. Sinn weist auf Untersuchungen seines Instituts hin, das 70 solche Abwertungen der Landeswährung unter die Lupe genommen hat. Nach ein bis zwei Jahren trat dort der Aufschwung ein.



Der Professor Sinn wird nicht müde, seine Einsichten öffentlich vorzutragen, die er ja inzwischen auch in seinem Buch "Die Target-Falle" dargelegt hat.

Daß der Kurs jetzt noch in die von ihm geforderte Richtung zu ändern sein wird, erscheint freilich sehr unwahrscheinlich. Sinn weist selbst in dem Gespräch darauf hin, daß Frankreich das nächste Land sein könnte, das in Schwierigkeiten gerät. Dort regieren jetzt die Sozialisten, die einer markt­wirt­schaft­lichen Lösung gewiß nicht zuneigen; und ohne die Unterstützung Frankreichs, wie es sie zur Zeit Sarkozys meist hatte, würde Deutschland keine Kursänderung durchsetzen können, selbst wenn sich die Regierung dazu entschlösse.

Sinn und die vielen Ökonomen, die seine Analyse teilen, werden also wohl Rufer in der Wüste bleiben; beschränkt darauf, ihre bessere Einsicht in Interviews, Talkshows und Aufrufen zu Protokoll zu geben.



Was übrigens Aufrufe angeht, wird in dem Gespräch an die Texte von zwei Gruppen von Ökonomen erinnert, die Anfang Juli in der Presse erschienen und großes Aufsehen erregten. Viele Medien konstruierten daraus einen "Ökonomenstreit". Hier in ZR konnten Sie hingegen lesen, daß die beiden Gruppen sich in ihrer Analyse einig waren und nur Differenzen hatten, was die Wirksamkeit von Maßnahmen angeht (Bankenunion - sind die Professoren sich wirkich uneinig? Nicht in ihrer Analyse. Nur im Grad ihrer Skepsis; ZR vom 10. 7. 2012).

Sinn hat das in dem Gespräch jetzt bestätigt. Nachdem die "Spiegel"-Interviewer von "zwei Ökonomengruppen mit völlig
gegensätzlichen Positionen in der Euro-Frage" gesprochen hatte, sagte er:
Sie sprechen von Gegensätzen, wo es gar keine Gegensätze gab. (...) Die Wahrheit ist also anders, als Sie sie wahrnehmen: 495 deutsche Ökonomen warnen die Bundesregierung vor einer Rettung der südeuro­päischen Banken mit deutschen Steuergeldern.
Zettel



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