29. September 2013

Reise nach Jerusalem


Liebe Leserin, lieber Leser, ich hoffe, Sie fühlen sich nicht getäuscht, wenn ich Ihnen verrate, dass dieser Beitrag ein anderes Thema hat als den Nahostkonflikt. Zweifellos kennen Sie das Gesellschaftsspiel „Reise nach Jerusalem“: Dabei wandern die Teilnehmer zu Musik um einen Stuhlkreis, der eine Sitzgelegenheit weniger aufweist, als Mitspieler vorhanden sind. Sobald der Tonmeister die Beschallung unterbricht, muss jeder Kombattant versuchen, einen freien Platz zu ergattern. Wer stehen bleibt oder es nur auf die Knie eines bereits akkomodierten Gegners schafft, scheidet aus.

Alle vier Jahre wird in Deutschland eine Variante der „Reise nach Jerusalem“ aufgeführt, bei der nicht natürliche Personen, sondern Parteien gegeneinander antreten, von denen einige gleichsam eine Anwartschaft auf bestimmte Stühle haben. Wie hinlänglich bekannt, sind bei der heurigen Ausgabe unter anderem die Piraten, die FDP und die AfD stehen und somit auf der Strecke geblieben.

28. September 2013

Tu, felix Austria, ...


…wähle. In unserem Nachbarland, von dem uns bekanntlich insbesondere die gemeinsame Sprache trennt, wird morgen der Nationalrat erkoren. Neben anderen Unterschieden zum deutschen Abstimmungsmodus – etwa der aktiven Wahlberechtigung ab 16 Jahren und der fünfjährigen Legislaturperiode (Art 26 Abs 1, Art 27 Abs 1 Bundes-Verfassungsgesetz) – ist insbesondere die Vier-Prozent-Hürde (§ 100 Abs 1, § 107 Abs 2 Nationalratswahlordnung) erwähnenswert. Um diese niedrigere Schwelle für den Einzug ins Parlament werden zumindest zwei bundesrepublikanische Parteien ihre österreichischen Kollegen aufrichtig beneiden.

27. September 2013

Die Mutter der Nation


Erling Plaethe hat gestern in diesem Blog einen Beitrag über das Phänomen Angela Merkel veröffentlicht. Darin spricht er unter anderem das Streben der Kanzlerin nach einer Art Allzuständigkeit für das Leben der Bürger an.

Der Terminus „Kompetenz“ war – und ist im juristischen Jargon immer noch – ein Synonym der Vokabel „Zuständigkeit“: So liegt in Deutschland die Kompetenz für das Schulwesen bei den Bundesländern, so haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union diesem in Brüssel gestrandeten Wa(h)lfisch etliche Kompetenzen übertragen. Ob damit auch der – so die landläufige Bedeutung des Fremdwortes – nötige Sachverstand einhergeht, mag freilich nicht nur von ironiegeneigten Zeitgenossen bezweifelt werden.

26. September 2013

Union des Volkes


Angela Merkel ist ein Phänomen in Deutschland. Sie verkörpert die Erfüllung der Sehnsucht vieler Deutscher nach einem starken, sozialen Staat.

Die Kanzlerin weiß geschickt die weit verbreitete Staatsgläubigkeit für sich und die Union zu nutzen. Sie wird gefüttert, wo es nur geht. Es gibt fast keinen Lebensbereich mehr, für den sich der Staat nicht zuständig fühlt.
Kein Mensch da draussen wird allein gelassen. Kritiker würden sagen: in Ruhe gelassen. Aber das sind einsame Rufer.

Die Kanzlerin will zuständig sein, weil diese Zuständigkeit erwartet wird.
In der Erfüllung dieser Erwartungshaltung hat sie die Bundestagswahl so grandios gewonnen. Sie hat an dieser Strategie hartnäckig und zielstrebig gearbeitet. Der Erfolg gibt ihr jetzt Recht und die Spötter werden wohl verstummen.

