9. November 2013

Liberalismus ohne „Freiheit“. Gastbeitrag von Dirk

In Deutschland erfährt der politische Liberalismus viel Gegenwind. Nicht nur nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag stellt sich die Frage, ob es für eine liberale Partei besser ist, dem Wind eher auszuweichen, oder sich mit seinen Grundüberzeugungen dagegen zu stemmen.

Der Weg des Ausweichens besteht darin, das Bündel an politischen Zielen des Gegners vorauszusetzen und zu argumentieren, dass man selbst für dieses die bessere Politik parat halte. In der Regel läuft es darauf hinaus, Zielkonflikte beim Gegner ausnutzen, sich eines der Ziele des Gegners taktisch auf die Fahne schreiben, um so die Politikmaßnahme für das das andere Ziel zu bekämpfen. (Meistens sind ja die „Ziele“ der Liberalen die Nichtdurchsetzung einer auf dem Tisch liegenden Politikmaßnahme der Andern.)

Ein schönes Beispiel dafür ist die Debatte um das Rauchverbot in der Gastronomie. Ein Liberaler, der mit seinen Überzeugungen argumentiert, würde gegen das Verbot etwa einwerfen, dass der Staat nicht das Recht habe in das Eigentumsrecht der Gastwirte einzugreifen, oder dass der Staat nicht das Recht habe die Vertragsfreiheit zwischen Gastwirt und Kunden zu verletzen. Aber er hätte es vermutlich schwer. Es würde wohl als provozierend aufgefasst werden, etwas so edles wie die Gesundheit gegenüber „Formalien“ wie Eigentumsrecht und Vertragsfreiheit zurückzustellen. Kurz: Da der Gegner und die Mehrheit der Öffentlichkeit die Überzeugungen des Liberalen nicht teilen, ist dieser Weg einer Konfrontation. Aus diesem Grund greift der Liberale oft auf die andere Möglichkeit zurück, auf die des Ausweichens. Das Rauchverbot koste Arbeitsplätze und Arbeitsplätze, das ist doch das was SPD, Grünen und Linken wichtig sein müsse. Lässt sich das nicht unmittelbar aus deren politischen Werten ableiten?

Unabhängig von der Frage, ob es sich hierbei um ein korrektes Argument handelt [wovon ich nicht ausgehe], tritt ein Problem auf. Diese Art der Argumentation erweckt den Anschein, dass der Liberale nur deswegen gegen das Rauchvebot sei, weil es Arbeitsplätze koste, woraus dann schnell ein „weil es der Wirtschaft schadet“ wird. Meistens läuft es genau darauf hinaus. Mindestlohn? Kündigungsschutz? Koste Arbeitsplätze! Steuern? Erbschafts- oder Vermögenssteuer? Koste Arbeitsplätze! Antidiskriminierungsgesetz? Koste Arbeitsplätze. Es entsteht der Schein, der Liberale kümmere sich nur um die Wirtschaft.

Zur Klarstellung: Das sind aus meiner Sicht alles legitime und valide Argumente (sofern sie denn zutreffen). Sie führen nur leider dazu, dass der Liberale von der Öffentlichkeit als „Anwalt der Wirtschaft“ wahrgenommen wird. Oder bestenfalls als „Realist“, der die Zielkonflikte seiner politischen Gegner erkennt. Dieser, jene ignorierend, strahlt dagegen als Idealist. Als einer, der mit dem Kopf durch die Wand will, oder als sympathischer Rebell gegenüber der Realität (dabei gilt in Wahrheit: Wenn das Wort Rebell positiv besetzt ist, gibt ein solcher sich nicht dadurch zu erkennen, dass er für einen gehalten wird).

Nützt es, die Argumente zu variieren und öfter auf Zielkonflikte in einem sozialen statt wirtschaftlichen Bereich hinzuweisen? Ich bin da skeptisch. Zum einen wird nicht umsonst häufig auf wirtschaftliche Argumente zurückgegriffen. Die meisten Zielkonflikte sind nämlich tatsächlich wirtschaftlicher Natur. Vor allem aber bleiben dadurch die politischen Überzeugungen des Liberalen unklar. Warum soll man eine liberale Partei wählen, die mal vorgibt die bessere CDU, mal die bessere SPD und mal die besseren Grünen zu sein?

Der Weg des Ausweichens hat entscheidende Nachteile. Die bessere Strategie ist es aus meiner Sicht den politischen Kampf auf der Ebene der Grundüberzeugungen auszutragen. Was aber sind diese? Und wie unterscheiden sie sich von denen der sozialdemokratischen Parteien?

„Klar“, wird der Liberale jetzt sagen, „der Liberale ist für Freiheit, der Sozialist für Gleichheit“.

Doch leider hat das Wort Freiheit zwar für Liberale eine klare, aber für die meisten anderen nur eine diffuse oder sogar manipulierte Bedeutung (etwa in der Version Freiheit als Abwesenheit von Sachzwang, etwa seinen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen), so dass auch der Sozialist für sich in Anspruch nimmt, für die Freiheit zu sein. Und selbst wenn man es schafft, Ordnung in die Begrifflichkeiten zu bringen und Freiheit als Abwesenheit von Zwang durch andere definiert (und das vermittelt bekommt), würde der Sozialist vermutlich den Zielkonflikt nicht (an)erkennen. In der politischen Diskussion [im Unterschied zum politischen Slogan], angesichts der Oberflächlichkeit, in der diese verläuft, ist die Abgrenzung über den Begriff Freiheit nur bedingt geeignet.

