9. Januar 2014

Das Narrenschiff

Wenn ein Schiff in den Polregionen nach schweren Wettern in Bedrängnis gerät, ist dies auch heute, ein gutes Jahrhundert nach dem Ende des "heroischen Zeitalters der Polforschung", nicht so außergewöhnlich, wie es im Zeitalter der Satellitennavigation, des Eisradars und des Internets zunächst scheinen könnte (hier einige neuere Beispiele). Da die meisten solcher Havarien dank der genannten Hilfsmittel und der Tatsache, daß es an dem Küsten der Antarktis mittlerweile fast 40 ganzjährig besetzte Forschungsstationen gibt, glimpflich ausgehen und nur mit dem Totalverlust das Schiffes enden, schaffen es solche Mißhelligkeiten nicht einmal in die Spalten für "Vermischtes" der Printmedien oder des Fernsehens. Wenn ein solches Unglück einem Kreuzfahrtschiff widerfährt, deren Mannschaft die Sicherheit der Passagiere oberstes Gebot sein sollte, wird die Sache schon bedenklicher. Und wenn eine Expedition, die ausgezogen ist, die "Auswirkungen des Klimawandels", mithin also der rasanten, unaufhaltsamen Erwärmung des Erde durch den ungebremsten Austoß klimaschädlicher Treibhausgase, auf dem Höhepunkt des Sommers in drei Meter dickem Packeis eingeschlossen wird, ohne sich dadurch in ihrem Befund beirren zu lassen, dann gerät die Angelegenheit zu einer Farce, bei der auch der Rest des Expertenclubs, der seit 25 Jahren beständig die Erde unter dem ansteigenden Meeresspiegel versinken sieht, nicht von Hohn und Spott verschont bleibt.

Vielleicht zu Unrecht: Die meisten dieser Schriftdeuter zeichnen sich zwar durch blindes Vertrauen in die Aussagen ihrer Computermodelle und eine gegen Null tendierende Bodenhaftung zur wirklichen Welt aus - aber eine derartige Plankenstärke wie bei Professor Chris Turney und seinen Süßwasserpiraten, oder -forschern, oder -touristen, bei denen das Wort "Vollpfosten" eine unzulässige Verharmlosung sein dürfte, ist auch dort nicht verbreitet. Die schlußendliche Ironie dieser Farce liegt aber nicht in der "gescheiterten Hoffnung" eines ebenso fahrlässig geplanten wie ausgeführten Unternehmens, sondern darin, daß den Hauptstrommedien, uninteressiert und auf Alarmgeschrei gepolt wie sie sind, völlig übersehen haben, welches Kaliber an Hanswurstiade ihnen hier entgangen ist - in Echtzeit & kostenlos mitzuverfolgen. Leider war das nur den skeptischen Geistern, gern auch als "Klimaskeptiker" oder gar "Klimaleugner" stigmatisiert, die das auf einschlägigen Webseiten wie Anthony Watts' Watts Up With That, Bishop Hill oder JoNova verfolgten, vorbehalten gewesen: Diese "Spirit of Mawson"-"Expedition" (oder, so der offizielle Titel, Australasian Antarctic Expedition - AAE) war, der Selbstankündigung nach, das Nachstellen einer der strapaziösesten Unternehmungen aus der Zeit Amundsens und Scotts.

Der gute Prof, seines Zeichens Paläontologe, der den Klimaalarmismus als gute Gelegenheit entdeckt hat, chartert ein nur leicht gegen Eisgang verstärktes Schifflein, die Akademik Shokalskij, der geringsten Eisklasse UL ("light summer ice"), Baujahr 1982, das seit einigen Jahren vom Besitzer, dem staatlichen russischen Fernöstlichen Hydrometeorologischen Forschungsinsitut in Wladiwostok, zur Devisengewinnung für arktische Kreuzfahrten vermietet wird. Die Leiter der AAE wiederum vermieten 26 Plätze an gut zahlende Touristen ("Prices start from $8,050"), die sonst nie Gelegenheit haben würden, einmal das "ewige Eis" zu sehen, sammeln 18 Studenten ein, die sich von der Teilnahme ein paar Scheine versprechen, obwohl nur 6 von ihnen mit Ozeanographie oder Geologie involviert sind; zudem 5 Journalisten (zwei von der BBC, zwei von der englischen Zeitung "Guardian"), die "den Klimawandel" "kommunizieren" sollen; auf seiner Website wird daraus "a team of 85 scientists"; zudem Frau & Kinder. Der Professor schwadroniert im TV, daß Robert Falcon Scott 1911 seinen Trip zum Südpol überlebt hätte, wenn er seine Leute sorgfältiger ausgesucht hätte. (Ein guter Eindruck von der Ernsthaftigkeit, mit der er sich auf lebensbedrohliche Situationen vorbereitet, läßt sich hier gewinnen; bei 4:32: "it's an extreme environment and the smallest mistake can cost your life".)