22. September 2013

Deutschland ist ein harmonisches Land


Die ersten Wahlprognosen sind bekannt und man sollte sie ernst nehmen. Demnach wird die FDP mindestens die nächsten 4 Jahre in der außerparlamentarischen Opposition verbringen, aber auch die AfD hat voraussichtlich den Einzug in den Bundestag nicht geschafft.
Damit ist Deutschland einem harmonischen Land wieder ein Stück näher gekommen. War das nicht auch eine Zielsetzung hinter der 5%-Hürde? Keine Zersplitterung mit allen möglichen Kleinstgruppen mit eigener Meinung, Ziel erreicht.

Im Deutschen Bundestag sitzen jetzt die Unionsparteien CDU/CSU, die SPD, die Grünen und die Linke. Praxisorientierte Machtmenschen, linksgrüne Idealisten und die Partei, die 40 Jahre lang mit einer kompromisslosen Haltung immer Recht hatte und gerne wieder immer Recht hätte.

Das macht nicht nur die Arbeit im Parlament wieder harmonischer. Vor allem unsere Medien, auch die öffentlich-rechtlichen Medien, sind jetzt nicht mehr in der Pflicht ihnen unangenehme, unharmonische Töne der leider nicht ausreichend im Zeitgeist ideologisch gefestigten FDP wiederzugeben, ohne das dafür die nicht nur für Machtmenschen, linke Politiker und Medienschaffende, sondern auch für Euroretter außerhalb Deutschlands unharmonischen Klänge der AfD als Ersatz an ihre Stelle treten würden.

Ob diese Harmonie auch von allen Deutschen herbeigesehnt wird? Offenbar nicht, immerhin haben sowohl FDP als auch AfD mehr als 4% geholt und die restlichen Parteien erlangten zusammen auch über 5%. Und wie die Nichtwähler denken, das kann man nur erahnen. Die Frage ist eher, ob die Deutschen sich nicht sehr bald daran gewöhnen und schnell als angenehm empfinden werden, in einem recht einträchtigen politischen und medialen Umfeld von großen Streitfragen und Lagerkämpfen mit ihren unterschiedlichen Positionen verschont zu bleiben. Die Teilnahme unterschiedlicher Positionen am öffentlichen Diskurs bedeutet ja auch immer die Präsenz der falschen Positionen und das Risiko einer falschen Position anzuhängen. Das ist gerade zu wichtigen Grundsatzfragen unangenehm und mit Stress behaftet. Werden die Deutschen die Rückkehr in ein 4-Fraktionen-System, in dem noch dazu alle Parteien und größeren Medien so angenehm an der selben politischen Grundlinie entlang hangeln, genießen und vielleicht nicht mehr missen wollen? Schließlich lebt es sich mit der richtigen geistigen Ruhe bei angenehmen Lebensstandard deutlich stressfreier und da Stress auf die Gesundheit schlägt vielleicht auch länger und gesünder.

Techniknörgler


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Absolute Mehrheit für die Union?


Dieser Wahlabend bekommt eine unerwartete Spannung. Oder wer hätte gedacht, dass Angela Merkel künftig mit absoluter Mehrheit das Land regieren könnte?

Bayern hat es vorgemacht und die Kanzlerin macht es nach?

Selbst wenn die AfD es noch in den Bundestag schafft, so nah an so viel Macht war die Kanzlerin noch nie. Sie hatte Landtagswahl nach Landtagswahl für die CDU verloren gehen sehen müssen. Mit der Konsequenz des Verlustes der Mehrheit im Bundesrat.
Jetzt feiert sie einen Erdrutschsieg. Eine absolute Mehrheit im Bund konnte bisher überhaupt nur die Union erringen - und das war zuletzt 1957 der Fall.

Allerdings stände diese Mehrheit auf wackligen Füssen und somit bekommen wir  wohl das, was die Mehrheit der Deutschen wünscht - eine große Koalition.

Es wird interessant sein zu sehen, wie Angela Merkel bei einer Mehrheit von einem oder zwei Sitzen reagiert. Ob sie die absolute Mehrheit zu Gunsten einer großen und natürlich stabilen Koalition sausen lässt. Auch natürlich im Blick auf die Verhältnisse im Bundesrat.
Das wäre in etwa so wie alles oder nichts.

