20. Oktober 2013

Wie der grüne Shootingstar Anton Hofreiter aus dem Liberalismus eine linke Bewegung macht

Nun ist sie also eine außerparlamentarische Opposition, die FDP. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und wurden andernorts hinreichend beleuchtet. Klar ist aber auch, daß die FDP eine Art liberales Vakuum hinterläßt, ein parteipolitisch nicht mehr artikuliertes Bedürfnis nach freiheitlichen Politik- und Lebenskonzepten, und groß ist natürlich auch der Wunsch anderer politischer Gruppierungen, in dieses Vakuum hineinzustoßen und es gleichsam zu besetzen. Das weiß man auch beim Online-Ableger der ZEIT. In einer aktuellen Serie mit dem Titel "Zukunft des Liberalismus" läßt die ehemals liberale ZEIT verschiedene Autoren linke Programmatik diskutieren und als liberal verkaufen. Genau genommen geht es aber um die semantische Entkernung und Ausmerzung des Liberalismusbegriffes, sofern die "neuen Liberalen" mir die Verwendung dieses Begriffes noch zugestehen, bevor er, wie kürzlich die Entartung, auf dem Index landet. Autorenkollege Techniknörgler ist auf einen dieser Beiträge, der uns den "Veggie-day" als liberales Kernkonzept verkaufen wollte, eingegangen. Nun war also Anton Hofreiter, grüner Shootingstar und hälftiger Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion, gebeten, der Leserschaft den "neuen Liberalismus" zu erklären.
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Und soviel ist ja richtig: neben den bedeutsamen Wurzeln der Grünen in der Umwelt- und der Friedensbewegung gab es bei den "Urgrünen" des Gründungsparteitages von 1980 durchaus auch eine liberale, ja libertäre Tradition; die Abschaffung freiheitseinschränkender Gesetze, die Gleichstellung von Minderheiten waren durchaus ehrbare Ziele. Daß die Grünen allerdings auch damals Liberalismus nicht wirklich konnten, zeigt sich nicht nur in der Spätfolge der Debatte um die "Liberalisierung" des Pädophiliebegriffes, die wiederum in der FDP nie eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Richtig ist auch, daß Herr Hofreiter sein "back to the green roots" auch phänotypisch bestens repräsentiert. Anders als den heutigen Jürgen Trittin kann man sich Hofreiter ohne weiteres auf dem grünen Gründungsparteitag von 1980 vorstellen.
Wie also stellt sich Herr Hofreiter  den "Liberalismus der Zukunft" vor? Zunächst einmal schreibt er, auf welchen Freiheitsbegriff sich Liberalismus zukünftig nicht zu stützen habe:
Ein Freiheitsbegriff, der sich vor allem gegen den Staat richtet, gegen öffentliche Institutionen. Ein Freiheitsbegriff, der egoistisch ist. Denn er sieht vor allem die "eigene" Freiheit, ohne sich groß um die Freiheit der "Anderen" zu kümmern.
Immerhin läßt er die Katze direkt aus dem Sack, möchte man sagen, und hält sich nicht lange mit klassisch-liberalen Feigenblättern auf. Übersetzt heißt das wohl: Wir brauchen einen starken, machtvollen Staat, der den Einzelnen zwingt, sich um die "Freiheit des Anderen" zu kümmern (worin diese besteht, bestimmt wiederum der Staat, s. u.), da der Einzelne sonst nur die "eigene" Freiheit im Sinn habe, mithin egoistisch sei, was vom Staat wiederum zu verhindern ist. Worin diese ominöse "Freiheit des Anderen" besteht, für die der Einzelne nun also verantwortlich sei, und für die ein starker Staat einzutreten habe, schreibt er im Folgenden, und es ist linke Programmatik in Reinform:
Freiheit kann es in einem Staat nur in dem Maße geben, in dem der Staat allen Einzelnen die gleichen Möglichkeiten gibt.
Oder:
Das ist die Grundidee der grünen Bildungspolitik und unserer hartnäckigen Forderungen, endlich Chancengerechtigkeit in Deutschland herzustellen. Freiheit heißt für uns Freiheit aller für ein selbstbestimmtes Leben wird.
Der Grammatikfehler im letzten Satz unterstreicht das Geschriebene natürlich auf eindrucksvolle Weise.  
Auch darf das berühmte "Die Freiheit des Einzelnen endet bei der Freiheit des Anderen" nicht fehlen, und erwartungsgemäß wird es von Hofreiter als Totschlagargument und Rechtfertigung repressiver staatlicher Intervention aufgezogen.
Menschen beschneiden heute durch ihre Lebens- und Produktionsweise die Freiheit anderer Menschen. Denn was sind katastrophale Umweltschäden anderes als dramatische Einschränkungen der Freiheit anderer Menschen? Vor drastischen Beschränkungen des realen Freiheitsraumes von Menschen – sei es in den vielen Regionen, die schon heute von schlimmen Umweltschäden betroffen sind, oder sei es in der Zukunft, wenn die nächsten Generationen von Schäden unserer Wirtschafts- und Produktionsweise betroffen werden – will grüne Umwelt- und Klimapolitik schützen; darum geht es bei den "Interventionen", die wir vorschlagen.
Das war es dann wohl mit jeglicher Freiheit. Aus dieser Ideologie läßt sich jede beliebige staatlich-repressive Intervention ableiten. Wenn ich über eine Wiese laufe, trampele ich ein paar Tiere tot. Wenn ich stehen bleibe, wächst an der Stelle kein Gras mehr. Es ist schlicht nicht möglich, durchs Leben zu kommen, ohne eben auch schädliche Auswirkungen auf die Umwelt zu zeitigen. Die Idee, daß die Menschheit schädigungsfrei zu existieren habe, ist absurd und offenbart genau die Allmachtsphantasie grüner Politik, die sie sonst so gerne den Verfechtern technischen Fortschritts vorhält. Machbarkeitswahn im pseudoliberalen Gewand; linker Etatismus mit freiheitlichem Anstrich. Vielleicht auch ein Aspekt der Selbstüberschätzung als conditio humana, auf die Kollege Noricus in seiner gestrigen Nachlese zum Waldsterben eingegangen ist...