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Wir Liberale sollten nicht auf den Begriff Freiheit verzichten und die Deutungshoheit denen überlassen, die dessen Bedeutung ins Gegenteil verkehren. Es ist aber vorteilhaft, eine Beschreibung der Unterschiede zur Hand zu haben, die den Begriff Freiheit vermeidet. Eine solche ist auch weniger konfrontativ, weil sie dem Gegner nicht vorwirft, gegen die Freiheit zu sein, was letztlich, da in der politischen Debatte nur schwer nachzuweisen, anhand von Glaubwürdigkeit beurteilt wird. Und da steht leider das Wort der „guten“ Sozialisten gegen das des „Neoliberalen“.

Eine solche Abgrenzung liberaler Politik ohne Rückgriff auf eine Freiheitsdefinition möchte ich nun vorschlagen: Der Liberale stellt Handlungen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen, der nicht-Liberale dagegen Zustände.

Der nicht-Liberale beklagt Ungleichheit, einen Zustand (und leitet aus diesem Unmut den Ruf nach einer Handlung durch den Staat ab, und wenn es nur etwas ist, um etwas getan zu haben). Für den Liberalen ist dieser Zustand jedoch völlig in Ordnung, vorausgesetzt der Wohlstand wurde rechtmäßig erworben. Wenn der Erwerb des Wohlstandes legitim war, dann auch die Unterschiede, die dadurch entstehen. Denn der Liberale stellt seine Bedingung an den Erwerb des Wohlstandes - eine Handlung- nicht jedoch ans Ergebnis - einen Zustand.

Ein Musterbeispiel ist die Antidiskriminierungsgesetzgebung. Der nicht-Liberale beklagt einen Zustand der (vermeintlichen) Diskriminierung und schlägt als Lösung was vor? Ein Gesetz, das die Bürger, etwa einen Arbeitgeber, dazu zwingt (!) bei ihren Handlungen zu diskriminieren. Das aber stört wiederum den Liberalen. Ihm würde es reichen, wenn der Arbeitgeber nicht diskriminieren dürfte [genaugenommen wäre der Liberale auch gegen ein solches Verbot, aber das lassen wir mal aussen vor]. Alles andere geht zu weit. Egal, ob – etwa durch unterschiedliche Präferenzen – das dann dazu führt, dass eines der Geschlechter in bestimmten Berufen überproportional vertreten ist oder nicht.

Der nicht-Liberale beklagt den Zustand, dass ein Teil der Arbeitnehmer in ihren Augen zuwenig verdiene und fordert Mindestlöhne. Den Liberalen dagegen stört, dass dies dazu führen kann (und wird), dass ein Geschäft zwischen zwei Personen, das für beide Seiten von Vorteil ist, nicht durchgeführt werden kann, weil der Staat es verbietet. Eine Handlung wird eingeschränkt.

Und umgekehrt heißt es nicht, dass nur weil der Liberale gewisse Handlungen für legitim hält und in diese nicht mit Staatsgewalt eingreifen möchte, er die sich daraus ergebenden Zustände gutheisst. Auch Liberale heissen es nicht gut, wenn Arme arm bleiben oder die Gesundheit von (Passiv-)Rauchern leidet.

Der nicht-Liberale kennt nur „pro Europa“ und „gegen Europa“ oder „pro Euro“ und „gegen Euro“. Der Liberale dagegen ist weder das eine noch das andere. Eine liberale Partei ist dafür, dass bestimmten (Handlungs-) Grundsätzen gefolgt wird. Dass Verträge einzuhalten sind (wenn sie legitim zustande gekommen sind), dass es keine zwischenstaatlichen Wohlfahrtstransfers gibt. Wenn das mit dem Euro einzuhalten ist, schön. Wenn nicht, dann nicht.

Auf dieser Unterscheidung lässt sich die ein beträchtlicher Teil der liberalen Argumentation aufbauen: Die liberale Fokussierung auf die Handlungsebene statt der Zustandsebene entspricht dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Sie erklärt, warum der Liberale eher die Prozedur betont, das Formale, als das Ergebnis. Die Position des Liberalen ist besser als die seiner Gegner, denn er braucht nicht zu wissen, was der richtige, was der optimale Zustand ist, auf den die Gesellschaft hinsteuern soll. Er kommt also ohne die „Anmaßung von Wissen“ aus. Die Unterscheidung erklärt auch, warum der Liberalismus oft als inhaltsleer wahrgenommen wird. Genau das ist er nämlich. Der Zustand und das Ziel der Gesellschaft sind dem liberalen Politiker egal, solange die Handlungen frei sind. Sie ist auch oft reifer, weil sie es nicht bei Zustandskritik (oder aus der Hüfte geschossenen Korrekturen daran mit unbeabsichtigten Nebenwirkungen) belässt, sondern die Handlungsmöglichkeiten in den Vordergrund stellt.

Zugegeben, die vorgeschlagene Unterscheidung ist alles andere als vollständig. Sie enthält ja auch keinen Maßstab wie der Liberale welche Handlung bewertet. Dazu braucht es dann, im zweiten Schritt, in der Tat ein Verständnis dafür, was Freiheit und was Zwang ist. Der Vorteil aber ist, dass – so glaube ich – das, was die Menschen auf der Handlungsebene für richtig oder falsch halten meistens auch das ist, was der Liberale für richtig oder falsch hält. Wenn es dem Liberalen gelingt die Diskussion von der Ebene der Zustände auf die Ebene der Handlungen zu verlagern, wird er beträchtliche Landgewinne erzielen.

Dirk

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