13. Juli 2013

Antiamerikanismus


Es ist wohl lange her, daß ein politischer Vorgang diesen Blog so intensiv beschäftigt hat wie der Fall Snowden. Eigentlich, scheint mir, haben die geschätzten Kollegen Erling Plaethe und R. A. das Wesentliche bereits gesagt. Auf einen kleinen Nebenaspekt des Skandals möchte ich aber noch hinweisen. Der Fall scheint mir auch ein Lehrstück über antiamerikanische Affekte zu sein. Und damit meine ich nicht, daß die üblichen Verdächtigen, wie etwa Jakob Augstein, sofort auf diesen Zug aufgesprungen sind. Das war zu erwarten und ist in seiner Vorhersehbarkeit geradezu langweilig. Nein, es ist der schwer zu fassende Tenor der Berichterstattung, der tief sitzende antiamerikanische Ressentiments bedient.
­
So schreibt beispielsweise ein Autor von Focus Online, als er über denkbare Fluchtszenarien für den Geheimnisverräter Snowden spekuliert, von Häschern der USA, die ihm nachstellten. Eine Wikipediasuche nach Häscher führt zu dem synonymen Begriff Scherge, der dort folgendermaßen definiert wird:
Als Scherge wird im heutigen Sprachgebrauch oft ein „Henkersknecht“, Büttel, käuflicher Verräter oder generell eine Person, die einem Schurken dienstbar ist und seine Befehle ausführt, bezeichnet.
Die USA als Schurkenstaat, seine Strafverfolgungsbehörden als käufliche Verräter (!) und "Henkersknechte". Man mag dem Focus-Autor mangelndes Sprachgefühl zugute halten, schreibt er doch im gleichen Absatz, daß Snowden sich in Rußland eingenistet habe (ein Parasit also?). Gleichwohl lassen sich die gegenwärtigen antiamerikanische Affekte, die sich in weiten Teilen der öffentlichen Debatte wiederfinden, in eine unselige historische Kontinuität einordnen. 

Schon zu wilhelminischen Zeiten galten Amerikaner gemeinhin als unzivilisiert und primitiv. Pietätlos wie ein Amerikaner schrieb Thomas Mann noch in seinem 1924 erschienenen Zauberberg. Freilich konnte er damals noch nicht ahnen, daß er einige Jahre später in ebendieses Land mit seiner pietätlosen Bevölkerung vor den deutlich pietätloseren Nazis würde fliehen müssen. 

Unter den Nazis gab es dann, spätestens nach dem Kriegseintritt der USA, den Höhepunkt des deutschen Antiamerikanismus.  Hier erfolgte wohl auch die unselige Verknüpfung zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus. Es war stets das jüdische Amerika, hinter dem das "Internationale Weltjudentum" stehe, gegen das die Nazipropaganda gehetzt hat. 
Solche Vorstellungen sitzen tief. Noch kurz vor seinem Tod hat Konrad Adenauer, freilich über jeden Verdacht des Sympatisierens mit der Naziideologie erhaben, in einem Interview auf die "Macht der Juden, insbesondere in Amerika", aufmerksam gemacht und -pragmatischer Realpolitiker, der er war- als einen Grund für die Notwendigkeit zur Aussöhnung mit dem Volke Israel bezeichnet. 

Und so ist es denn wohl keine zufällige Koinzidenz, wenn die Geburt des heutigen "modernen" Antiamerikanismus wie auch des oft genug als "Israelkritik" verbrämten Antisemitismus zur gleichen Zeit und in den gleichen Köpfen stattfand: den Achtundsechzigern. 
Vorgeblich das "Mitläufertum" und die "Täterschaft" der Elterngeneration anklagend, hat sich wohl manches Feindbild der Elterngeneration in die Köpfe derer gerettet, die sich doch so sehr davor gefeit glaubten und glauben. Der RAF-Terrorist Holger Meins brachte es wohl seinerzeit ungewollt auf den Punkt: Schwein oder Mensch, dazwischen gibt es nichts. Wobei er mit "Mensch" wohlgemerkt seinesgleichen meinte, linksextremistische Mörder und Terroristen also. Schweine, oder auch ganz klassisch: Untermenschen, das waren alle anderen; ganz besonders aber die "Zionisten" und die "imperialistischen" USA.

Aus Antisemitismus wurde also Antizionismus, aus Antizionismus wurde "Israelkritik". Aber Antiamerikanismus blieb stets Antiamerikanismus. 

Hier sei mir ein kleiner Schlenker zum Begriff "Israelkritik" erlaubt und zu dem häufig unternommenen Versuch, ihn von Antisemitismus abzugrenzen. Diese Mühe kann man sich wohl sparen. Der Journalist und Theologe Egmond Prill schreibt hierzu alles Nötige. Warum gibt es keine Chinakritik? Oder Nordkoreakritik? Oder Rußlandkritik? Ist denn Israel das kritikwürdigste Land auf dem Planeten, was vernünftigerweise der einzige Grund sein könnte, einen solchen Begriff extra und ausschließlich für Israel zu prägen? Das grausamste, das ungerechteste, das schlechteste Land der Welt
Nicht einmal der inzwischen hauptberufliche Israelkritiker Günter Grass würde sich wohl zu einer solch absurden Behauptung versteigen; von daher hat der Begriff keine rationale Grundlage. Wenn man die Politik Israels kritisieren will, dann soll man das tun. Aber dies im begrifflichen Kokon einer generellen "Israelkritik" zu tun, ist etwas anderes. Nein, der Grund ist dann nicht in dem Bedürfnis nach sachlicher Kritik an israelischem Regierungshandeln zu suchen, sondern in ebenjenen Affekten, die sich auch gegenüber den USA regelmäßig einstellen und die, im Falle von Grass, wohl eher in seiner frühen Sozialisation bei der Waffen-SS zu suchen und die mit Feindseligkeit jedenfalls zutreffend beschrieben sind.

Aber zurück zu den Amis. 2005 wurde eine Studie veröffentlicht, nach der die USA in keinem Land Europas ein so schlechtes Image haben wie in Deutschland; einzig in muslimischen Ländern (sic!) sei das Bild Amerikas noch negativer. Mit Tatsachen hat so etwas natürlich wenig bis nichts zu tun. Deutschland verdankt den USA zu einem Gutteil seine Befreiung vom Nazijoch, einen beträchtlichen Teil des deutschen Wiederaufbaus, Schutz, zumindest Westdeutschlands und insbesondere Westberlins, vor kommunistischen Zudringlichkeiten während des Kalten Krieges und die Möglichkeit zur Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit, die ohne das Einverständnis der USA nicht möglich gewesen wäre. Nein, mit Tatsachen hat der deutsche Antiamerikanismus ebensowenig zu tun wie die  spezifisch deutsche "Israelkritik". Es hat mit konditionierten Affekten zu tun, deren Ursprung teilweise in jener unrühmlichen Epoche der deutschen Vergangenheit zu suchen sind, gegen die sich die selbsternannten "Kritiker" in den Medien ach so gefeit glauben und die sich am Fall Snowden lediglich neu entzünden.


Andreas Döding



© Andreas Döding. Für Kommentare bitte hier klicken.