Für die SPD ist eine große Koalition mit dieser mächtigen Kanzlerin eigentlich noch schmerzvoller als die letzte, welche 2009 endete und die SPD mit 23% in eine Krise stürzte. Vielmehr werden sie auch 2013 nicht erhalten, aber diesmal gehen sie so gerupft in evtl. Koalitionsverhandlungen wie sie seinerzeit aus der großen Koalition kamen.
Sie sinken schlicht noch ein bisschen tiefer.

21. September 2013

Nichtwähler


Am Sonntag ist Bundestagswahl.
Das hat sich herumgesprochen, möchte man meinen. Aber danach sieht es nicht aus.
TV-Stationen, ob öffentlich-rechtlich oder privat, vermitteln den Eindruck, es ginge um die Wahl einer Kanzlerin – oder eines Kanzlers.
Da treten die amtierende Regierungschefin und ihr sogenannter Herausforderer an, als wählte Deutschland am 22. September so eine Art Präsidenten.

Als wäre dies nicht genug der Verzerrung, wird zum Ende des Wahlkampfes immer öfter von einer Wahlpflicht gesprochen.
Im Grunde scheint es nicht von Bedeutung zu sein, aus welchen politischen Beweggründen jemand wählen geht – ob er es tut, ist das, was allein zählt.
In diesem Punkt sind sich aufrechte Demokraten und unaufrichtige Systemwechsler einig.

20. September 2013

Das moderne Mittelalter. Ein Gedankensplitter zu Wissenschaft und Glauben.



389 Millionen Euro. Das ist die Menge an Geld, die im Jahre 2011 in Deutschland für homöopathische Arzneimittel ausgegeben wurde. 389 Millionen. Somit ungefähr fünf Euro pro Bundesbürger, vom Baby bis zum Rentner. Eine ganz ähnliche Summe, etwa 500 Millionen Euro, ist das, was wohl ungefähr in Deutschland jedes Jahr mit Astrologie und Wahrsagerei umgesetzt wird. Ähnliche, wenn auch nicht ganz so hohe Zahlen würden sich finden, würde man Umsätze zu Bach-Blüten und Farbtherapien, zu Spiritismus oder zu Reiki betrachten. 
Im selben Jahr gaben die Deutschen etwa 2 Milliarden für Lehr- und Schulbücher aus.

Neuer Autor in Zettels Raum

Wer die Kommentare in "Zettels kleinem Zimmer" liest, kennt ihn seit jeher als ebenso temperamentvollen wie rational argumentierenden Liberalen: Llarian.

In "Zettels Raum" erschienen in den vergangenen Monaten bislang drei Gastbeiträge von ihm:

Llarian ist jetzt Autor von "Zettels Raum" geworden - weitere seiner "Gedankensplitter" sind bereits angekündigt. Wir freuen uns sehr darauf.

Kallias

© Kallias. Für Kommentare bitte hier klicken.

Marginalie: Frauen und der Rest

Die Grüne Jugend tut ja derzeit viel für die Mitgliederwerbung. Da muß auch die Aufnahme der neuen Mitglieder organisiert werden. Zeitgemäß mit einem Internet-Formular, in dem die Interessenten ihre persönlichen Daten eintragen sollen.

Merkwürdigerweise wird dabei auch das "Geschlecht (biologisch)" abgefragt. Obwohl es doch eigentlich politisch korrekt wäre, die Geschlechtsidentität abzufragen. Also das Geschlecht, dem das Mitglied gerne angehören möchte. Es soll zwar auch bei den Grünen noch Fälle geben, wo das mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt - aber politisch ist das eigentlich irrelevant. Denn politisch ist (zumindestens bei den Grünen) längst klar, daß die persönliche Erklärung Vorrang hat. Selbst wenn eine Person ein Kind gebärt, kann sie sich nach Belieben als "Mann" bezeichnen.

16. September 2013

Zitat des Tages: "Cela nous oblige à faire plus de croissance"

Kinder sind an und für sich schon ein Übel.

Sie schreien, stinken, krabbeln zu gefährlichen Orten, trotzen, kosten einen Haufen Geld, rebellieren, klauen, machen Unfug, nehmen Drogen, melden sich nicht mehr, wenn sie endlich weg sind. Das ist alles hinlänglich bekannt.