Die Vorabberichterstattung kann die Zauberformel "climate change" gar nicht oft genug betonen; nachdem der Karren im Dreck, bzw. die Schaluppe im Packeis steckt, ist das zuerst nur ein "russisches Forschungsschiff"; dann ein "Touristendampfer". Mittlerweile werden Stimmen von Fachleuten hörbar, die, wie in Le Monde oder in der Daily Mail sich der Partylaune nicht recht anschließen mögen: Wenn man die aus dem auf dem Schiff installierten "media hub" abgesetzten Berichte und Videobotschaften goutiert, drängt sich in der Tat der Eindruck auf, daß die ganze Sause schlicht darauf hinausläuft, daß man sich zu den Feiertagen an möglichst cooler Location die Nase begießt.

Nach zwei heftigen Stürmen unternimmt die fröhliche Truppe an Heiligabend einen Ausflug über 65 km auf leichten Amphibienfahrzeugen zu der Hütte, in der Mawson 1912-14 zwei antarktische Winter überstanden hat, einer der drei Argos entfällt, weil man es vorschriftswidrig mit Passagieren besetzt an Land geschleppt hat und infolge von Wasserfassen der Motor abgesoffen ist; der Kapitän drängt, weil ein Wetterumschwung droht (nach Seerecht ist das ein Befehl; Passagiere werden bei Reiseantritt darauf eingenordet); der Touristenhaufen ignoriert das und trödelt.

Am nächsten Morgen sitzt das Schiff im Packeis fest. Der Capt'n setzt ein Notsignal ab; daraufhin setzen alle Eisbrecher, die im antarktischen Hochsommer die Forschungsstationen versorgen, sich stante pede in Bewegung, weil sie zur Seenotrettung verpflichtet sind. Die australische Aurora Australis hat erst ein Drittel der Vorräte und Treibstoffe für die Forschungsstation Casey Station entladen; daß die wirklichen Wissenschaftler jetzt Däumchen drehen müssen, tja... (z.T. handelt es sich hier um Langzeit-Beobachtungsreihen, die auf Jahre hinaus angelegt sind; wird das abgebrochen, war der Aufwand für die Katz.). Der französische Eisbrecher L'Astrolabe bricht den Rettungsversuch ab; die chinesische Xue Long ("Schneedrache") friert selbst im Eis fest. Am 30. Dezember ruft Professor Turney zum ersten Mal ein Satellitenbild auf, um seiner Twitter-Gefolgschaft zu zeigen, wo denn das viele Eis im Hochsommer herkommt. Am 31. geht beim Wettervorhersagedienst KUSI TV die Anfrage von der Akademik Shokalskij ein: wie man denn bitte eine Karte mit Temperatur- und Windverhältnissen vom Netz laden und lesen könne; an Bord verstehe sich keiner darauf (daß Anthony Watts, der nicht nur der prominenteste "Klimaleugner" ist, sondern von Beruf Meteorologe, da in 2 Minuten aushelfen konnte, ist ein ironisches Sahnehäubchen). Die Eisverhältnisse in der Bucht, die seit 2010 vom Eisberg B09B blockiert wird, sind mit höchstens einem Tag Verspätung, mit zwei Mausklicks vom Netz abgreifbar, z.B. hier.

Während alle verfügbaren Einsatzkräfte von drei Nationen im Einsatz sind, haben die Ernsthaften Klimaforscher nichts Besseres zu tun, als "selfies" zu drehen & Fröhliches Liedchensingen: "we've been doing science here in Ant-aah-tica / with lots of penguins who are very very nice" (zum Jahresausklang am 31.12.; zudem wird geklagt, daß der Alkohol zur Neige geht und man bald ein "dry ship" habe). Am 2.1. wird die Bagage (ein anderes Wort paßt schlicht nicht) vom Hubschrauber des chinesischen Eisbrechers, der mittlerweile auch 20 km tief im Packeis steckt, auf den australischen Eisbrecher Aurora Australis ausgeflogen; die 22 Russen bleiben an Bord; der Guardian meldet: "all the crew have been rescued".