Und die FDP?

Nun, ich vermisse sie anläßlich solcher begrifflicher Pervertierungen, trotz allem. Man muß ihr vor dem Hintergrund der vergangenen Legislaturperiode vieles vorwerfen; daß sie keine Fundamentalopposition innerhalb der Regierung betrieben hat, gehört meiner Meinung nach nicht dazu. Das hätte weder ihrer Rolle als Regierungspartei noch ihrer Größe entsprochen. Hätte sie die Regierung zu einem beliebigen Zeitpunkt  wegen der Euro-Rettungspolitik platzen lassen, dann wäre sie eben bei Neuwahlen aus dem Parlament geflogen. Zumindest legt das Wahlergebnis der AfD diesen Schluß nahe. Jenseits ihrer taktischen und strategischen Fehler hatte sie eine undankbare Rolle; eine lose-lose-Situation an der Seite von Merkel und in Zeiten der Euro-Krise.

Allerdings scheint die FDP unter Lindner nun die gleiche Strategie zu verfolgen wie die Grünen unter Hofreiter: Auf die krachende Wahlniederlage wird mit einem trotzigen "weiter so" alter Wein in neuen Schläuchen kredenzt, anstatt sich inhaltlich neu zu positionieren. Das Verhalten des Ehrenvorsitzenden Genscher, der parteiinternen Abweichlern wie Frank Schäffler den Austritt nahelegt, ist nicht nur eines Ehrenvorsitzenden unwürdig, es ist schlicht skandalös. Es scheint kaum vorstellbar, daß der Wähler das dereinst goutieren wird. Möglicherweise ist nicht der Auszug aus dem Bundestag der entscheidende Sargnagel für die FDP, sondern deren Weigerung, hieraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Cora Stephan und Ulli Kulke finden aktuell auf der Achse des Guten, wie ich finde, die richtigen Worte.

Warum sie dennoch vermissen? Nun, sie war die einzige Partei, die zumindest ansatzweise liberale Konzepte vertreten hat und zumindest ansatzweise den Begriff Liberalismus in semantisch korrektem Bezug gebraucht hat. Die aktuell so wortreichen Leichenfledderer des Liberalismus haben mit dergleichen nichts am Hut, und es ist niemand mehr da, der sich diesem Treiben auch nur ansatzweise entgegen stellen könnte.
Andreas Döding


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