Neu ist hingegen die Einsicht, dass Kinder ganze Volkswirtschaften in die Knie zwingen können, einfach indem sie da sind und keine Arbeit haben. Dies hat der französische Präsident François Hollande erkannt.

15. September 2013

Täuschen wir uns in Sachen Islam? Ein Gastbeitrag von Ludwig Weimer

Im Gespräch mit Nichteuropäern bekommt man als Deutscher zu hören, wir hätten hierzulande ein falsches Bild von der Wirklichkeit. Nicht dass uns die eigenen Medien bewusst falsch informieren und täuschen wollten. Aber selbst die deutschen Alphajournalisten und die heimischen angeblichen Experten seien Getäuschte.

13. September 2013

Eine Region versagt

Ein großes Thema beherrscht seit Wochen die Schlagzeilen: Soll der Westen, also in erster Linie Amerika, in den syrischen Bürgerkrieg militärisch eingreifen, darf er es, kann er es? Könnte damit Frieden ermöglicht werden, oder gibt es im Gegenteil dann noch mehr Gewalt? Welche anderen Maßnahmen anstelle eines Militärschlags sind möglich, um die Probleme zu lösen?

Und dann gibt es recht versteckt noch ein kleines Thema: Etwa 20.000 Flüchtlinge aus Syrien hat Deutschland schon aufgenommen, 5.000 weitere werden derzeit eingeflogen. Und wenn es nach dem Kompetenzteam der Opposition geht, werden es noch deutlich mehr.

Beide Themen haben eine Fragestellung gemeinsam: Was geht uns das eigentlich an? Wieso sollen der Westen, die Deutschen oder die Amerikaner, für eine Lösung dieses Bürgerkriegs oder die Betreuung der Flüchtlinge irgendwie zuständig sein?

8. September 2013

Wenn der Ofen ausgeht. Ein Gedankensplitter zu Energie und Stahl. Gastbeitrag von Llarian

In der einen oder anderen Diskussion habe ich am Rande mal was zu diesem Thema geschrieben, oft geht das unter, weil der Gegenüber sich dann gerne ausschweigt. Ich finde das schade, denn es kann doch eigentlich nicht sein, dass man so eine zentrale Überzeugung hat, wie man die Energie in unserem Lande erzeugen möchte, aber dann doch schon bei einer Nachfrage keinen Boden mehr unter den Füßen hat. Aber der Reihe nach:

4. September 2013

Der FISA-Court ist kein Geheimgericht, das Problem heißt "standing". Über die 3. Gewalt der Vereinigten Staaten.


Seit den Veröffentlichungen durch Snowden hat es der FISA-Court, als angebliches Geheimgericht, auch in der Medienberichterstattung und damit der Öffentlichkeit zu einiger Bekanntheit geschafft. Die Abkürzung steht dabei für
United States Foreign Intelligence Surveillance Court.

1. September 2013

Obamas Syrien-Entscheidung


Das kommt unerwartet, möchte ich mal behaupten:
Präsident Obama will vor der Durchführung einer militärischen Strafaktion gegen das Regime Baschar al-Assads in Syrien, wegen des Einsatzes von Giftgas im Bürgerkrieg, die Autorisierung des Kongresses erhalten.
Ob er die Bekommt ist ungewiss. Gut möglich, dass dem nicht so sein wird.

Ihm ist die Tragweite dieser Entscheidung sicher bewusst und die Verantwortung sie allein zu tragen, zu groß. Das kann als Eingeständnis eines politischen Fehlers gewertet werden, den er mit der öffentlichen Ziehung einer roten Linie an die Adresse Assads beging.
Solch eine Kurskorrektur ist hart für den mächtigsten Mann der Welt.
Es kann aber auch die Möglichkeit der Korrektur eines Fehlers eröffnen. Einen möglicherweise falschen Weg weiterzugehen, den der Präsident wohl gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hatte einzuschlagen. Ein Fehler sollte nicht die Basis für einen weiteren bilden.
Assad hat für Obama wohl unerwartet gehandelt und die Beziehungen zu dem früheren Feind des jahrzehntelang andauernden kalten Krieges, stehen mit dieser Entscheidung in unmittelbarem Zusammenhang.
Russland und Assads Syrien stellen diesen Zusammenhang her.