Dabei wird fröhlich weiter "dokumentiert"; ein schlichtes "Dankeschön" an die russischen und chinesischen Mannschaften und Piloten ist da freilich nicht drin; stattdessen folgt die Klage, man sei frustriert, weil man jetzt ein bißchen später nach Hause käme. Nota bene: Auslöser dieser Klage war die Tatsache, daß die Aurora Australis nicht gleich losdampfte, sondern von der australischen Marine auf Warteposition beordert worden war, nachdem die Xue Long selbst ein Hilfesignal abgesetzt hatte.

Am 5.1. beorderte die amerikanische Coast Guard den großkalibrigsten Eisbrecher der USA, die Polar Star, auf Kurs gebracht, um die Akademik Shokalskij und die Xue Long loszueisen. Daß, genau wie Anthony Watts es vorhergesagt hatte, das Packeis am 7.1. aufbrach und beide Schiffe freigab, mutet da wie eine letzte ironische Pointe an.

Weder der Aufwand an Hilfeleistung noch die Tatsache, daß man sich und andere in reale Gefahr gebracht hat, ist auch nur für eine Sekunde zu diesen Irrlichtern durchgedrungen. Statt dessen wird es als selbstverständlich erwartet, daß man sofort vom gesamten Rest der Welt herausgehauen wird, wenn einmal was nicht so ganz nach Plan läuft: dies in der lebensfeindlichsten Umgebung, die man auf der Erde finden kann. Ein besseres Symbol für die Kopplung von Inkompetenz, Ignoranz wie Arroganz, die die ökologische Bewegung wie ein roter Faden durchzieht, dürfte schwer zu finden sein.

Zumindest eine Erkenntnis läßt sich mitnehmen (neben der Bestätigung der Douglas Adam'schen Erkenntnis "A common mistake that people make when trying to design something completely foolproof is to underestimate the ingenuity of complete fools"). Die fröhliche Schilderung des Hergangs des Desasters verdankt sich den Blogeinträgen der australischen Parlamentsabgeordneten Janet Rice, die als zahlender Passagier mitgefahren ist (einschließlich eines Videos vom 31.12., in dem sie es gar nicht erwarten kann, nach Hause zu kommen, "because I miss my chooks", wie die Australier für "chicken" sagen). Die Dame ist Parteimitglied der Australian Greens. Es besteht also kein Grund, die zeitweilige politische Auszeit mancher hiesiger Weltrettungkoryphäen als spaßbremsend zu bedauern.

Wirklich bedauerlich ist nur, daß Herr Professor Doktor Turney samt Stab zur australischen Basis Casey Station befördert wird, um schnellstmöglich per Airbus nach Tasmanien ausgeflogen zu werden, anstatt Gelegenheit zu haben, Douglas Mawsons Leistung nachzustellen, der, ohne das beabsichtigt (wohl aber eingeplant) zu haben, zwei antarktische Winter im Packeis durchbringen mußte.

Zur Finanzierung: bislang gilt die Formel "privately funded expedition" für die AAE; als Summe werden 1,5 Millionen $ (es dürfte sich um Australische Dollar, A$, handeln, nicht um den erheblich kaufkräftigeren "greenback"). Durch die Touristen kommen gut eine halbe Mio. zusammen; der Rest, zu dem nirgendwo Mengenangaben genannt werden, geht auf Stipendien, government grants, Drittmittel zurück. Prof T. hat eine recht kreative Vorstellung von "privately funded". Nach Seerecht sowie den internationalen Verträgen in den diversen Antarktisabkommen hat der Organisator Versicherungsschutz oder Rücklagen vorzuweisen, mit denen sämtliche im Eventualfall anfallenden Kosten abgedeckt werden können; es ist international recht üblich, daß Tröpfe, die gerettet werden müssen, für die Kosten dieser Aktionen aufzukommen haben. Da hier bislang vier Nationen - Russland, China, Australien, die USA (für die Astrolabe dürfte auch eine bescheidene Rechnung anfallen) - involviert waren (die Mannschaft der Akademik Shokalskij mit 18 Mann sowie 4 weiblichen Stewarts und Küchenkräften steht ja auch weiterhin vollzeit auf des Herrn Professors Gehaltsliste), kann man nur hoffen, daß er über hinreichend tiefe Taschen verfügt (oder sein Arbeitgeber, die University of New South Wales).

Ulrich Elkmann

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken. Abbildung: Jean Droyn, Nef des folles. Abb. gemeinfrei gemäß den Nutzungsbestimmungen von Wikimedia Commons.